Fünf Jahre Friedensnobelpreis für EU

Unbewährte Währung, uneiniger Kontinent

Die Flagge der Europäischen Union auf erodierendem Asphalt Eine auf Asphalt gemalte EU-Flagge hat Risse bekommen.
Der Schriftsteller Rolf Schneider macht sich Gedanken über die Friedensnobelpreisträgerin EU. © imago / Ralph Peters
Von Rolf Schneider · 12.10.2017
Fünf Jahre ist es her, dass die EU den Friedensnobelpreis erhielt. Seitdem ist viel passiert. Dass aber der Euro, gewissermaßen als Friedenswährung, die Stabilität des Kontinents erhöht hätte, könne man nicht sagen, stellt Rolf Schneider fest.
Um die Friedensnobelpreisträgerin EU steht es derzeit nicht gut. Es gibt heftige Konflikte, wegen des Flüchtlingsproblems, wegen autoritärer Tendenzen in Mitgliedsländern, es gibt das wirtschaftliche Gefälle zwischen Nord und Süd. In seiner Europa-Rede an der Pariser Sorbonne machte Frankreichs Staatspräsidenten Macron auch ein paar fiskalische Vorschläge. Er wünschte sich einen europäischen Finanzminister und ein europäisches Budget. EU-Kommissionspräsident Juncker möchte die Gemeinschaftswährung Euro am liebsten bald in allen EU-Staaten eingeführt wissen.

Der europäische Tiger Deutschland wurde keineswegs gezähmt

Der Euro wurde ab 1999 schrittweise etabliert und ist seit 2002 in mehreren Ländern alleinige Währung. Ihre Promotoren, voran Bundeskanzler Kohl, versprachen sich davon eine Stärkung der Europäischen Gemeinschaft, während es dem damaligen französische Staatspräsident Mitterand vor allem um eine stärkere Einbindung des wiedervereinigten Deutschland zu tun war.
Gelungen ist beides nicht. Deutschland erweist sich nach wie vor als extrem erfolgreiche Wirtschaftsmacht, deren Gewicht auch politisch laufend wächst, wogegen die Annäherung der EU-Mitgliedsstaaten durch den Euro kaum befördert wurde.

Die Geschichte lehrt, dass Währungen nicht automatisch einigen

Dass die gemeinsame Währung als förmlicher Motor der politischen Einigung tauge, war die Prognose von Helmuth Kohl. Der gelernte Historiker hätte aus der Geschichte erfahren können, dass staatspolitischer Zusammenschluss und Einheitswährung zwei grundverschieden Dinge sind.
Die deutsche Reichsgründung von 1871 verfügte weder zuvor noch unmittelbar danach über einen einheitlichen Geldstandard, regionale Sonderprägungen gab es noch für mehrere Jahre. Die gemeinsame Währung hat weder den Abfall Norwegens von Dänemark noch den Untergang des britischen Empire, noch die Spaltung der Tschechoslowakei verhindern können.

Regionale Abwertungen sind sinnvoll

Gewiss ist es angenehm, bei Reisen nach Spanien oder Frankreich keine Wechselstube aufsuchen zu müssen, auch umständliche Kopfrechnungen bei Preisvergleichen erübrigen sich. Andererseits verdanken wir dem Euro die Null-Zinspolitik vom Mario Draghis Zentralbank, die eine schleichende Enteignung deutscher Sparer bedeutet. Eine autonome Bundesbank unter Präsident Weidmann wäre längst davon abgerückt, wenn sie sich denn überhaupt dazu entschlossen hätte.
Die Null-Zins-Politik soll vor allem den krisengeschüttelten südeuropäischen Staaten helfen, voran Griechenland und Italien. Gäbe es dort aber noch die weichen Währungen aus Vor-Euro-Zeiten, würde das Problem durch Abwertung bewältigt, also ohne die nördlichen Anrainer zu beteiligen.
Kein Land, heißt es, profitiere vom Euro wirtschaftlich so wie Deutschland. Doch ist es tatsächlich die Währung, die den deutschen Export beflügelt? Ist es nicht vielmehr unsere Wirtschaftskraft? War Bundesdeutschland nicht schon vor 1999 ökonomisch führend? Länder wie Schweden und die Schweiz sind wirtschaftsstark und exportintensiv ohne den Euro.

Ein Kontinent kann nicht an seiner Währung scheitern

Bundeskanzlerin Merkels Mantra lautet: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Der Satz ist erst einmal sprachliche Schlamperei: Ein Erdteil kann nicht scheitern. Gemeint war vielmehr die EU, aber der Satz bleibt propagandistischer Unsinn: Die gegenwärtigen EU-Krisen, so auch der Brexit, haben mit dem Euro nichts zu schaffen, ganz abgesehen davon, dass fast die Hälfte aller EU-Mitgliedsstaaten ihn bis heute nicht besitzt.
Würde es die Gemeinschaft stärken, wenn man den Euro aufgäbe und generell zu nationalen Währungen zurückkehrte? Manche sehen und wollen das so, es sind ernsthafte Ökonomen darunter. Bei der Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2012 sollte man ernsthaft darüber nachdenken.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.

Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
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