Gesellschaftliche Lager

APO Adieu!

Anlässlich des 50. Jahrestags der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht demonstrieren am 18.01.1969 in Westberlin rund 1000 vorwiegend studentische Anhänger der APO (Außerparlamentarische Opposition) gegen die SPD
Demonstration mit Anhängern der Außerparlamentarischen Opposition. Die APO sorgte für eine grundlegende Modernisierung der Gesellschaft. © picture alliance / dpa / Chris Hoffmann
Von Max Thomas Mehr · 02.06.2017
Die Erschießung Benno Ohnesorgs war ein Schlüsselmoment der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte und eine Tat, die die jahrzehntelange Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager markiert. Der Publizist Max Thomas Mehr sieht Anzeichen für ein Ende dieser Teilung.
Der zweite Juni 1967 war ein Freitag. Ich war 13 Jahre alt. Vom tödlichen Schuss des Polizisten Karl Heinz Kurras auf den Studenten Benno Ohnesorg am Rande einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin habe ich zuhause in der dörflichen Provinz Niedersachsens nichts mitbekommen. Auch nicht vom Attentat Josef Bachmanns auf Rudi Dutschke zehn Monate später. Wir hatten noch keinen Fernseher. Und doch haben diese Angriffe der Staatsgewalt und des durch die Springer-Presse aufgehetzten Hilfsarbeiters auf zwei Rebellen der jungen Bundesrepublik meine politische Biografie geprägt.
Mit dem Schuss auf Benno Ohnesorg signalisierte die damals regierende große Koalition unter CDU Führung den aufbegehrenden Studenten: Wir haben die Macht und "ihr" werdet abgeschoben – aufs Abstellgleis. Es ist die Geburtsstunde der außerparlamentarischen Opposition, der APO, der Achtundsechziger. Ein Abgrund zwischen dem "Ihr" und "Wir" öffnete sich.

Altnazis gaben den Ton vor

Doch der Schuss ging nach hinten los: Es begann eine einzigartige Periode politischer Produktivität: Die Demonstration gegen den Schah war nur die Ouvertüre. Es gab viele Anlässe zum Protest, weil die Regierenden der großen Koalition und die überwiegenden Teile der Öffentlichkeit sich allzu oft auf die Seite der autoritären Regimes stellten und auch daheim noch etliche Altnazis in Polizeiführungen als Lehrer oder sogar im Elternhaus den autoritären Ton vorgaben.
In Vietnam werde die Freiheit West-Berlins verteidigt, tönte seinerzeit ein Regierender Bürgermeister der SPD in Berlin.

Die "nachholenden Achtundsechziger" wurden politisiert

Die APO sorgte dagegen für eine grundlegende Modernisierung der Gesellschaft – Stichwort: das Private ist politisch. Frauenemanzipation und Schwulenbewegung, antiautoritäre Kinderläden, aber auch die Impulse der Alternativ- und Anti-Atomkraftbewegung sind heute aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken.
Wir "nachholenden Achtundsechziger" wurden so ins "ihr" hinein politisiert. Mit irren Brüchen und komischen Ungleichzeitigkeiten. Vom braven Konfirmanden 1968 war es ein sehr kurzer Weg zum allerletzten Jimi-Hendrix-Konzert auf der Insel Fehmarn zwei Jahre später, das von Drogenexperimenten und natürlich auch vom Schuleschwänzen begleitet war.

Die Rebellen kamen an die Macht

Das kurze Jahrzehnt meiner Politisierung endete mit der Gründung der "TAZ" nach dem "Deutschen Herbst" 1977, als RAF-Terroristen – auch ein Zerfallsprodukt der Achtundsechziger-Bewegung – noch glaubten, mit der Entführung von Flugzeugen oder der Ermordung von Wirtschaftsbossen ihre im Knast einsitzenden Genossen freipressen und eine Revolution herbeibomben zu können.
Ungefähr zu der Zeit entstanden auch die Grünen. Und die "aufs Abstellgleis" geschobene Generation eroberte langsam die Macht bis hin zur rot-grünen Schröder-Fischer Koalition 1998. Die Rebellen von einst wurden zum "Wir" der sich verändernden Gesellschaft.
Heute findet die grüne industrielle Modernisierung mit der CDU Angela Merkels statt, beim Atomausstieg, beim Dieselgate oder den erneuerbaren Energien. Und die Kultur der "TAZ"? Ist längst "mainstream" – sogar in der einst verhassten Springer-Presse.

Mit dem Jamaika-Bündnis schließt sich ein Kreis

Spätestens wenn im Herbst ein Jamaika-Bündnis zwischen der Partei Konrad Adenauers und den Grünen samt der zurückgekehrten FDP möglich sein sollte, schließt sich ein Kreis. Dann müssen sich auch die Grünen neu erfinden. Denn "die da oben" sind längst "wir".
Damit nicht "Wutbürger" zur neuen APO werden, müssen "wir" die offene Gesellschaft und die Demokratie in Europa so gestalten, dass sich nicht immer mehr aus den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen fühlen und Protest wählen. APO Adieu.

Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist freischaffender politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "TAZ" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (produziert von Arte/MDR) wurde er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

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