Forderung nach einem neuen Bildungsprogramm

Medienpolitik der Bevormundung kann nur scheitern

Computertaste mit der Aufschrift "alternative facts".
Angesichts von Fake News gibt es Vorschläge wie den eines Bildungstests als Voraussetzung, um wählen zu dürfen. Höchst gefährlich, meint Bernhard Pörksen. © imago
Von Bernhard Pörksen · 12.06.2018
In Zeiten von Fake News und spürbarer Diskursverwilderung wollen immer mehr Medienpolitiker die Bürger bevormunden. Ein Rezept für das sichere Scheitern, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Und skizziert eine neue, moderne Medienpolitik.
Vor 35 Jahren hat der Kommunikationsforscher und Ironiekünstler Paul Watzlawick ein kleines, berühmt gewordenes Buch geschrieben: die "Anleitung zum Unglücklichsein". Es ist ein Anti-Ratgeber von vollendeter Boshaftigkeit, die Total-Veräppelung von Optimierungs-Rezepten jeder Art. Watzlawick gibt hier jede Menge Tipps, wie man nach allen Regeln der Kunst Misserfolge organisiert, die garantiert von Dauer sind.
Heute scheint es, als hätten Medienpolitiker Paul Watzlawick gelesen und würden dazu ansetzen, ganze Gesellschaften gezielt ins Unglück zu stürzen. Sie wollen die öffentliche Kommunikation reorganisieren, neu planen – in Zeiten von Fake News und Hass-Attacken, in Zeiten einer spürbaren Gereiztheit und Diskursverwilderung. Das immer beliebter werdende Schein-Rezept solcher Medienpolitiker könnte man den medienpolitischen Paternalismus nennen, die Entmündigung des Publikums, angeblich zu seinem Schutz und zum Besten aller.

Einfach mal Twitter landesweit abschalten?

In diese Richtung ging der Vorschlag, man solle in Deutschland ein staatliches Abwehrzentrum gegen Desinformation gründen. In diese Richtung ging die Idee eines Wissenschaftlers, das allgemeine Wahlrecht an einen Wissenstest zu koppeln, durchgeführt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Um zu prüfen, wer Propaganda von harten News zu unterscheiden vermag. Der zentrale Satz: "Wer besteht, darf wählen." In eine ähnliche Richtung gehen auch Versuche in vielen Ländern Europa, Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks politische Linien vorzugeben – angeblich im Dienste objektiver Berichterstattung. Und in diese Richtung ging auch der Einfall eines CSU-Politikers, der mir kürzlich am Rande einer Veranstaltung vorschlug, man solle doch Facebook und Twitter beim nächsten Amoklauf oder Attentat einfach mal landesweit abschalten, bis sich die Situation wieder beruhigt habe. Den Hinweis, ein solches Vorgehen sei die übliche Praxis in Autokratien und Diktaturen, wollte er nicht gelten lassen.
Staatliche Abwehrzentren, Eingriffe in die Grundrechte, Attacken auf den kritischen, unabhängigen Journalismus – die ganze Richtung eines solchen Denkens ist grundfalsch. Das demokratische Prinzip lebt elementar vom Ideal der Aufklärung und der Mündigkeit, bis zum absolut endgültigen Beweis des Gegenteils. Und man kann eine Demokratie gewiss nicht dadurch stärken, dass man sie zerstört. Allerdings erlauben es solche Schein-Rezepte, die 1-Million-Euro-Frage gegenwärtiger Medienpolitik präziser zu formulieren. Sie lautet: Wie kann es gelingen, gegen Desinformation vorzugehen, für eine ausreichend respektvolle Kommunikation zu werben – ohne die Ideale von Kommunikationsfreiheit und Mündigkeit zu schleifen?

Der Wert der Öffentlichkeit wird völlig vergessen

Meine eigene Antwort lautet, für einen Universitätsbewohner keineswegs überraschend: In der aktuellen Medienrevolution steckt ein gesellschaftlich noch gar nicht verstandener, nicht wirklich entzifferter Bildungsauftrag. Dieser Bildungsauftrag handelt nicht primär von neuen Tablets, nicht primär von besserem WLAN, nicht primär von funktionierenden Whiteboards. Dieser Bildungsauftrag handelt vom Wert der Öffentlichkeit als dem geistigen Lebensraum einer liberalen Demokratie.
Und ich denke: So wie in den 70er-Jahren das Umweltbewusstsein entstanden ist als Reaktion auf die Verschmutzung unserer natürlichen Umwelt, braucht es jetzt eine Reaktion auf die Verschmutzung der publizistischen Außenwelt und die Ausbeutung der kognitiven Innenwelt. Eine digitale Ökologie als Korrektiv der digitalen Ökonomie. Ein Bildungsprogramm, das für die individuellen und gesellschaftlichen Folgen der Vernetzung sensibilisiert und an Schulen und Hochschulen gelehrt werden könnte.
Auf all die Vorschläge, die Bildung mit Bevormundung verwechseln, kann man dabei getrost verzichten. Sie taugen, frei nach Paul Watzlawick, allenfalls als Rezept für den garantierten Misserfolg, das sichere Scheitern.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Kürzlich erschien sein Buch "Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung" im Hanser-Verlag.

Bernhard Pörksen
© Bild: Peter-Andreas Hassiepen
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