Helmut Lethen: "Die Staatsräte"

Ein "Katz- und Mausspiel mit der Macht"

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Germanist und Kulturwissenschaftler Helmut Lethen auf der Leipziger Buchmesse 2014. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Helmut Lethen im Gespräch mit René Aguigah · 16.03.2018
Wie viel Freiräume gibt es in einer Diktatur? Könnte sie ohne überhaupt funktionieren? Damit befasst sich Helmut Lethen in seinem neuen Buch, das Carl Schmitt, Wilhelm Furtwängler, Gustaf Gründgens und Ferdinand Sauerbruch zu fiktiven Gesprächen versammelt.
"Meine vier Halunken" nennt der Kulturwissenschaftler Helmut Lethen die Hauptfiguren seines neuen Buches, "Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich" (derzeit Platz Eins unserer Sachbuchbestenliste). In einer Art "Doku-Fiction" versammelt er darin den Staatsrechtler Carl Schmitt, den Dirigenten Wilhelm Furtwängler, den Arzt Ferdinand Sauerbruch und den Schauspieler Gustaf Gründgens zu fiktiven Gesprächsrunden.
Es geht ihm dabei darum, das Verhältnis der kulturellen Elite zum Nationalsozialismus auszuloten: ihre mühelose Bereitschaft, mit dem Regime zu kooperieren, auf der einen Seite, und das Ausmaß, in dem diese Exzellenzen des deutschen Bildungsbürgertums die auch im Dritten Reich bestehenden Freiräume nutzten.
Gustaf Gründgens als Mephisto während einer Aufführung der Hamburger Gründgens-Inszenierung des Faust im Rahmen der Berliner Festwochen im September 1959.
Gründgens gastiert mit "Faust" in Berlin (1959).© dpa
Gustaf Gründgens etwa habe auf der einen Seite als Staatsschauspieler und Intendant des Staatlichen Schauspielhauses durch die Nationalsozialisten einen "unglaublichen Resonanzraum" bekommen. Auf der anderen Seite habe er aber seine jüdischen Mitarbeiter immer geschützt und insofern auch später bei Entnazifierung "relativ leichtes Spiel" gehabt.

Carl Schmitts Traum: Souffleur im Ohr der Macht

Der Dirigent Wilhelm Furtwängler wiederum habe ein "permanentes Katz-und Mausspiel" mit der Macht gespielt. "Das ist sehr merkwürdig bei Furtwängler, der Widerstandsaktionen gemacht hat, zum Teil nicht unter Nazifahnen dirigieren wollte, auf der anderen Seite aber zu Hitlers Geburtstag wieder die Neunte aufführte."
Der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler sagt im Dezember 1946 in Berlin im Entnazifizierungsverfahren vor einem deutschen Gericht aus. Furtwängler gilt als einer der großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Von 1922-1945 und 1947-1954 leitete er die Berliner Symphoniker. 
Der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler sagt im Dezember 1946 in Berlin im Entnazifizierungsverfahren vor einem deutschen Gericht aus. © picture-alliance/ dpa
Anders liegt der Fall des Staatsrechtlers Carl Schmitt. Dieser habe gehofft, "Souffleur im Ohr des Machthabers" werden zu können. "Das hat bis 1936 geklappt, dann wurde er von konkurrierenden SS-Juristen ausgebootet. Aber das war sein Traum", sagt Lethen.
Die interessanteste Figur für Lethen ist jedoch der Arzt Ferdinand Sauerbruch: "Denn auf der einen Seite war er im Reichsforschungsrat und hat dann auch Menschenexperimente bewilligt", so der Autor. "Andererseits hatte er nichts dagegen, dass sich die Kreise um Stauffenberg auch in seiner Villa versammelten bei der Vorbereitung des Attentats."

Die elende Doppeldeutigkeit der Freiräume einer Diktatur

Letztlich gehe es bei allen um das "Überleben in Räumen, die einem Atemvolumen verschaffen", sagt Lethen. "Auf der anderen Seite sind gerade diese Orte der Regeneration auch Ressourcen, mit denen die Diktatur arbeitet. Sie könnte nicht funktionieren. Eine Diktatur kann nicht funktionieren, wenn es diese Freiräume nicht gibt. Und das ist quasi die Doppeldeutigkeit dieser Freiräume. Das finde ich ein elendes Problem, aus dem ich auch nicht rausgekommen bin."

Helmut Lethen: "Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich - Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt"
Berlin 2018, Verlag Rowohlt Berlin
351 Seiten, 24 Euro

(uko)
Mehr zum Thema