Herr Dobrindt, Erdogan ist doch Ihr Mann!

Von Uwe Zimmer |
In der Türkei macht sich der Ärger darüber Luft, wie selbstherrlich Premier Erdogan mit seiner Macht umgeht. Manch ein CSU-Politiker fühlt sich dadurch in seiner Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts bestätigt. Dabei dürfte den Christsozialen ein solches Machtgebaren nicht fremd sein, meint der Journalist Uwe Zimmer.
Über den Umgang des türkischen Premiers Erdogan mit jeder Art von Opposition ist in den vergangenen Tagen viel Kritisches gesagt worden und das von fast jedem.

Wer die Türken gerne in der EU sähe, der nimmt mit Enttäuschung und Abscheu zur Kenntnis, was sich in den Straßen von Istanbul abspielt, wer sie nicht in Europa haben will, hat dafür jetzt ein paar neue Gründe: Missachtung demokratischer Grundrechte und Missbrauch der politischen Macht.

Unabhängig von der jeweiligen Interessenlage klingen die Kommentare beider Seiten ziemlich gleich. "So nicht!", mahnt Claudia Roth von den Grünen, "so nicht!", wettert Alexander Dobrindt von der CSU. Während bei Roth Hoffnung auf Besserung durchklingt, bedeutet das Urteil des Scharfmachers der Christsozialen ewige Verdammnis.

Nie werde die Türkei in die EU aufgenommen, nie werde man dem Islamismus der türkischen Machthaber das Tor nach Europa öffnen. Ja, ja der Herr Dobrindt. In Zeiten, in denen Parteichef Horst Seehofer zum Kuscheltier der Kanzlerin mutiert, sieht sich der Mann mit der schwarzen Brille als Sprachrohr des zum Schweigen gebrachten Parteivolks. Recht hat er, auch wenn er ziemlich daneben liegt.

Denn das eigentliche Thema, der zentrale Punkt bei der Kritik an Erdogan ist sein Umgang mit der Macht. Ihm geht es, versichern Kenner der türkischen Politik, derzeit kaum um die Durchsetzung religiös bestimmter Verhaltensweisen, um Kopftuch und Kaftan für jeden, er hat schließlich sein Land ins 21. Jahrhundert geführt, die Wirtschaft boomen lassen und den Tourismus zur Blüte gebracht. Das geht nicht mit der Geistlichkeit.

Aber seine Wahlerfolge haben ihm offensichtlich den Blick versperrt, auf die Bedürfnisse und Lebenswünsche derjenigen, die ihm bei demokratischen Wahlen das Schicksal ihres Landes anvertraut haben.

Prügelnde Polizisten gab es auch in Schwabing
Da können Bäume, die einem Einkaufscenter im Wege stehen, zum Symbol des Widerstands werden, der auch von vielen Frauen mit Kopftüchern auf die Straße getragen wird. Da macht sich Unzufriedenheit mit dem Machtumgang Luft, und das mitten in wirtschaftlich blühenden Landschaften.

Dämmerts, Herr Dobrindt? Könnte es sein, dass Stuttgart 21 auch in Istanbul liegt? Könnte es sein, dass der selbstherrliche Umgang mit der Macht in der Türkei sich kaum anders manifestiert als im christsozialen Freistaat? Man muss ja nicht so weit zurückgehen bis zu den Schwabinger Krawallen, die Bilder von prügelnden Polizisten produzierten, die denen aus der türkischen Metropole nicht unähnlich sind.

Und war nicht Franz Josef Strauß bekannt dafür, dass er bei seinen politischen Taten nicht immer mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen konnte? Wenn Erdogan den Eindruck erweckt, der Staat gehöre seiner Macht und Mehrheit habenden Partei, dann hat die CSU schon einmal vorgeführt, wie man in einer parlamentarischen Demokratie diesen Glauben in Taten umsetzt.

Geldwerte Vorteile für Amigos, Steuergelder für parlamentarische Familienbetriebe. Das Leben kann in Bayern wie am Bosporus schön und problemlos sein, wenn man in der richtigen Partei ist und den richtigen Glauben, und manchmal sogar den entsprechenden Papst hat.

Was lernen wir aus den Wirren in Istanbul und den Worten der kritischen Beobachter à la Dobrindt? Die Grundrechte und die Menschenwürde gelten überall, auch in der Türkei, wer sie verletzt, begeht Unrecht. Wer aber verkennt, dass dieses Unrecht auch im eigenen Machtbereich geschehen ist oder sogar manchmal noch geschieht, muss aufpassen, dass aus seiner Kritik nicht so etwas wie Hetze wird. Hetze gegen ein ganzes Volk, dessen Hoffnung Europa ist.

Uwe Zimmer, geb. 1944 in Siegen (Westfalen), studierte Germanistik, Politische Wissenschaften und Philosophie in Frankfurt/Main, München und Marburg. Seine journalistische Laufbahn begann Zimmer 1971 beim Berliner "Tagesspiegel", 1974 wechselte er als Redakteur zum Spiegel, wurde 1978 Bonner Büroleiter des "Stern", war dann Korrespondent in Washington und schließlich Ressortleiter Ausland. 1986 ging Zimmer als stellv. Chefredakteur zum Axel Springer Verlag in die Entwicklungsredaktion. Von 1987 bis Oktober 2000 war er Chefredakteur der Abendzeitung in München, anschließend bis 2009 Chefredakteur der "Neuen Westfälischen" in Bielefeld.
Uwe Zimmer
Uwe Zimmer© Andreas Frücht
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