Goji-Beere

Keine Wunderfrucht - sondern lebensgefährlich!

Ein Schüssel mit Müsli und getrockneten Goji-Beeren.
Mmh, lecker: Müsli mit getrockneten Goji-Beeren. Aber halt! Die roten Früchte gefährden unsere Gesundheit, warnt Udo Pollmer. © imago/Westend61
Von Udo Pollmer · 01.04.2016
Goji-Beeren seien Wunderfrüchte mit einzigartigen Super-Nährstoffen, versprechen Marktschreier - und selbst anerkannte Medien überschlagen sich vor Begeisterung. Nur einer will den Hype nicht mitmachen: Udo Pollmer. Er warnt: Das Obst gehört in die Apotheke.
"Die einzigartige Ansammlung von Super-Nährstoffen" prahlt eine frequentierte Website mit Gesundheitstipps, "macht die Goji-Beere zu einem der besten Lebensmittel der Welt. Sie schenkt uns optimale Leistungsfähigkeit und ein langes gesundes Leben." Gibt es einen verdächtigeren Hinweis auf ein fragwürdiges Lebensmittel als diese warmen Worte? Soviel Überschwang macht misstrauisch.
Misstrauisch macht auch der Tatbestand, dass es sich bei den roten Goji-Beeren um Verwandte von Tabak, Bilsenkraut und Tollkirsche handelt – also um Nachtschattengewächse.
Natürlich essen wir auch Paprika, Tomaten oder Kartoffeln. Doch bei Kartoffeln ist seit Generationen bekannt, dass man sie schälen muss, oder, dass man Tabakblätter nicht zu Smoothies verarbeiten darf. Solcherlei Kenntnisse fehlen bei vielen Lebensmitteln, die aus fremden Kulturen zu uns kommen.

Als Droge nicht gut genug

Die Verwandtschaft zu Tollkirsche und Co. weckte die Neugier der Freunde "bewusstseinserweiternder" Pflanzen. In der Tat findet man in der Goji-Beere bekannte Drogen. Doch die Gehalte an Scopolamin – die Droge im Bilsenkraut – und an Atropin – die Droge in der Tollkirsche – sind zu niedrig, um spürbare Effekte zu erzielen.
Seltsamerweise finden sich in chinesischen Quellen Formulierungen wie: die Beeren sorgen für "schöne Augen". Klingt wie ein Hinweis auf größere Pupillen – und damit auf Atropin!
Nun gibt es zu allem Überfluss zumindest eine Untersuchung, die in der Frucht reichlich Atropin nachwies. Doch hier scheint der Grund eine Verwechslung mit einer verwandten Art zu sein, die deutlich höhere Gehalte aufweisen kann.
Aber woher weiß der Kunde, dass er nicht ebenfalls Opfer von ähnlich aussehenden Früchten wird? Wenn die Beeren verarbeitet sind, zum Beispiel als Getränk, kann niemand sicher wissen, ob er auch von den "richtigen" Goji-Beeren speist. Auf dieser Welt gibt es viele rote Beeren, die ähnlich aussehen und von denen nicht wenige giftig sind.

Medikamente gehören in die Apotheke

Der Umstand, dass die Beere in China als Heilpflanze gilt, kommt heute fast einer Heiligsprechung gleich, obwohl vernünftige Menschen dadurch eher gewarnt sind. Denn das heißt ja nur, dass ein oder mehrere Inhaltsstoffe als Arzneistoffe eingestuft werden müssen. Doch Medikamente haben im Essen nichts verloren - weder im Fruchtsaft noch im Schnitzel. Sie gehören in die Apotheke – nicht ins Obstregal.
So gerieten Patienten, die blutverdünnende Pillen eingenommen hatten, nach dem Konsum eines Goji-Saftes in Lebensgefahr. Da Goji ebenfalls blutverdünnend wirkt, traten innere Blutungen auf. Die Beere schädigt - wie viele Medikamente - offenbar auch die Leber, es sind Fälle von Hepatitis dokumentiert, z. B. durch Konsum der Beeren als Tee.
Goji-Beeren stören in der Leber den Cytochrom-Stoffwechsel – damit sind die Wirkungen von Medikamenten nicht mehr kalkulierbar.
Auf jeden Fall sollten Allergiker Vorsicht walten lassen. Die Zunahme allergischer Reaktionen, zum Teil mit lebensbedrohlichem anaphylaktischen Schock, veranlasste spanische Ärzte dazu, ihre Patienten einem Provokationstest zu unterziehen. Zu ihrer Verwunderung reagierten von insgesamt 30 Personen gleich 24 auf Goji-Beeren – und das obwohl die meisten von ihnen nie Goji gespeist hatten. Der Grund sind zahlreiche Kreuzallergien mit Tomaten, Nüssen, Pfirsichen, Kiwis, Ambrosia und Latex.

Allergien gegen Lebensmittel dank Goji-Beere

Damit steht zu befürchten, sich per Goji erst Allergien gegen normale Lebensmittel einzufangen. Die beliebte Umschreibung eines "Superfoods" als "immunstärkend" darf man getrost als Hinweis auf Allergenität werten.
Da die Pflanze auch bei uns gedeiht, wächst das Interesse der Gartenbesitzer. Doch Vorsicht! Goji ist ein wucherndes Unkraut, eine gefürchtete invasive Art, deren man nicht mehr Herr wird.
Da ist es schon besser, wenn die Chinesen ihre Sträucher auf Überschwemmungsflächen anbauen. In den dortigen Plantagen verursachen Schädlinge und Krankheiten erhebliche Probleme. Aber bei einer so gesunden Beere können uns etwaige Rückstände aus chinesischen Pflanzenschutzmitteln vermutlich nichts mehr anhaben. Mahlzeit!
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