Geschichte

Völkermord an Roma muss anerkannt werden

Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin.
Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin: Warum gibt es keinen europäischen Gedenktag? © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Arlette-Louise Ndakoze |
Jedes Jahr am 2. August gedenken die Roma des Völkermordes der Nazis an ihren Angehörigen. Das Datum sollte ein europaweiter Gedenktag werden, meint die Journalistin Arlette-Louise Ndakoze. Zu diesem Schritt sei die Politik aber nicht bereit.
Wollten sie sich den so bezeichneten "Zigeunergesetzen" widersetzen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht freiwillig verlassen, galt ihre Ermordung als rechtens. Dem Osmanischen Reich, ihrem Zufluchtsort, wollten sie freiwillig wieder entfliehen, um nicht versklavt zu werden.
Verfolgung und Ermordung europäischer Roma begann lange vor dem 2. August 1944, dem Tag, an dem die letzten 2897 Inhaftierten des sogenannten "Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau" in den Gaskammern umgebracht wurden.
Diffamiert und angegriffen werden Roma heute noch. An ihrer Ausgrenzung sind auch Politiker beteiligt, beispielsweise in Tschechien und der Slowakei, wo sie Mauern um die Wohnviertel der Roma bauen ließen, oder in Ungarn, wo sie zum Mord an ihnen aufriefen.
Es ist deshalb überfällig, den Völkermord an mehr als 500.000 Roma europaweit anzuerkennen und den 2. August als Gedenktag offiziell einzuführen. Dafür hat das Europäische Parlament im April mehrheitlich gestimmt. Die Resolution könnte Anlass zur Hoffnung geben.
Europas Staaten wollen keine Schuld eingestehen
Doch sie ist nicht rechtlich bindend. Dazu müsste sich ihr die EU-Kommission anschließen. Und selbst dann wäre nicht sicher, ob alle Mitgliedsstaaten ihr folgen würden. Bisher ist ein offizieller Gedenktag nur in Polen und fünf anderen Ländern eingeführt worden. In Deutschland nicht.
Das eigentliche Problem scheint mir zu sein, dass es den Europaabgeordneten weniger um Geschichte als um Gegenwart geht. Sie sorgen sich über die zunehmenden Angriffe auf Roma. Dem entgegenwirken und Vorurteile bekämpfen zu wollen, ist durchaus ein wichtiges Anliegen.
Dem Gedenktag aber nehmen die Parlamentarier seinen politischen Kern. Für Roma hat er schon lange Tradition. Nun gilt es, sie im Erinnern an einen Völkermord nicht länger allein zu lassen, Unrecht gesellschaftlich und rechtlich als das anzuerkennen, was es war. Zu dieser Anerkennung, zu einem offiziellen Eingeständnis sind Europas Staaten bisher nicht bereit.
Gewiss, die EU hat längst einen Aktionsplan vorgelegt, der helfen soll, die größte Minderheit des Kontinents zu integrieren. Doch die Bilanz ist erschütternd. Es ist noch viel zu tun, um Roma vor Diskriminierung zu schützen, ihnen sicheres Wohnen, Bildung und Wege aus der Armut zu gewähren.
Roma wollen sich aus sozialer Not befreien
Ja, wenn Roma aus Osteuropa nach Deutschland reisen, um hier zeitweise zu arbeiten oder auf Dauer zu leben, dann wollen sie sich aus sozialer Not befreien. Aber nicht sie persönlich, sondern eine repressive Politik haben ihre Familien in diese verzweifelte Lage gebracht. Sie fühlen sich nicht nur verfolgt, sie sind es - durch gesellschaftliche Ächtung, wo immer sie sich aufhalten.
Das wollen deutsche, insbesondere bayerische Politiker nicht zugeben. Es mag sein, dass die Schicksale der Roma nicht Kriterien politischer Verfolgung erfüllen. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, Ressentiments zu schüren und Roma – ob ausgesprochen oder nicht – zu einer nicht schutzwürdigen Gruppe von Migranten zu zählen, die Asyl und Sozialleistungen missbrauchen würden, und allenfalls achselzuckend auf die Verantwortung der Herkunftsländer zu verweisen.
Einen internationalen Gedenktag amtlich zu machen, bedeutet allerdings mehr, als nur eine politische Mahnung an die Gegenwart zu richten. Es bedeutet, sich außerdem zu seiner Vergangenheit zu bekennen. Auf EU-Ebene sollten deswegen Opfer und Hinterbliebene ein Recht auf Reparationsleistungen erhalten. Gegen Leugner des Völkermordes müsste gerichtlich vorgegangen werden. Und in europäischen Schulen sollte die Geschichte der Roma behandelt werden.
Ohne Maßnahmen wie diese wird die Resolution des Europäischen Parlaments symbolisch bleiben. Und der kommende Sonntag für viele Europäer ein Tag wie jeder andere.
Arlette-Louise Ndakoze, 1983 in Burundi geboren, studierte Frankreichwissenschaften in Berlin und Ruanda und arbeitet derzeit als freie Journalistin für Deutschlandradio und den Berliner Radiosender 88,4.
Arlette-Louise Ndakoze, 1983 in Burundi geboren – mit einem ruandesischen Pass, studierte Frankreichwissenschaften in Berlin und Ruanda und arbeitet derzeit als freie Journalistin für Deutschlandradio und den Berliner Radiosender 88,4. 
Arlette-Louise Ndakoze© Clara Morales Benito
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