Gewaltspiele zum Friedensfest

Überlegungen von Pädagoge Michael Felten · 23.12.2008
Ballerspiele - bisher dachte ich, das sei wie Schießbude auf der Kirmes. Jetzt hat mir ein versierter Freund mal einiges gezeigt. Von wegen harmloser Trefferspaß: stundenlanges Quälen animierter Menschbilder, Gliedmaßen abhacken, gezielte Kopfschüsse, Bombenlegen.
Das ganze nicht als Film, den man passiv über sich ergehen lässt, sondern interaktiv – man steuert mit seiner Konsole eine Hauptfigur, von der nur Hände und Waffen zu sehen sind. Eine hoch emotionale Identifikation also - und wer am Schluss die meisten Opfer aufweist, bekommt auch die meisten Punkte. Verständlich, dass man bei Schlägereien neuerdings halbtot getreten wird, selbst wenn man schon am Boden liegt: die Schläger sind das halt so gewohnt - dreimal erlegt, dreifacher Bonus.

Es sind vor allem junge männliche Wesen, die heute auf solche Perversionen abfahren. Nicht mehr Kind, noch nicht Mann - da fühlt man sich angeblich schnell minderwertig, da fasziniert einen alles, was scheinbar Größe und Allmacht verleiht. Ein lebensverachtender Kämpfer, dessen aggressiv-dominante Lebensweise Erfolg hat – das macht doch mehr her, als binomische Formeln zu lernen oder Mädchen anzusprechen; nur ein paar Klicks, zack – Rübe ab, dumdum – Weg frei. Häufig genug virtuell trainiert, sitzt die Lektion dann aber auch im real life: Warum Konflikte mühsam konsensorientiert-zivilisiert regeln, wenn das Gesetz der Stärke doch auch funktioniert? So lernen manche schon vor dem Schulabschluss, was skrupellose Söldner können – in Zeiten weltweiter NATO-Kämpfe vielleicht kein ungelegener Nebeneffekt. Die ersten Killerspiele hat jedenfalls das amerikanische Militär erfunden, um die Treffsicherheit zu erhöhen und Tötungshemmungen abzuschwächen – in früheren Kriegen hatten die Soldaten nämlich häufig daneben geschossen, hatten zu menschlich reagiert.

Man hofft natürlich, dass Jugendschutzbehörden alles Erdenkliche unternehmen, um die Flut virtueller Gewalttrainings einzudämmen. Das Prozedere bei Altersempfehlungen und Freigabesiegeln erinnert allerdings eher an Blinde-Kuh - die ehrenwerten Gutachter lernen die Spiele nur in Ausschnitten kennen. Und wenn die auswählenden Tester selbst Spielernaturen sind, arbeitet der Bock als Gärtner.

Aber nicht nur die alte Frage "Wer kontrolliert die Kontrolleure?" wirft düstere Schatten - bei den Spielen geht es auch um Umsätze in Milliardenhöhe. In Köln ist kürzlich ein medienpolitisches Bermuda-Dreieck aufgeflogen. Die Spieleindustrie sponsert der dortigen Fachhochschule ein Institut mit der vielsagenden Bezeichnung "Spielraum" – und aus diesem sprudelt ein Unbedenklichkeitsgutachten nach dem anderen. Ein – hoffentlich nur naives – Bundesamt brachte derlei "Erkenntnisse" auch noch mit Steuergeldern unters ahnungslose Volk. Die Lernstörungen, die Abstumpfung, die Verrohung durch Killerspiele – das alles sei nur Panikmache. Andere unheimliche Experten schwärmen vom Erwerb strategischer Kompetenzen – gute Honorare machen das Gewissen eben geschmeidig. Natürlich löst ein Gewaltvideo keinen Amoklauf aus – dass aber der Dauerbeschuss durch hochaggressive Bildfolgen die Psyche von labilen Jugendlichen deformiert, ist in der unabhängigen Fachwelt unstrittig.

Wären Eltern doch nicht so gleichgültig gegenüber den Festplatten ihrer Söhne – und würden ebenso entschlossen dagegen einschreiten wie gegen Drogenkonsum! Andererseits ist es alleine mit Verboten und Einschränkungen bei PC-Gewalt nicht getan. Aggression und Einsamkeit an Monitor und Tastatur sind doch nur so lange attraktiv, wie das wirkliche Leben die jugendlichen Kräfte brach liegen lässt: so wenig Aufmerksamkeit bei den Erwachsenen, so wenig packende Betätigungsfelder, so wenig Gelegenheit zu sozialer Verantwortung.

"Die wollen doch nur spielen", warb kürzlich eine Computermesse. Aber das ist Quatsch: Junge Männer wollen eigentlich etwas anderes: Sie wollen ernst genommen, wollen gebraucht werden. Vor 80 Jahren wurde in Russland ein Pädagoge berühmt, der es schaffte, verwahrloste Jugendliche an nützliche Arbeit heranzuführen. Makarenkos Geheimnis: Aufgaben stellen, Zuwendung bieten, Führung zeigen. Wir heute bieten 18-jährigen genau das Gegenteil: Rundum-Versorgung, Desinteresse, Laschheit. Es ist höchste Zeit für neue Makarenkos: Nicht Umerziehungslager wären ihr Dienstort, sondern mehr und besser ausgestattete Jugendzentren; oder selbstverwaltete kommunale Projekte; womöglich gar die Familie – väterliche Mentoren nämlich, die die Männer der Zukunft vor Rambokarrieren bewahren, indem sie mit ihnen etwas Sinnvolles zu tun haben. Solche Makarenkos mögen Geld kosten – aber gewiss nur einen Bruchteil der Kosten künftiger Jugendkriminalität.

Michael Felten, geboren 1951, arbeitet seit 28 Jahren als Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Köln. Er ist Autor von Unterrichtsmaterialien und Präventionsmedien, Erziehungsratgebern und pädagogischen Essays. Dabei geht es ihm darum, den Praxiserfahrungen der Lehrer in der öffentlichen Bildungsdebatte mehr Gehör zu verschaffen. Frühere Veröffentlichungen: "Kinder wollen etwas leisten" (2000), "Neue Mythen in der Pädagogik" (2001), "Schule besser meistern" (2006). Kürzlich erschienen: "Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule". Seit Herbst 2007 gestaltet Michael Felten eine eigene Website zu pädagogischen Themen:

www.eltern-lehrer-fragen.de