Fortwährende Bedenken

Von Niels Kadritzke · 14.04.2007
Seit Anfang 2005 verhandeln Türkei und Europäische Union über eine Aufnahme des Landes in den Staatenbund. Ob der Beitritt je vollzogen wird, erscheint fraglich. Die Debatte darüber ist bereits 20 Jahre alt.
"Mit der Türkei stellt erstmals ein überwiegend moslemisch geprägter Staat einen Aufnahmeantrag in die Europäische Gemeinschaft. Der Antrag erfolgt für die EG angesichts ihrer Schwierigkeiten in der Agrar- und Finanzpolitik zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt."

Der Kommentar im RIAS stammt vom 14. April 1987, aber er klingt verblüffend aktuell. Gewiss, wir haben inzwischen die Europäische Union und nicht mehr die EG. Doch 20 Jahre später bestimmen die genannten Probleme nach wie vor das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei: ein muslimisch geprägtes Land, Europa eine einzige Baustelle, kein günstiger Zeitpunkt für die Aufnahme neuer Mitglieder.

Tatsächlich sind viele Bedenken, die 1987 dem EG-Beitritt der Türkei entgegenstanden, auch heute noch auf der Tagesordnung: Wie kann man ein so großes Land aufnehmen, das viel ärmer ist als das ärmste der alten Mitgliedstaaten? Was bedeutet es für die europäische Agrarpolitik, wenn ein Land mit einer so großen bäuerlichen Bevölkerung beitritt? Und ist es mit demokratischen Werten vereinbar, dass die Armee in der Türkei mehr Macht und Einfluss hat als irgendwo sonst in Europa?

Die letzte Frage war 1987 besonders akut. Sieben Jahre zuvor hatte das Militär die Macht übernommen und dem Land eine neue autoritäre Verfassung aufgezwungen. Doch da der Putschführer inzwischen zum Staatspräsidenten gewählt war, konnte die EG die Türkei kaum abweisen:

"Die Außenminister der 12-er-Gemeinschaft haben [...] bereits beschlossen, den türkischen Antrag ohne Diskriminierung zu prüfen. Dies könnte allerdings zwei Jahre in Anspruch nehmen, und erst danach würden die eigentlichen Beitrittsverhandlungen beginnen können."

Nach der Prognose des RIAS-Kommentators hätten die Verhandlungen spätestens 1990 beginnen müssen. Der Beitritt selbst würde spätestens 1995 vollzogen sein, schätzte man im türkischen Außenministerium. Beide Erwartungen erwiesen sich als höchst unrealistisch. Tatsächlich begannen die Beitrittsverhandlungen mit Ankara erst 2005. Und was den Beitrittstermin betrifft, so glaubt heute niemand, dass die Türkei vor 2020 in den europäischen Klub aufgenommen wird - wenn überhaupt. Aus türkischer Sicht ist diese Bilanz niederschmetternd, meint der Politologe Achmed Sözen:

"Aus der Gemeinschaft der 12 wurde in den letzten 20 Jahren die Union der 27. Damit sind 15 Kandidatenländer an uns vorbeigezogen, darunter ein halbes Dutzend ehemaliger Ostblockländer, die ähnliche ökonomische und politische Defizite haben, wie sie der Türkei vorgehalten werden."

Sözen wundert sich daher nicht, dass die meisten Türken inzwischen glauben, man halte sie nur deshalb aus Europa heraus, weil sie Muslime sind. Den selben Verdacht äußerte Dieter Buhl in der "Zeit" schon vor 20 Jahren:

"Ein Verbündeter, ein Freund klopft an die Tür, aber den EG-Europäern bleibt der Willkommensgruß im Halse stecken. Macht der Jahrhunderte lange Antagonismus zwischen Kreuz und Halbmond sie stumm?"

Der religiöse Vorbehalt wurde nie in einem offiziellen Dokument der EG oder der EU artikuliert. Doch in der politischen Debatte war er so dominant, dass die türkische Seite ihm von Anfang an entgegentrat:

"Der europäischen Integration liegt nicht das Christentum zugrunde, sondern eine Regierungsform, die Respekt vor der Demokratie und vor den Menschenrechten hat, sowie eine liberale Wirtschaftspolitik und gemeinsame Sicherheitsinteressen. Deshalb ist die muslimische Türkei nicht als Fremdkörper in Europa, sondern als ein bereicherndes Element zu betrachten."

Das Argument, das Ministerpräsident Turgut Özal vor 20 Jahren in einer deutschen Zeitung vorbrachte, hat seitdem noch an Gewicht gewonnen. Seit dem 11. September 2001 spricht alle Welt von jenem "Kampf der Kulturen", den Historiker wie Samuel Huntington beschwören. Angesichts dieser Gefahr argumentiert Ahmet Sözen:

"Die künftige EU-Mitgliedschaft der Türkei wird ein wichtiger Präzedenzfall sein, um die Prophezeiung eines 'clash of civilizations' zu widerlegen. Welche Europäische Union wird einen wichtigeren Beitrag zur Menschheitsgeschichte leisten: eine Union, die sich nur auf christliche Werte gründet, oder eine, die überreligiöse, universelle Werte repräsentiert?"

In der Theorie scheint die Antwort klar. Die aktuelle Wirklichkeit sieht anders aus. 20 Jahre nach dem Beitrittsantrag der Türkei gibt es innerhalb der EU-Bevölkerung eine klare Mehrheit gegen den Kandidaten aus dem Morgenland. Auch die meisten Türken scheinen resigniert zu haben: Nur noch ein Drittel der Bevölkerung sehen heute in der EU eine wünschenswerte Perspektive.