Geschichte wiederholt sich nicht

Von Gunter Hofmann · 06.09.2007
Richtig, es ist eine wahre Crux mit historischen Parallelen. Aber gleichwohl möchte ich hier die These vertreten, weshalb dennoch Rückblicke politisch so eminent lehrreich sein können. Es hätte nicht erst der britischen Entscheidung bedurft, die Truppen aus dem irakischen Basra abzuziehen, um über den Irak als das "neue Vietnam" Amerikas zu spekulieren.
Amerika hat eine geradezu traumatische Angst, das Trauma der Niederlage in Vietnam könne sich wiederholen. Klar, dass Bush nichts mehr fürchten muss, als verantwortlich zu sein für ein solches "zweites Vietnam". Also verkündet er, wenn das Land einmal seine Soldaten abzöge, dann nur, weil sie erfolgreich gewesen wären. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Auch eine andere historische Parallele wird derzeit gerne herangezogen: Gemeint ist die sogenannte Containment-Politik von George Kennan. 1947 hatte der berühmte amerikanische Diplomat in einem anonymen Aufsatz diese Formel von der "Eindämmung" geprägt, womit man auf die kommunistische Expansionspolitik im Westen reagieren solle. Hatte er dieses Wort politisch oder militärisch gemeint? Ein großer Streit entbrannte darüber. Jahrzehntelang kämpfte Kennan gegen das Missverständnis vergebens an, er habe für eine neue Drohpolitik und für eine "Politik der Stärke" plädiert. Gelassenheit habe er gemeint, Geduld, eine "Politik des Selbstbewusstseins" also.

Verhindern konnte er nicht, dass der Kalte Krieg begann, und seine Eindämmungsthese wurde dazu herangezogen. Kennans Wort vom Containment wird heute erneut so benutzt, als sei ein neuer "Kalter Krieg" gegen den islamistischen Terror zu führen, oder als müsse man auf die russische Herausforderung konfrontativ reagieren. Unwillkürlich erinnert man sich daran, wie 1991, im ersten Golfkrieg, Hans Magnus Enzensberger Saddam Hussein mit Adolf Hitler gleichsetzte. Inzwischen ist daraus eine häufig benutzte Gleichung geworden, wonach Islamismus und Faschismus zwei Seiten einer Medaille seien. Richtig ist an dieser historischen Simplifizierung freilich so gut wie nichts. Politisch aber lässt sie keinen anderen Spielraum mehr zu, als auf Konfrontation mit Konfrontation zu antworten.

So geschah es ja auch. Kennan glaubte, der Kommunismus enthalte in sich selbst "den Keim seines Niedergangs". Westliches Denken also sei dem "totalitären" oder "radikalen" überlegen. Also solle man sich nicht militärisch provozieren lassen. In Vietnam – und das bringt beide Fragen zusammen – verließ sich Amerika aber nur auf seine militärische Stärke, nicht auf die Überzeugungskraft einer glaubwürdigen Demokratie.

Damit ist man aber auch unmittelbar im Irak, bei Al Quaida und, wie man fürchten muss, auch bei Afghanistan. Demokratisierung, aber sofort! Erst die vielen Zivilopfer bei der Bombardierung in Afghanistan hätten die Stimmung gegen die Allianz umkippen lassen, heißt es. Tatsächlich erinnert manches im Irak an Vietnams letzte Phase. So wie beispielsweise Iraks Staatschef plötzlich als Versager kritisiert wurde – ja, so widerfuhr das Vietnams Präsident Ngo Ninh Diem ähnlich. Auch im Vietnam-Krieg hieß es jahrelang, man stehe nicht unbedingt vor einem Sieg, aber doch vor dem nächsten lokalen Erfolg – so wie es jetzt heißt, dank der Aufstockung der Soldaten am Euphrat seien immer mehr Zonen befriedet.

In den sogenannten befriedeten Zonen Vietnams zogen bekanntlich bereits am Tag nach Abzug der fremden Truppen in Schulen und Hospitälern Nordvietnamesen ihre Fahnen hoch. Nichts war befriedet. "Wir gewannen jede Schlacht, und dennoch verloren wir den Krieg", blicken kluge Beobachter zurück – und schauen sorgenvoll nach Bagdad. Soviel zum Heißen Krieg.

Was das andere Beispiel, den Kalten Krieg zwischen West und Ost angeht, mag man streiten: Es gab die harte Eindämmungspolitik und gewaltige Aufrüstungsrunden, Drohkapazitäten ohne Ende, und schließlich ist die Sowjetunion implodiert. Aber ist sie wirklich gescheitert an einer Politik der Stärke, oder an inneren Schwächen? Und wie viel trug zum Ende nicht doch dieser subversive Kern der Entspannungspolitik bei, die ja George Kennans Botschaft ganz anders interpretierte? Entscheidendes, meine ich jedenfalls. Nein, Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce, wie Karl Marx spottete. Kein Fall liegt wie der andere. Lehren aber enthalten unvoreingenommene Rückblicke schon. Vor allem: Historische Rückblenden sind, im günstigen Fall, Momente des Selbstzweifels und der Selbstkritik. Sie sind nicht Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke, hätte George Kennan gesagt.

Gunter Hofmann, Jahrgang 1942, Dr. phil., seit 1977 bei der Wochenzeitung "Die ZEIT", seit 1994 Büroleiter in Bonn, seit dem Regierungsumzug in Berlin, einer der angesehensten Beobachter des deutschen Politikbetriebs, jüngste Buchveröffentlichung: "Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik. Eine Anatomie."