Erinnerung an Franz Josef Degenhardt

Liedermacher mit aufrechtem Gang

06:01 Minuten
Der Liedermacher Franz Josef Degenhardt auf einem Schwarzweißfoto. Er trägt eine Schiebermütze.
Franz Josef Degenhardt (1931 - 2011) war eine prägende Gestalt der politischen Liedermacherszene in der Nachkriegszeit. © picture-alliance / akg-images / Niklaus Stauss
Von Goetz Steeger · 03.12.2021
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"Spiel' nicht mit den Schmuddelkindern" von Franz Josef Degenhardt wurde eine Hymne der 68er. Seine politischen Lieder waren in manchen Radiosendern mit dem Vermerk "Nur nach Absprache senden" gekennzeichnet. Heute wäre der Liedermacher 90 geworden.
Nach den Vorstellungen der heilen Wirtschaftswunderwelt der späten 50er-Jahre waren seine Lieder mit Sicherheit eines nicht: schön. Schlicht nur zur Gitarre ohne Schlagerschmalz karikierte er das Spießertum oder forderte zur Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit auf.
„Von Anfang an war mir klar, dass einer, der Lieder macht nach 1945, das Politische gar nicht außen vor lassen kann", so beschrieb Degenhardt es einmal selbst. Das Publikum teilte er sich anfangs mit Jazzern wie Albert Mangelsdorff.

Zufluchtsort Jazz-Keller

Menschen, die etwas anderes als Schlager suchten, gab es überall, wenn auch eher noch im Verborgenen. Der Liedermacher sagt dazu: „Leute, die in der Provinz wohnten und fürchterlich darunter litten, die gingen abends in den Jazz-Keller, um, sagen wir mal, die in den Tagen aufgespeicherte Wut gegen das Spießertum, in dem sie leben und Geld verdienen mussten... Die sich mal etwas anderes antun wollten, um leben zu können.“
Aus den überall verstreuten Liedermacherinnen und Liedermachern bildete sich 1964 eine neue einflussreiche Szene, die auf dem legendären „Festival Chanson Folklore international“ auf der Burg Waldeck zusammenfand.

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„Die Burg Waldeck war so etwas für die Liedermacherei, sagen wir mal, wie Woodstock in den USA", sagte Degenhardt. Ein Ort mit einer Tradition, die auf die Jahre vor der Naziherrschaft zurückging und an die man deshalb anknüpfen konnte.

Ein Singfestival wie in den 20er-Jahren

„Das ist eine alte Jugendbewegungsburg, eine Ruine, und das Gericht hatte entschieden, denjenigen soll das gehören, die heute noch in der Lage sind, Jugendliche dahin zu bringen. Das motivierte einige alte jugendbewegte Leute, wieder ein Singfestival zu organisieren, die es früher in den 20er-Jahren da gegeben hat", erzählte der Liedermacher.
"Das wurde dann das berühmt-berüchtigte Waldeck-Festival, das erste. Es kamen viele Leute dahin, wurden eingeladen, unter anderem auch ich, aber auch der Hannes Wader, Reinhard Mey, diese ganze Garde.“

"Die deutschen Volkslieder waren völlig kaputt"

Die großen Fragen, um die es auch Degenhardt ging, waren: Worüber wird gesungen und welches traditionelle Liedgut ist nach 1945 überhaupt noch singbar?
„Nun war das ja meine Meinung … nicht nur meine Meinung, ich bin ja Jahrgang 31, ich habe das ja mitgemacht: Die deutschen Volkslieder waren völlig kaputt, darüber habe ich mal ein Lied gemacht: 'Wo sind Eure Lieder'. Lehrer haben sie zerbissen, Kurzbehoste sie verklampft, braune Horden totgeschrien, Stiefel in den Dreck gestampft.“
Degenhardt wurde der Liedermacher der 68er, seine Texte waren nicht selten Aufrufe zum Umsturz. In Rundfunkanstalten waren seine Platten nicht selten gekennzeichnet mit der Aufschrift „Bitte nur nach Absprache mit der Redaktion senden“.

Hörenswerte Zeitdokumente

Hörenswert sind die Lieder heute eher als Zeitdokumente. „Weil die Lieder ja sozusagen seismografische zeigen, wie die Stimmung bei der rebellischen Jugend und bei uns war. Wir glaubten an diese Möglichkeit des Umsturzes!“, sagte Degenhardt selbst.
Im Laufe der 70er-Jahre wurde der Tonfall in den Liedern nachdenklicher. Er spielte zwar immer noch in vollen Häusern, aber es waren jetzt nicht mehr die zu agitierenden Massen.
„Du benutzt dann eine andere Technik: wenn viele Leute kommen eine Holzschnitt-Technik, wenn wenige kommen, malst du feiner, literarischer. Aber das Literarische ist ja für mich nicht ein Wert an sich, sondern dient immer einem Zweck, daraus bestimmt sich ja auch meine Ästhetik.“

Im Dissens mit dem gesellschaftlichen Status quo

Seine linke Position und seinen Dissens mit dem gesellschaftlichen Status quo hat Franz Josef Degenhardt, der 2011 starb, über die Jahre beibehalten.
„Es gibt aber Zeiten, und in diesen Zeiten bin ich groß geworden und lebe eigentlich bis heute in diesen Zeiten, in denen es fast ein Verbrechen ist, wie der Brecht gesagt hat, über Bäume ein Gedicht zu schreiben, weil so viel Untaten dadurch verschwiegen werden. Ich habe mich immer in solchen Zeiten gefühlt.“

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