Gegen die Politisierung des Korans

Von Nimet Seker · 05.04.2012
Islamischer Feminismus, kann es so etwas geben? Auf den ersten Blick scheinen Islam und Feminismus zwei gegensätzliche Ansätze zu sein. Und doch hat sich eine global agierende feministische Bewegung innerhalb des Islams herausgebildet.
Deren Aktivistinnen und Theologinnen sind international gefragte Referenten. Zu den Bekannteren von ihnen gehört Amina Wadud. Sie spricht vom "gender jihad" – vom Kampf für Geschlechtergleichheit. Der Islam wolle eigentlich das Patriarchat überwinden, nicht verfestigen. Der Koran gibt ihr starke Argumente für ihre Thesen.

Der islamische Feminismus ist ein Versuch, islamische Prinzipien mit modernen Werten wie Menschenrechte und Gleichberechtigung der Geschlechter in Einklang zu bringen. Nichts anderes scheint besser gegen Fundamentalismus und Dogmatismus zu funktionieren. Schließlich schlägt man damit den Feind mit seinen eignen Waffen.

Gleichzeitig nimmt man den Kulturkampf-Apologeten den Wind aus den Segeln, indem man zeigt: Der Koran hat den Frauen Rechte gegeben, und das zu einer Zeit, in der Europa und die Moderne noch gar nicht existierten! Der Prophet hat die Frauen mit Respekt behandelt und muss als Vorbild im Geschlechterverhältnis gelten. Diese Vorgehensweise macht den islamischen Feminismus so sympathisch.

Doch Vorsicht. Reden wir uns da nicht doch einiges schön?

Was ist mit dem patriarchalischen historischen Kontext, in dem der Koran dem Propheten Muhammad herab gesandt wurde? Die Feministinnen argumentieren: Das ethische Prinzip der Gerechtigkeit im Koran hebt bestimmte patriarchalische Regeln auf, wie das Recht des Mannes auf vier Ehefrauen. Wer bestimmt nach welchen Kriterien, wo und wie diese universellen ethischen Prinzipien des Koran anzuwenden sind?

Problematischer finde ich allerdings den gesellschaftspolitischen Anspruch des islamischen Feminismus. Denn er ist auch als Antwort auf den politischen Islam entstanden und erzeugt somit eine Spannung zwischen politischem oder gesellschaftlichem Engagement und Theologie. Er polarisiert und drängt die Theologie als offene Wissenschaft ins Abseits.

Der feministische Blick ist eine Form des modernen Reformislam. Dieser nimmt sich den Islamismus vor. Durch seine Kritik aber verleiht er ihm eine Autorität, als sei er ein Mehrheitsislam. Dadurch wird dem politischen Islam aber im Alltag der Gläubigen eine stärkere Kraft zugesprochen, als er überhaupt besitzt. Dies ist eine gefährliche Entwicklung, denn sie läuft auf eine Politisierung von Theologie hinaus.

Sicherlich muss man sich mit den Positionen des modernen Islamismus beschäftigen, gerade aus theologischer Perspektive, um ihm etwas entgegnen zu können. Dabei darf man aber die Ansätze von klassischen Gelehrten – und damit eine über tausendjährige Tradition der Islamischen Theologie – nicht ignorieren.

Der größte Fehler von reformerischen Denkern ist, den politischen Islam als traditionalistisch zu verstehen. Doch gerade er bricht mit der klassischen Gelehrsamkeit und der Tradition, weil er meint, dass die Moderne radikal neue Ansätze erforderlich macht. Auch die Salafiya ist ursprünglich eine reformerische Bewegung, die radikal mit der muslimischen Tradition bricht. Wie wir sehen, hat sie sich in eine Richtung entwickelt, die wir als antimodern und dogmatisch bezeichnen würden.

Der islamische Feminismus als ein Weg, mit religiösen Mitteln gegen gesellschaftliche Probleme anzukämpfen, ist letztlich auch ein Versuch, das Weltliche zu islamisieren. Dies müssen auch progressive Denkerinnen wie die Feministin Amina Wadud erkennen. Mit Religion allein aber werden sich gesellschaftliche und politische Probleme nicht lösen lassen.

Nimet Seker, Journalistin, gibt das Magazin "Horizonte. Zeitschrift für muslimische Debattenkultur" heraus. Sie promoviert über feministische Koranexegese am von der Stiftung Mercator geförderten Graduiertenkolleg "Islamische Theologie" am Standort "Universität" Münster. Sie schreibt auch einen eigenen Blog.
Die Journalistin Nimet Seker
Die Journalistin Nimet Seker© privat
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