Gabriel in Israel

Ein Antrittsbesuch ist kein Flashmob

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel trifft Israels Präsidenten Reuven Rivlin.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Israel. © pa/dpa/AP/Scheiner
Von Ruth Kinet · 29.04.2017
"Eklat" und "Skandal" - so hieß es von vielen Seiten nach dem abgesagten Treffen von Israels Ministerpräsident Netanjahu mit Bundesaußenminister Gabriel. Das alles aber hätte verhindert werden können, meint Ruth Kinet.
"Mentalitäten sind Gefängnisse von langer Dauer", schrieb der französische Historiker Fernand Braudel 1969 und damit lange vor dem von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in dieser Woche in Israel mit heraufbeschworenem diplomatischem Affront.
Aber es ist, als hätte Braudel diesen Satz aufgeschrieben, um die jüngste Verwerfung in den sonst erstaunlich gedeihlichen diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu erklären. Da reist also der frisch bestellte deutsche Außenminister zu seinem Antrittsbesuch nach Israel und tut alles, um das wichtigste Treffen seiner Reise zu verhindern: die Begegnung mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Eine spannungsreiche persönliche Erzählung

Dabei führt er sich gegenüber Medienvertretern als Freund Israels ein, der dem Land in besonderer Weise verbunden ist: als Sohn eines Vaters, der den Mord an sechs Millionen Juden während des Nationalsozialismus ein Leben lang leugnete, und als Vater einer Tochter, deren Urgroßeltern im Konzentrationslager Auschwitz getötet wurden.
Mit dieser spannungsreichen persönlichen Erzählung im Gepäck fühlte sich Gabriel gewissermaßen als amtlich beglaubigter Israel-Freund, der allein schon aufgrund seiner Familiengeschichte über jeden Verdacht der Israel-Feindschaft erhaben ist. Nach seiner Besuchschoreografie vom vergangenen Dienstag allerdings ist die Selbstdefinition Gabriels als "Freund Israels" nicht mehr glaubwürdig.

Unkenntnis der Demokratie Israels oder politisches Kalkül?

Der Antrittsbesuch eines Bundesaußenministers ist kein Flash-Mob, sondern ein von Diplomaten des Auswärtigen Amtes, der israelischen Botschaft in Berlin und der deutschen Botschaft in Tel Aviv akribisch geplantes Ereignis. Gabriel wünschte sich eine Begegnung mit Vertretern zweier politischer Nicht-Regierungsorganisationen, die am linken Rand des israelischen Meinungsspektrums agieren, "Breaking the Silence" und "B’Tselem". Er traf sich nicht etwa mit Abgeordneten der linksliberalen Partei Meretz oder der Vereinigten Arabischen Liste in der Knesset, um sich ein Bild von der Stimmung in den kleineren Oppositionsparteien zu machen.
Damit legte er den Eindruck nahe, dass vom Regierungskurs abweichende politische Haltungen in Israel nur außerhalb der Knesset artikuliert werden können. Das verweist entweder auf ein erschütterndes Maß an Unkenntnis der lebendigen israelischen Demokratie oder auf ein politisches Kalkül. Letzteres scheint wahrscheinlicher, denn Vorschläge der israelischen und deutschen Diplomaten, zu dem von Gabriel gewünschten Treffen mit den Vertretern von "Breaking the Silence" und "B’Tselem" weitere Vertreter weniger umstrittener Nicht-Regierungsorganisationen einzuladen, schlugen Gabriel und sein Stab aus.

Ein Außenminister, der eine Lektion erteilen will

Gabriel kam nicht nach Israel, um den Regierungschef eines befreundeten Landes zu treffen. Er flog nach Israel, um seinen potenziellen Wählern in Deutschland vorzuführen, wie er "den Israelis" mutig die Stirn bietet und um der israelischen Regierung mal zu zeigen, wie Demokratie wirklich funktioniert. Der Außenminister reiste nach Israel, um dem Land vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine Lektion zu erteilen.
Und die gewogene Aufmerksamkeit all derer, die ohnehin schon sicher waren, dass Israel ein Unrechtsstaat ist, war ihm sicher. Aber die Bundesregierung überhebt sich, wenn sie sich anmaßt, in Israel als Lehrmeister aufzutreten.
Die gegenwärtige Regierung Israels repräsentiert die Mehrheit der israelischen Bevölkerung. Wenn Sigmar Gabriel ein Freund Israels sein möchte, sollte er das zur Kenntnis nehmen. Er kann sich das Israel, mit dem er befreundet sein möchte, nicht backen.
In Deutschland scheint ein Bedürfnis nach kultureller und moralischer Überlegenheit zur mentalitätsgeschichtlichen DNA zu gehören. Und hier kommt wieder Braudels Diagnose ins Spiel wonach Mentalitäten Gefängnisse von langer Dauer sind. Erst wenn sich der deutsche Außenminister dieses Gefängnisses bewusst wird, kann er anfangen, sich davon zu befreien und beginnen zuzuhören anstatt zu belehren. In einem nächsten Schritt könnte er dann versuchen zu lernen, was Freundschaft wirklich bedeutet.
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