"Frankenstein" an der Staatsoper Hamburg

Großes Theater ohne Klischees und falsche Gruselromantik

Die Oper "Frankenstein" auf der Bühne im Theater auf Kampnagel.
Die Oper "Frankenstein" auf der Bühne im Theater auf Kampnagel. © dpa / Christian Charisius
Von Dieter David Scholz · 20.05.2018
Mary Shelleys "Frankenstein" ist ein politisches Statement, eine Zukunftsvision, eine Schauergeschichte und ein Roadmovie. Auf Kampnagel hatte nun eine beeindruckende Opern-Adaption der Hamburger Staatsoper Premiere.
Während die meisten Frankenstein-Bearbeitungen - vor allem die Verfilmungen - oft sehr weit von der Romanvorlage Mary Shelleys entfernt sind, nimmt diese "Frankenstein"-Oper in Hamburg nun die Romanvorlage sehr ernst. Der Berliner Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl und der Hamburger Komponist Jan Dvorak haben hier "Frankenstein" auf das Wesentliche verdichtet und bleiben der Handlung und der Aussage des Romans treu.
Dabei bringen sie die moralische Intention Mary Shelleys zum Ausdruck, und zwar aus der Perspektive des Monsters, denn hier denkt und redet es sehr viel. "Frankenstein" ist im Grunde eine Gelehrtentragödie mit philosophischen Fragestellungen, aber eben auch ein grausames Aussenseiterdrama, und nicht in erster Linie ein Gruselstück. Die Grenzüberschreitung eines Wissenschaftlers, Viktor Frankensteins, steht im Vordergrund, der den Schlüssel zum Leben gefunden, und sich damit am Leben und den Menschen versündigt hat - dies ist ein sehr aktuelles Thema. Und andererseits wird das Schicksal eines Outcasts gezeigt, eines ausgestoßenen, hässlichen, einsamen Monsters.

Das Schicksal des Monsters steht im Mittelpunkt

Jan Dvorak macht das mitleiderregende Schicksal des Monsters zum Mittelpunkt des Stücks. Und dabei ist es für das Publikum tief bewegend, wie diese Kreatur ihre Seele, ihr Herz und ihre Sehnsucht nach Liebe zum Ausdruck bringt und begründet, warum sie böse geworden ist: Weil die Menschen sie böse gemacht haben.
Szenisch hat die vieraktige Oper 16 verschiedenen Handlungsorte, also Wald, Labor, Schlafzimmer, Forschungsschiff, Eiswüste usw. Dazu wurde eine Simultanbühne entworfen, ein grosser Käfig, um den herum die Zuschauertribünen plaziert sind. Assoziationen an Raubtierkäfig und Gefängnis stellen sich ein. Das hat etwas klaustrophobisches, beklemmendes, beängstigendes und gibt der Aufführung eine ungemeine Dringlichkeit.
Philipp Stölzl gelingt es, dem Abend eine große Dichte und Spannung zu verleihen, und mit wenigen Requisiten, Baumstämnen, Felsen, Tüchern, kriechendem Nebel und Licht Atmosphäre zu zaubern, die einen gefangen nimmt. Und dann gibt es noch sehr schön gearbeitete historische Kostüme von Kathie Maurer aus der Zeit von Mary Shelley. Und: Marius Kob hat für Philipp Stölzl eine beeindrucke überlebensgroße Monsterpuppe gebaut, die von den gängigen - vor allem natürlich durch Boris Karlovs Filmerscheinung - geprägten Gruselgestalten abweicht.

Emotionale Musik wie aus einem Film

Mit seiner Musik für das Stück hat Jan Dvorak eine sehr suggestive, sehr emotionale, vor allem sehr filmhafte Musik geschaffen. Gestisch, theatralisch - eine Musik, die von der Musikalität der Sprache ausgeht. Dabei ist der Orchesterapparat sehr gross: Dvorak verwendet neben klassischem Orchester eine E-Gitarre, ein Hammerklavier, Schlagwerk, Glocken, Celesta, Synthesizer und einen Geräuschemacher. Es gibt drei sängerische Hauptrollen, drei Nebenrollen und Chorsolisten. Und das Geschöpf Victor Frankensteins - es heißt in dieser Oper Monster - ist eine Sprechrolle, was seinen Außenseiterstatus noch unterstreicht.
Ein populäres Thema, großes Theater ist, grandioses Puppentheater und all das ohne Kitsch, ohne Klischees und falsche Gruselromantik - dies ist eine sehr beeindruckende Musiktheaterproduktion, die ernsthaft die aktuelle Frage diskutiert: Wie weit darf die Wissenschaft gehen und in die Natur eingreifen? Und sie ist musikalisch sehr überzeugend.
Dirigent Johannes Harneit gelingt es, den großen Apparat souverän zusammenzuhalten und die Musik Dvoraks geradezu süffig zum klingen zu bringen. Das Gesangsensemble ist durchweg vorzüglich. Nicht nur Viktor Rud als Victor Frankenstein und die virtuos krächzende, flüsternde und schreiende Schauspielerin Catrin Striebeck verleiht dem Monster eine anrührend künstliche, aber auch kindliche Stimme.

Eindrücke von den Proben:

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