Hannover 96 unter Martin Kind

Ich will meinen Verein zurück!

Ein gegen den Hannover-Präsidenten Martin Kind gerichtetes Fan-Transparent beim Spiel Hannover 96 gegen Eintracht Frankfurt.
Ein gegen den Hannover-Präsidenten Martin Kind gerichtetes Fan-Transparent beim Spiel Hannover 96 gegen Eintracht Frankfurt. © dpa/Peter Steffen
Von Maurice Wojach · 10.12.2017
Für manche Fans ist Fußball mehr als ein Freizeitvergnügen. Bestimmte Spiele stehen für Lebensphasen, der Heimatverein stiftet auch in der Fremde Identität. Umso schmerzhafter ist es, ihn nicht mehr wiederzuerkennen. Unserem Autor geht es so mit Hannover 96.
Neulich war ich mal wieder Zuhause. Zuhause – das ist ein Bauernhof bei Hannover, auf dem ich aufgewachsen bin. Das ist auch der Friedhof, auf dem meine Oma seit einem Jahr begraben liegt. Und Zuhause – das war bis jetzt auch immer Hannover 96.
"Hannover – Hannover. Hannover - Hannover"
96 spielt an diesem Wochenende auswärts, ich gehe in eine Kneipe und schaue mir das Spiel an. Unser Gegner ist ausgerechnet der Brauseclub aus Leipzig. Manche sagen, bei uns könnte es bald auch so aussehen wie in Leipzig. Ein Firmenchef, der das alleinige Sagen hat.
Fan in einer 96-Kneipe: "Wir wollen keinen Martin Kind, der sich vielleicht noch einen Scheich oder einen Ölmilliardär aus Russland holt. Oder vielleicht Herrn Schröder involviert, der noch ein paar Milliönchen reinsteckt. Nein!"

Feiern, fiebern, frieren

Hannovers Fans machen Stimmung während eines Spiels in der Saison 2016/17.
In der vergangenen Saison herrschte in der Nordkurve im Stadion von Hannover 96 noch bessere Stimmung.© Peter Steffen/dpa
Wenn der 96-Präsident Martin Kind die 50+1-Regel kippt, wird der Verein bald keine Kontrolle mehr über die Profimannschaft haben. Für die Fans ist der Verein aber…
"… meine erste große Liebe und ein immer noch extrem großer Teil meines Lebens."
"Im allerersten Punkt ist es für mich ernsthaft Heimatliebe."
"Na ja, ich habe mir das Zeichen auf den Arm tätowiert. Das 96-Logo, Symbol – wie auch immer man das heute nennt. Ich gehe seitdem ich 13 bin da hin."
"Ich war das erste Mal, glaube ich, mit vier im Stadion mit meinem Vater. Auch die ganzen Erinnerungen, die damit zusammenhängen: nach dem Spiel feiern und im Stadion Europa-League gucken, gegen Machatschkala im Schnee stehen und man friert total, aber es ist einfach geil."

Der Pokalsieg von 1992

Die Mannschaft von Hannover 96 nach dem gewonnenen DFB-Pokalfinale 1992 gegen Borussia Mönchengladbach.
Die Mannschaft von Hannover 96 nach dem gewonnenen DFB-Pokalfinale 1992 gegen Borussia Mönchengladbach.© picture-alliance/dpa
So hat jeder seine eigene 96-Geschichte. Meine beginnt in der Saison 1988/89 mit einem Spiel gegen die Stuttgarter Kickers im alten Niedersachsenstadion. Ich bin gerade 7 geworden, Abseits verstehe ich nicht, sitzen finde ich doof und die ständigen Schiedsrichterpausen machen mich müde. Spannend finde ich nur die schicken Vorführautos, die über die Tatarbahn fahren.
1992 gelingt uns die Sensation im DFB-Pokal, Hannover gewinnt im Elfmeterschießen gegen Mönchengladbach. Ich sitze während des Spiels mit einem Freund vorm Fernseher und mache mit einem Locher aus Papier Konfetti. Michael Schönberg verwandelt den entscheidenden Elfmeter, wir rennen durch unser leeres Dorf und werfen das Konfetti in die Luft.

Tränen beim Cottbus-Spiel

Fünf Jahre später muss ich das erste und letzte Mal bei einem Fußballspiel weinen. Im Rückspiel um den Aufstieg in die 2. Liga fällt in Cottbus beim Stand von 1:1 das Flutlicht aus. Als es wieder an ist, ist die Mannschaft völlig von der Rolle und verliert. Die Energie-Fans lassen Nazi-Sprüche ab und bespucken uns.
Unser Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Schröder lässt sich ein paar Jahre später mit einem Energieschal um den Hals als Cottbus-Fan ablichten.
Überschwänglich gratuliert Bundeskanzler Gerhard Schröder (l.) am 21.4.2001 dem Spieler von Energie Cottbus, Bruno Akrapovic, zum 1:0-Sieg im Abstiegsduell gegen die SpVgg Unterhaching.
Bundeskanzler Schröder als "Energie-Spender" in Cottbus.© dpa-Zentralbild
Nach schönen Jahren in drei verschiedenen Spielklassen wird 2009 alles anders. Bei mir privat geht einiges schief - und bei 96?
Radio-Reporterin: "Gestern Abend wurde Robert Enke in der Nähe seines niedersächsischen Wohnortes bei Neustadt am Rübenberge von einem Zug erfasst und getötet."

Enkes Tod als vermaledeiter Weckruf

Noch heute steckt vielen von uns der Tod von Robert Enke in den Knochen. Dieser völlig vermaledeite Weckruf, menschlicher miteinander umzugehen. Damals heißt es, die Nummer 1 auf Enkes Trikot soll nie wieder vergeben werden. Aber schon in der nächsten Saison wird das Versprechen gebrochen.
Spricht Martin Kind über seine persönliche 96-Geschichte, braucht er zwei Sätze dafür:
"Also, ich habe da gewisse Emotionen für die Stadt und diesen Verein entwickelt. Und deshalb auch ein 20-jähriges Engagement – arbeitstechnisch mit hohem Aufwand und finanziell auch nicht unbedeutend."
Hannover 96 verliert knapp gegen Leipzig. Ich fahr wieder zurück nach Berlin.

Die Bierchen-Bratwurst-Reinbrüll-Stimmung von einst

Nächste Woche spielt 96 in Berlin gegen Hertha BSC. Früher waren das Festtage. Es herrschte diese naiv-schöne Bierchen-Bratwurst-Reinbrüll-Stimmung. Der Block war voll, wir auch, es gab ein großes Grünkohl-Essen mit alten Freunden.
Einen von ihnen rufe ich an. Er heißt Matthias, Spitzname Mader.
"Moin Mader, bist du es?"
"Ja, tach!"
"Ich wollte mal horchen, was so los ist. Warst du beim letzten Spiel? Wir sind ja jetzt kein Bayern-Jäger mehr."
"Ausnahmsweise nicht mehr, nee. Ja, war ich. Wie immer. Die Dauerkarte habe ich ja noch."
"Und wie war’s?"
"Auch wie immer seit Anfang der Saison. Einfach traurig."
"Macht ihr mit beim Nichtstun."
"Wir machen mit beim Nichtstun, genau."

Was, wenn Kind nicht mehr Präsident wäre?

Martin Kind, Präsident des Fussball-Bundesligisten Hannover 96
Hannover-96-Präsident Martin Kind ist bei den eigenen Fans höchst umstritten.© picture alliance / dpa - Philipp von Ditfurth
Mader ist kein Ultra, den Stimmungsboykott unterstützt er trotzdem. Beim Spiel in Berlin ist er aber leider nicht dabei.
"Aus Hannover kommt zumindest von uns keiner."
"Dann gibt’s kein Grünkohl dieses Jahr."
"Wenn du wieder herkommst, dann gibt es Grünkohl."
Ich frage mich, ob ich wohl wieder nach Hannover ziehen würde, wenn Kind nicht mehr Präsident wäre? Und komme zu einer klaren Antwort: Nein - aber vielleicht würde ich länger darüber nachdenken als jetzt.
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