Groß und hässlich

Von Irene Meichsner · 18.03.2007
Eigentlich hatte sie nicht nur die breiteste und schwerste, sondern auch die längste Brücke der Welt werden sollen. Dieses Ziel wurde um Haaresbreite verfehlt: Mit 504 Metern Spannweite ist die nur wenige Wochen zuvor in New York eröffnete Bayonne Bridge noch knapp einen Meter länger als die Hafenbrücke von Sydney, die vor 75 Jahren dem Verkehr übergeben wurde.
Hoch hinauf kann man klettern bis zur Spitze des gewaltigen Stahlbogens, an der die Sydney Harbour Bridge hängt, ein einzigartiges Erlebnis, das sich Radioreporter Jens Schüren nicht hat entgehen lassen.

"Geschafft! Ich stehe jetzt direkt unter Blinkible, das ist die Mitte der Harbour Bridge, 134 Meter über dem Meeresspiegel, ein Wahnsinnsblick: Sydney bei Nacht. Man kann über ganz Sydney schauen, einfach atemberaubend. Aber die nächste Gruppe sitzt uns schon wieder im Nacken, deshalb zwingt es uns auf die andere Seite: Jetzt geht es wieder auf unzähligen Stufen Richtung Abstieg."

Quer über den Hafen von Sydney spannt sich die schwerste und breiteste Stahlbogenbrücke der Welt, deren Eröffnung mehrere hunderttausend Menschen am 18. März 1932 mit einem rauschenden Volksfest feierten. Das Design stammte von John Bradfield, einem australischen Bauingenieur, der sich von der Hell Gate Bridge, einer berühmten Eisenbahnbrücke in New York, hatte inspirieren lassen. Jack Lang, damals Ministerpräsident des australischen Bundesstaats "New South Wales", schrieb über ihn später:

"Bradfield wollte der Napoleon von Sydney sein. Er hatte bombastische Visionen, wollte dafür alles einreißen. Er dachte immer an die Zukunft. Er war wohl der erste, der sich Sydney bei seinen Plänen als eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern vorgestellt hat."

Gleich nach ihrer Freigabe wurde die 503 Meter lange und fast 50 Meter breite Hafenbrücke zu einem von Sydneys wichtigsten Verkehrsknotenpunkten, mit sechs Straßenspuren, jeweils einem Fuß- und Fahrradweg, zwei Bahngleisen und zwei Straßenbahnschienen, die später durch zwei weitere Straßenspuren ersetzt wurden. Die Brücke ruht auf vier riesigen Stahlstelzen. Die massiven, mit Granit verkleideten Pfeiler auf beiden Seiten dienen vor allem der Dekoration. Bradfield widmete sie

"den tapferen Australiern und ihren tapferen britischen Kameraden, die ihr Leben für das Empire hergaben"."

Pläne für eine Hafenbrücke gab es schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Aber erst nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie ernsthaft verfolgt. Dass die 1924 aufgenommenen Bauarbeiten trotz wirtschaftlicher Depression glücklich vollendet werden konnten, deutete Bradfield als Zeichen von nationalem Siegeswillen.

""Mein Dank gilt auch den Arbeitern, die das Vertrauen, das wir in sie setzten auf so großartige Weise gerechtfertigt haben. Was sie leisteten, ist fantastisch, eine Ehre für das industrielle Australien."

53.000 Tonnen Stahl wurden verbraucht, die einzelnen Teile mit rund sechs Millionen Nieten zusammengefügt. Harry Tomrop, einer der Mechaniker, erzählte später:

"Die Einzelteile wurden auf großen Booten in den Hafen transportiert. Unsere Aufgabe bestand darin, sie aufzurichten. Sie mussten absolut eng aneinander liegen, bevor man sie vernieten konnte. Der Lärm war manchmal fürchterlich. Man konnte kaum stehen, musste sich immer festhalten."

Tomrop war es mit zu verdanken, dass es für Arbeiten in großer Höhe schließlich einen Gefahrenzuschlag gab. Judge Swindell, der mit einer entsprechenden Klage befasste Richter, war am Ende selber auf den Bogen geklettert, hatte einmal ängstlich hinunter geschaut und dann nur noch gesagt:

"Gebt ihnen, was sie wollen."

Dabei waren viele froh, dass sie überhaupt einen Job hatten. Manche standen mitten in der Nacht auf, um rechtzeitig auf der Baustelle zu sein. Sie hatten ständig Angst entlassen zu werden, wenn sie sich nicht voll konzentrierten, arbeiteten elf bis zwölf Stunden am Tag.

Durch den neuen Hafentunnel wurde die Brücke Anfang der 90er Jahre deutlich entlastet. Aber noch heute erfüllt der Anblick des imposanten Bauwerks, wegen seiner markanten Form "Old Coat hanger" ("Alter Kleiderbügel") genannt, die Australier mit Patriotenstolz. Dass es unter ästhetischen Gesichtspunkten vielleicht nicht den allerhöchsten Ansprüchen genügt, steht auf einem anderen Blatt. Der amerikanische Schriftsteller James Michener formulierte es so:

"Um in Australien vorwärtszukommen, sagst Du den Leuten am besten zweierlei. Erstens: 'Ihr habt die schönste Brücke der Welt'. Und zweitens: 'Ich hörte, Ihr habt England wieder mal haushoch im Kricket besiegt.‘ Das Erste wird gelogen sein. Die Sydney-Brücke ist groß, ausgesprochen nützlich und das Symbol von Australien, wie die Freiheitsstatue oder der Eiffelturm. Aber sie ist sehr hässlich. Nur gibt das kein Australier zu."