Göring-Eckardt: Bund soll Kinderbetreuungskarte finanzieren

Moderation: Hanns Ostermann · 22.06.2007
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, hat die Einführung einer Kinderbetreuungskarte als Bundesleistung gefordert. Die Betreuungskarte solle ein Gutschein sein, mit dem Eltern Kindergarten oder Tagespflege bezahlen könnten, sagte die Grünen-Politikerin.
Hanns Ostermann: Deutschland mag ein Land sein, das viele Chancen bietet, ein Land für Kinder ist es nicht. Eltern wissen das und der jüngste Familienbericht – übrigens noch von Rot-Grün in Auftrag gegeben – hat das eindrucksvoll bestätigt. Auf knapp 600 Seiten wird dort detailliert aufgelistet: Deutschland liegt im europäischen Vergleich weit zurück, was den Kinderwunsch generell und Kinderbetreuungseinrichtungen betrifft. Bei den Ausgaben für familienpolitische Leistungen sind wir immerhin im Mittelfeld, und jetzt das Erfreuliche: Es wird mittlerweile wieder mehr miteinander gegessen als vor zehn Jahren: 25 Minuten mehr pro Woche. So ganz unwichtig ist das ja nicht. Der Familienbericht wird heute im Bundestag diskutiert und die drei Oppositionsparteien haben ihre Anträge formuliert. Auch die Bündnisgrünen, bei denen die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring Eckardt, zu den Unterzeichnern gehört. Guten Morgen, Frau Göring Eckardt.

Katrin Göring Eckardt: Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Kinder zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr brauchen einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung und zwar vom Januar 2008 an, so heißt es bei Ihnen. Ist das wirklich der entscheidende Schritt für eine familienfreundlichere Gesellschaft?

Göring Eckardt: Es ist zumindest ein entscheidender Schritt und wir haben das aufgenommen, was der Familienbericht sagt. Der macht ja sehr deutlich, dass es um einen Mix geht aus Infrastruktur auf der einen Seite, Existenzsicherung für Kinder auf der anderen Seite und natürlich auch Zeitpolitik, da geht es auch um das, was die Unternehmen zu tun haben. Aber wir wissen ja heute, dass die Frage von Chancengerechtigkeit eben bei den ganz Kleinen anfängt, dass wir gerade die Kinder aus bildungsfernen Schichten haben, die eben weniger Chancen haben, dann bis hin zu Schule, bis hin zu Studium, Ausbildung, etc. Für die ist dieser Rechtsanspruch ganz wichtig. Und natürlich in zweiter Linie, aber auch nicht zu unterschätzen, dafür, dass Familie und Beruf miteinander verbunden werden können, und da haben wir in Deutschland ja einen riesigen Nachholbedarf, wie nicht nur der Familienbericht festgestellt hat.

Ostermann: Die ganztägige Betreuung von kleinen Kindern kostet Geld, und hier bringen Sie eine Kinderbetreuungskarte ins Gespräch, und zwar als Bundesleistung. Was soll denn die sicherstellen?

Göring Eckardt: Die Kinderbetreuungskarte ist die Idee, dass wir nicht mehr darauf warten, dass sich die Länder einigen, dass wir nicht mehr so riesengroße Unterschiede haben wollen zwischen den Ländern, dass es auch nicht mehr das Hick-Hack gibt, wer nun wie viel bezahlt für die Kinderbetreuung, sondern dass wir sagen: Es ist ein so vordringliches Problem, was wir in Deutschland haben – auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, insbesondere zu den skandinavischen, erfolgreichen Ländern – dass wir sagen: Wir wollen eine Bundesleistung, diese Kinderbetreuungskarte ist quasi ein Gutschein, der – jetzt wird’s ein bisschen technisch – über ein Geldleistungsgesetz an die Kommunen kommt, an die Eltern kommt, und wo wir dann sagen: Ja, damit kann die Kinderbetreuung bezahlt werden, entweder die ganz normale Kindereinrichtung, oder auch die Kindertagespflege, und damit haben die Eltern dann eine wirkliche Chance auch, ihren Rechtsanspruch einzulösen.

Ostermann: Aber was ist mit Müttern oder Familien, die sagen, wir wollen uns länger intensiv mit den Kindern beschäftigen? Also, ist damit die Wahlfreiheit garantiert?

Göring Eckardt: Ich glaube, was wir heute haben, ist eben nicht Wahlfreiheit. Heute haben wir die Situation, dass immer noch sehr, sehr viele Eltern davorstehen und wissen, wir haben eigentlich keine Kinderbetreuungsmöglichkeit, und – was ein anderes Problem ist – auch keine gute, keine qualitativ gute Kinderbetreuungsmöglichkeit, dort, wo wir sie brauchen. Und um die Wahlfreiheit überhaupt erst mal zu gewährleisten, brauchen wir den Rechtsanspruch, übrigens mit einer Übergangsfrist bis 2010, wir werden das ja nicht überall sofort in der Größenordnung haben, wie wir es tatsächlich brauchen. Und wir haben die Kinderbetreuungskarte, mit der dieser Rechtsanspruch auch eingelöst werden kann, mit der es dann auch finanzierbar wird.

Ostermann: Ja, aber was machen die Familien, noch mal, wo die Kinder zu Hause bleiben? Da gibt es also kein zusätzliches Geld?

Göring Eckardt: Die Familien, wo die Kinder zu Hause bleiben, machen es genau wie heute und haben nicht die Möglichkeit, mit der Kinderbetreuungskarte in eine Einrichtung zu gehen, weil sie sie nicht in Anspruch nehmen wollen, aber sie können natürlich, genau wie heute, ihre Kinder weiterhin zu Hause betreuen. Und das ist zunächst mal gar kein Nachteil, weil das die Situation ist, die wir heute haben und wo viele sagen, die wir heute leider haben. Und wir wollen dem Teil, den wir heute noch nicht haben, Abhilfe schaffen.

Ostermann: Frau Göring Eckardt, derzeit hagelt es Begriffe wie Kindergeld, Kinderfreibetrag, Elterngeld und schließlich Betreuungsgeld. Ist der Verdacht so völlig unbegründet, dass wir uns von einer tiefergehenden Diskussion freikaufen? Immerhin leben ja zwei Millionen Kinder bei uns unter der Armutsgrenze.

Göring Eckardt: Das ist ein riesiges Problem, was wir in Deutschland haben und was genau zu dem führt, was ich anfangs sagte, nämlich, dass diese Kinder nicht nur in materieller Armut leben, sondern auch zugleich sehr, sehr viel weniger Chancen haben. Deswegen ist der Ausbau der Infrastruktur so wichtig, deswegen übrigens auch die Kinderbetreuungskarte so wichtig, weil sie natürlich gerade denen hilft, die möglicherweise arbeitslos sind, möglicherweise sagen, das Geld, um die Kinderbetreuungseinrichtung zu bezahlen, haben wir am allerwenigsten übrig. Das ist ja auch nicht nur der Beitrag, da hängt ja vieles andere dran. Und da müssen wir von Anfang an dafür sorgen, dass es mehr Chancen gibt, und wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass es wirkliche Existenzsicherung gibt. Ich sage mal ein Beispiel: Wir haben erlebt, dass sich ganz viele dieser Kinder in Deutschland vom Schulessen abgemeldet haben. Und auch in der Kindertagesstätte – wenn sie denn hingehen – schon vor dem Essen nach Hause gehen. Und das ist eine Situation, die dazu führt, dass es erstens häufig nicht das Essen gibt, was sie brauchen, nämlich ein gesundes Essen, was dann auch präventiv in vielen Gesundheitsbereichen wirkt, und dass es eben häufig dazu führt, dass gar nichts Ordentliches auf den Tisch kommt. Und das ist ein Punkt, wo wir sagen: Da muss Abhilfe geschaffen werden, weil wir nicht zulassen wollen, dass die Kinder, deren Eltern ja unverschuldet in aller Regel in einer prekären Situation leben, diese prekäre Situation erben und dann schlechtere Chancen in Schule, Ausbildung und quasi im Leben haben.

Ostermann: Heute wird der Familienbericht im Deutschen Bundestag diskutiert. Das war Katrin Göring Eckardt von den Bündnisgrünen, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Ich danke Ihnen für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.