Hate Speech

Ein bisschen Hass darf sein

Übergroßer Mann wirft Flammen auf kleinen Mann.
Grundsätzlich muss Wut nicht schädlich sein, sagt Autor Timo Rieg. Vieles davon verpuffe, wenn es einmal laut geäußert wird. © imago/Ikon Images
Von Timo Rieg · 23.02.2018
Hate Speech, also die Hassrede, hat einen schlechten Ruf. Das ist insofern berechtigt, als dass sie die Welt nicht besser macht. Dennoch kann Autor Timo Rieg dem öffentlichen Wutschnauben auch Positives abgewinnen.
"Hass ist keine Meinung". Das bekommen wir gegenwärtig oft zu hören, gerne ergänzt um die Behauptung: "sondern ein Verbrechen". Jeder Mensch, der jemanden oder etwas hasst, ein Verbrecher? Puh. "Hass ist keine Meinung", klar. Denn Hass ist ein Gefühl. Und damit ist Hass eine ganz private Angelegenheit. So wie Träume, Fantasien, Liebe. Relevant für andere - auch für Politiker, die Gesetze machen - kann Hass erst werden, wenn er sich irgendwie artikuliert. Wenn dem Gefühl Taten folgen.

Das Böse muss eliminiert werden

In der Diskussion geht es deshalb auch vor allem um eine ganz bestimmte Ausdrucksform von Hass: Es geht um Sprache - "Hate Speech". Nach dem neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetz gilt: Wird auf Facebook oder Twitter Gesetzeswidriges verbreitet, droht den Betreibern ein saftiges Bußgeld, wenn sie das Böse nicht rechtzeitig eliminieren. Und so gibt es derzeit allerhand Streit um gelöschte und nicht gelöschte Sätze, Bilder, Worte.
Es gibt Mahner, die das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gefährdet sehen, und es gibt jene, denen nicht genug getan wird gegen Volksverhetzung und Menschenverachtung im Internet. Um Strafbares geht es dabei nur selten. "Hass" klingt wirklich doof, brutal.
Aber wenn wir ein noch kürzeres Wort nehmen, muss wohl jeder zugeben, diesen emotionalen Zustand zu kennen: Wut. Doch auch die wurde schon mit dem Begriff "Wutbürger" diffamiert. Dass Hass weder eine Frage des politischen Spektrums noch der formalen Bildung oder beruflichen Erfüllung ist, wird in den sozialen wie klassischen Medien bei vielen Kommentaren deutlich.
Ein arbeitsloser Ronny aus Cottbus beklagt auf Facebook, der Staat tue seit zwölf Jahren nichts für ihn, aber "die Flüchtlinge" bekämen alles irgendwohin geblasen. Auf den Hinweis, dass es sich bei Ronny um ein Fake handelt, entgegnet ein grüner Politiker: "Dieser Ronny ist ziemlich repräsentativ für dieses nervige Pack." Eine üblicher Konter unter fast jedem "Hass-Kommentar" lautet: "Lösch dich!" Klingt auch nicht nach Fürsorge.
Die taz berichtete vor wenigen Tagen von Kundgebungen in Dresden, bei denen Demonstranten einen "Nazimarsch" stören wollten. Das Foto zum Artikel zeigt eine alte Dame mit Trillerpfeife und gestrecktem Mittelfinger. Headline: "Friedlicher Protest gegen Neonazis". Ja, es war friedlich, aber auch hasserfüllt.
Und der Schriftsteller Maxim Biller polemisierte gerade in der "Zeit" unter dem netten Titel "Wer ist hier das Arschloch?" gegen die gesamte Leserschaft, Zitat: "Heftige, obszöne, hasserfüllte intellektuelle Debatten passen nicht in das gegenwärtige linksrechte Weltbild der inzwischen so prüden, erzreaktionären Feuilleton-Volksgemeinschaft, der Sie angehören." Puh.

Hass ist nachvollziehbar

Aber bitte, jede Menge Hass ist berechtigt, wenigstens nachvollziehbar. Was soll ein veganer Tierrechtler angesichts der Massentierhaltung anderes empfinden als Hass auf diejenigen, die für das Leid verantwortlich sind? Will jemand behaupten, er empfände keinen Hass auf Autoraser, wenn das eigene Kind genau von diesem Motorwahn getötet wurde? Und wer eine geflüchtete Familie im Kirchenasyl betreut hat und dann erleben muss, wie diese abgeschoben wird, nicht von der AfD, sondern von der Staatsmacht: Darf derjenige keinen Hass auf Behörden fühlen?
Wut ändert natürlich noch nichts, sie ist ja meist Ausdruck totaler Machtlosigkeit. Wenn jemand vor sich hin schnaubt "na warte, dir werde ich es zeigen" bedeutet das doch: Ich würde so gerne, aber ich kann ja nicht, also schimpfe ich.

Kein Drama daraus machen

"Hate Speech" macht die Welt nicht besser. Aber Wut zu verbieten, macht sie schlechter - die Wut gibt es nun mal. Vieles davon ist Schall und Rauch, kein weiteres Wort wert, verpufft in dem Moment, da für den riesengroßen Ärger Sätze, Worte oder Bilder gefunden wurden. Danach kann es oft wieder konstruktiv weitergehen. Und wenn einem vor lauter Zorn die Worte fehlen, knallt man eben eine Tür laut hinter sich zu. Empathische Kollegen oder Familienmitglieder machen daraus kein Drama.

Timo Rieg, Jahrgang 1970, hat in Bochum Biologie und in Dortmund Journalistik studiert. Seit über 25 Jahren beschäftigt er sich mit politischer Partizipation. So hat er ein auf Auslosung beruhendes Verfahren für die Mitbestimmung Jugendlicher entwickelt und erprobt (Youth Citizens Jury). Sein erstes Buch von 1993 trägt den Titel "Artgerechte Jugendhaltung", sein aktuelles heißt "Demokratie für Deutschland". Dazwischen hat er u.a. Kurt Tucholskys "Deutschland, Deutschland über alles" neu herausgegeben, in dem es auch schon um Absurditäten des städtischen Autoverkehrs geht.

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