Generationenkonflikte? Veraltet!

Peinlich war gestern

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Eine Illustration zeigt drei Generationen rühren an einem stilisierten Küchentisch, die gemeinsam einen Pudding umrühren.
Längst sind die Schnittmengen zwischen den Generationen so groß, dass ein veritabler Konflikt sich kaum mehr ausmachen lässt, meint Heike-Melba Fendel. © imago images / Ikon Images / Alice Mollon
Ein Kommentar von Heike-Melba Fendel · 03.03.2021
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68er-Bewegung und Hippie-Kultur - der lustvoll ausgelebte Generationskonflikt im letzten Jahrhundert stiftete Identität und markierte Fortschritt. Das hat sich geändert, meint Journalistin Heike-Melba Fendel. Heute sucht man Lösungen im Miteinander.
Beginnen wir mit einem kleinen Rätsel: Eine Frau fragt sich, ob das mit dem Mann von der Dating-App etwas Ernstes werden könnte. Dieselbe Frau sorgt sich um den Menschen gemachten Klimawandel und will alles tun, um ihn zu stoppen. Während sie einen Schluck Cappuccino mit Hafermilch trinkt, postet sie etwas zu den aktuellen Covid-19-Fallzahlen in dem sozialen Medium ihrer Wahl.
Nun die Frage: Ist diese Frau 18, 38 oder 58 Jahre alt? – Wir wissen es nicht. Längst sind die Schnittmengen zwischen den Vertreter*innen unterschiedlicher Generationen so groß, dass ein veritabler Konflikt sich kaum mehr ausmachen lässt.
Der Versuch, Vertreter geburtenstarker Jahrgänge als nervige "Boomer" zu dissen, erwies sich als die vorerst letzte Sau, die über die Altersgrenze getrieben wurde. Jene Boomer, die um die 60-Jährigen also, die sich, so der Vorwurf, an ihre Ämter und Deutungshoheiten klammern, folgten auf den "alten weißen Mann" als Feindbild selbstherrlicher, aus der Zeit gefallener Besserwisserei. Doch war selbst auf dem Höhepunkt des alter-weißer-Mann-Bashings klar, dass die Konfliktlinie nicht mehr vertikal durch Generationen, sondern horizontal durch die vertretenen Positionen verläuft.
Der knapp 80-jährige Bernie Sanders etwa erlangte nicht erst durch seinen ikonischen Handschuh-Auftritt bei Joe Bidens Amtseinführung Kultstatus. Auf der anderen Seite der ideologisch offenen Altersskala findet sich der 34-jährige österreichische Bundeskanzler Kurz seit Jahren als konservativer Hardliner.

80er als Anfang vom Ende des klassischen Generationenkonfliktes

Traditionell war der Generationenkonflikt mit der Rebellion einer Aufbruch suchenden Jugend gegen die Starre elterlicher Prinzipien verbunden. Die 68er-Bewegung vollzog die markanteste und öffentlichkeitswirksamste Bruchlinie – politisch, psychologisch und (pop)kulturell.
Mochte man den anschließenden Hippiekult der 70er noch als psychedelisches Korrektiv der kiffenden Kinder gegen die Enge der 50er-Jahre lesen, markierten bereits die 80er-Jahre den Anfang vom Ende des klassischen Generationenkonfliktes: Der Beginn der grünen Bewegung versammelte Menschen jedweder Herkunft und jedweden Alters. Konservativ konnotiertes Bewahren von Schöpfung und Natur wurde so zum Fortschrittstreiber.
Der Kampf gegen den Klimawandel bleibt bis heute ein zentrales intergeneratives Projekt, wo den kämpferischen Kids von Fridays for Future selbst ernannte Omas und Opas for Future zur Seite springen.

"Oh Mann, Du bist so peinlich" - war gestern

Mussten kundige Enkel ihren Großeltern einst erklären, wie sie ins Internet kommen, so ist auch die digitale Generationenlücke geschlossen. Facebook, einst als universitäre Kontaktbörse aufgesetzt, wächst heute vor allem bei vernetzungsfreudigen Senioren. Und während die "Boomer" "Game of Thrones" bingen, üben sich deren Kinder bereits in "Digital Detox". Was nicht ganz gelingen will, denn ohne Tinder läuft ja hier wie dort nichts.
Auch das schafft Gemeinsamkeit. Denn der dreifach geschiedene Familienvater leidet genauso darunter, von der neusten "Liebe seines Lebens" geghostet zu werden, wie der halbwüchsige Sohn. Trösten kann man sich hier gegenseitig, ohne das peinlich zu finden. - An den überstrapazierten Satz: "Oh Mann, Du bist so peinlich" glauben heute ohnehin nur noch Drehbuchautoren von Vorabendserien.
Die letzten Reste des Generationenkonfliktes hat die Pandemie abgeräumt. Zoff ist heute das Produkt räumlichen, nicht ideologischen Lagerkollers. Ob Homeschooling oder Homeoffice – als vulnerabel erleben sich derzeit alle Altersklassen gleichermaßen.
Es ist also nicht länger das Gegeneinander der Generationen, das Identität stiftet. Sondern das Miteinander im Lösungen ausloten. Wie finden und leben wir die Liebe, wie retten wir den Planeten und wie kommen wir aus der Pandemie – diese Antworten lassen sich, wenn überhaupt, allenfalls mit- und füreinander finden. Peinlich ist nur noch, wer das nicht verstehen will.

Heike-Melba Fendel ist Künstler/PR-Agentin und Inhaberin der Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne "10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch" auf zeit.de. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman "nur die" bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman "Zehn Tage im Februar" (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.

© Jennifer Fey
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