Gewehre in Bürgerhand

Von Otto Langels · 17.11.2006
Rufe nach einer schärferen Waffenkontrolle in den USA haben in der Vergangenheit wenig bewirkt. Die Lobby der Waffenbesitzer verweist stets auf das in der Verfassung verbriefte Recht des amerikanischen Volkes, Pistolen oder Gewehre zu besitzen. Die mächtigste Stimme in diesem Chor ist die National Rifle Association.
"Der Staat New York erlaubt der Nationalen Schusswaffenvereinigung, Schießübungen zu veranstalten und zu diesem Zweck eine ausreichende Zahl von Schießständen in der Nähe von New York bereit zu stellen sowie die Schießkunst und den Schützensport unter der Nationalgarde New Yorks und den Milizen anderer Staaten einzuführen und systematisch zu fördern."

Mit dieser Urkunde vom 17. November 1871 besiegelte der Staat New York offiziell die Gründung der National Rifle Association, kurz NRA. Oberst William C. Church und General George Wingate, Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs, waren über die schlechten Schießkünste der Soldaten so entsetzt gewesen, dass sie beschlossen, einen nationalen Schusswaffenverband ins Leben zu rufen. Church, Herausgeber der Armee- und Marine-Zeitschrift der Vereinigten Staaten, schrieb im August 1871:

"Man sollte eine Vereinigung gründen, um die Schießkunst auf wissenschaftlicher Grundlage zu fördern. Die Nationalgarde ist heutzutage zu unbeweglich, um eine entsprechende Reform einzuleiten. Eine private Initiative muss dieses Anliegen aufgreifen und vorantreiben."

Nach dem Vorbild der 1859 in Großbritannien entstandenen Rifle Association gründeten Church und Wingate zwölf Jahre später die amerikanische Vereinigung. Ambrose Burnside, ein ehemaliger Gouverneur von Rhode Island und US-Senator, wurde ihr erster Präsident.

Da auch ehemalige schwarze Sklaven sich an den Schießübungen beteiligen sollten, stieß der Verband in den Südstaaten zunächst auf Ablehnung. Der rassistische, terroristische weiße Geheimbund Ku-Klux-Klan bekämpfte die NRA. Aber auch Politiker wie der New Yorker Gouverneur Cornell lehnten den Bürger-Soldaten ab. Er veranlasste die Schließung des ersten Schießstandes auf Long Island. Die "älteste Bürgerrechtsorganisation der USA", wie die National Rifle Organisation sich später selbst bezeichnete, berief sich dagegen auf den zweiten Verfassungszusatz von 1791:

"Eine gut regulierte Miliz, sofern sie notwendig ist für die Sicherheit eines freien Staates, das Recht des Volkes auf Waffenbesitz und das Tragen von Waffen, darf nicht eingeschränkt werden."

Über die Auslegung der Verfassung streiten Waffengegner und -befürworter bis heute. In der preisgekrönten Dokumentation "Bowling for Columbine" des Filmemachers Michael Moore erklärte der Hollywood-Schauspieler und frühere NRA-Vorsitzende Charlton Heston:

"Der zweite Zusatz zur Verfassung gibt mir das Recht, eine geladene Waffe zu haben. Ich übe ein Recht aus, dass mir kluge, alte, weiße Männer gegeben haben, die dieses Land erfunden haben. Wenn es gut für sie war, ist es gut für mich."

Seit dem Blutbad an der Columbine High School in Colorado im April 1999 erschossen Gewalttäter allein an amerikanischen Schulen über 200 Menschen. Statt schärfere Waffengesetze zu beschließen, wie sie etwa der Regisseur Michael Moore fordert, wurden an den Schultoren Metall-Detektoren aufgestellt und Sicherheitskräfte engagiert.

Jährlich werden in den USA mehr als 10.000 Menschen erschossen. Zu den weit über 200 Millionen Pistolen, Revolvern und Gewehren, die im Umlauf sind, kommen jedes Jahr drei Millionen neue Schusswaffen hinzu. Dies sei ein Beitrag zur Verbrechensbekämpfung, behauptete der Vizepräsident der NRA, Wayne LaPierre, im Februar 2006 auf einer Konferenz konservativer Politiker in Washington:

"Während die Zahl der amerikanischen Waffenbesitzer und Waffen in Privatbesitz in diesem Land immer hoch gewesen ist, befindet sich die Kriminalitätsrate auf dem niedrigsten Stand aller Zeiten."

Im Kampf um das Recht, eigene Waffen zu besitzen, kann sich die NRA auf vier Millionen Mitglieder und einflussreiche, finanziell gut ausgestattete Lobbyisten in Washington stützen. Über 40 Prozent der amerikanischen Haushalte besitzen Schusswaffen - ein enormes Wählerpotenzial. So konnte Wayne LaPierre auf der Washingtoner Konferenz triumphierend verkünden:

"Lassen Sie mich Ihnen sagen, warum ich hier bin. Ich bin hier, um Ihnen heute mitzuteilen, dass die Waffenkontrolle tot ist."
Filmemacher und Autor Michael Moore
Filmemacher und Autor Michael Moore bezog Stellung gegen die Waffenlobby.© AP