Gottesdienst ohne Gott

Von Christina Küfner · 17.05.2013
Auch viele Menschen, die nicht an einen Gott glauben, sehnen sich nach jenen Ritualen, die eine Kirchengemeinde zusammenschweißen. Das zeigt ein Beispiel aus Großbritannien: In London finden regelmäßig Sonntagsversammlungen für Ungläubige statt - mit Gesang und Predigt, aber ganz ohne Gott.
Eine knappe Stunde noch, dann wird die Conway Hall - ein holzgetäfelter Festsaal im Zentrum von London - zu einem völlig gottlosen Ort. Sanderson Jones steht auf der Bühne und geht mit seinen Musikern noch einmal durch, wie alles ablaufen soll.

Erst die Begrüßung, dann einige Lesungen. Dazwischen Musik und Gesang, zum Schluss eine Ansprache. Vom Ablauf her ist die "Sunday Assembly", die Sonntagsversammlung für Ungläubige, einem Gottesdienst verblüffend ähnlich. Das sei auch gar nicht verwunderlich, sagt Sanderson Jones während er sein Manuskript sortiert. Denn bis auf die Sache mit Gott laufe in den Kirchen ja eigentlich auch alles richtig.

"Es werden Lieder gesungen und Vorträge gehalten, die einen dazu bringen über sein eigenes Leben nachzudenken. Außerdem ist da dieses tolle Gemeinschaftsgefühl. Nur leider steht im Zentrum von alldem etwas, an das ich einfach nicht glauben kann."

Sanderson Jones sieht - paradoxerweise - aus wie ein Bilderbuch-Jesus: Knapp zwei Meter groß, blondes langes Haar, dazu ein rauschender Vollbart. Von Beruf ist der 32-jährige Brite Komiker. Zusammen mit einer Kollegin aus der Londoner Comedy-Szene hat er die Sonntagsversammlungen für Atheisten ins Leben gerufen. Nicht, um sich über die Kirche lustig zu machen. Sondern weil er findet, dass man keinen Glauben haben muss, um gemeinsam singen, feiern und nachzudenken zu können.

Einfach das Leben feiern

"Auch ich habe Werte, die mir sehr wichtig sind, die ich gern mit anderen teilen und mich mit ihnen darüber freuen möchte. Warum also soll ich darauf verzichten? Warum nicht einfach das Leben feiern - anstatt einer Religion?"

Draußen, in der Eingangshalle, treffen die ersten Zuschauer ein. Viele junge Leute, aber auch etliche Ältere. Eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt ist mit ihrer Mutter gekommen.

Tochter: "Ich glaube, man kann auch ohne eine Religion ein guter Mensch sein. Ich habe nichts gegen die Grundsätze der Religion, aber mir gefällt einfach nicht, wie sie vermittelt werden."

Mutter: "Kathy war schon mal hier und hat erzählt wie toll das war. Da wollte ich mir das auch mal anschauen."

Der gut gekleidete Architekt, der ein paar Meter weiter steht, kommt bereits zum zweiten Mal zur Sonntagsversammlung für Ungläubige.

Mann: "Wenn man nicht so viel mit Gott und der Kirche am Hut hat, dann macht es Spaß hierher zu kommen, ein bisschen zu singen und sich interessante Gedanken anzuhören. Es gibt jedes Mal Vorträge von Gastrednern - man lernt also auch etwas dabei."

Sanderson Jones hat inzwischen einen knallroten Strickpulli mit schillernden Pailletten übergezogen - ein bisschen Ironie muss sein. Dann stellt er sich an die Saaltür und begrüßt jeden Zuschauer per Handschlag. Fast wie ein richtiger Pfarrer.

Kurze Zeit später ist der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Sanderson Jones rennt nach vorn zur Bühne, bittet die rund 300 Zuschauer aufzustehen - und dann geht es auch schon los.

Ein alter Hit von Cindy Lauper zum Warmwerden. Über einen Beamer wird der Text auf eine Leinwand projiziert, damit alle mitsingen können - was die Zuschauer auch tun. Das Gruppen-Karaoke zeigt Wirkung: Die Stimmung ist gelöst und Sanderson Jones hat das Publikum von der ersten Pointe an auf seiner Seite.

Gottlos, aber nicht sinnfrei

Humor ist die wichtigste Zutat bei dieser Veranstaltung, die sich zwar gottlos nennt, aber keineswegs sinnfrei sein will. Jede Sonntagsversammlung für Ungläubige steht unter einem bestimmten Motto, diesmal heißt es: "Spielen". Sanderson Jones lädt die Zuschauer deshalb zu einer kleinen Übung ein: jeder soll sich zu seinem Sitznachbarn umdrehen und ihm in einem bestimmten Rhythmus auf die Hände klatschen.

Binnen weniger Sekunden hat sich der ganze Saal in einen überdimensionalen Schulhof verwandelt. In Zweiergruppen stehen die Zuschauer einander gegenüber, klatschen sich - mehr oder weniger rhythmisch - auf die Hände und lachen sich dabei schlapp. Ein halbes Dutzend Journalisten reckt ungläubig Mikrofone und Kameras in die Höhe - erstaunt und fasziniert von so viel spontaner Fröhlichkeit.

"Ich glaube, das Geheimnis der Sonntagsversammlung ist, dass einem heutzutage niemand sagt, wie toll es eigentlich ist zu leben - es ist nämlich wie ein riesiger Lottogewinn."

Sagt Sanderson Jones bevor er zum nächsten Programmpunkt überleitet: die Zuschauer sollen kurz darüber nachdenken, wie viele spielerische Momente es in ihrem Leben eigentlich noch gibt - und ob es nicht vielleicht wieder ein paar mehr werden könnten. Tatsächlich wird es in dem Saal eine halbe Minute lang wirklich still.

Kurz vor Schluss noch das, was man in der Kirche als Klingelbeutel kennt: Sanderson Jones reicht eine Blechdose ins Publikum und bittet um eine Spende für die Künstler, denn der Eintritt zur "Sunday Assembly" ist kostenlos. Viele werfen einen Schein hinein - das unangestrengte Gemeinschaftserlebnis hat die Zuschauer überzeugt.

Mädchen: "Wenn man das Gefühl in einer Kirche eigentlich mag, selbst aber Atheist ist, dann ist man hier genau richtig."
Mann: "Mir hat vor allem die Interaktion heute gefallen. Es ist der Beweis, dass Fremde sich anlächeln können, sich sogar berühren oder in die Hände klatschen können, woraus sich dann jede Menge Gespräche entwickeln."
Frau: "Ich gehe von hier weg und bin glücklich. Und man muss sich wegen nichts schuldig fühlen."

Und dann bittet Sanderson Jones die Zuschauer noch einmal aufzustehen und mitzusingen. Einen Song von Fleetwood Mac diesmal, dessen Titel wohl sicher auch als Botschaft verstanden werden kann: "Go your own way - Geh Deinen eignen Weg."