Flüchtlingspolitik

Sprachmonster "Transitzone"

Flüchtlinge warten am 2. November 2015 in Passau (Bayern) am Bahnhof in einem Versorgungszelt auf ihre Registrierung.
Flüchtlinge warten am 2. November 2015 in Passau (Bayern) am Bahnhof in einem Versorgungszelt auf ihre Registrierung. © dpa / picture-alliance / Angelika Warmuth
Von Hans-Joachim Lenger |
In der Debatte zur Flüchtlingspolitik ist nun häufig von sogenannten Transitzonen die Rede. Und niemandem fällt dabei auf, dass dies ein Wortungetüm ist, das sich an einer Unmöglichkeit versucht. Ein philosophischer Kommentar.
Der Transit ist ein Durchgang, ein Übergang. Transitländer beispielsweise werden durchquert, ohne dass der Flüchtende in ihnen verbliebe oder gar sesshaft würde. Transitlager werden nur vorübergehend belegt, um wieder verlassen zu werden. Und ein transitorischer Zustand bleibt stets ein "vorübergehender". Transit – das ist nämlich selbst ein Vor¬übergehen in Zeit und Raum. Jemand begegnet uns, das heißt: Er geht an uns vorüber. Er taucht in unserem Horizont auf, berührt uns möglicherweise und vergeht wieder, indem er sich entzieht. Stets begegnet er uns lediglich im Transit, und nie ist der Raum, in dem sich der eine und der andere berühren, deshalb eine feststehende Größe.
Erst recht weist die Zeit transitorischen Charakter auf. Was ist, das entsteht und vergeht ja nicht nur "in" der Zeit. Mehr noch: Die Zeit "vergeht" selbst, sie geht selbst vorüber, wie man sagt. Sie gibt sich nur, indem sie sich jedem stehenden Augenblick entzieht. Wo immer sie dingfest gemacht werden soll, im Blick auf die Uhr etwa oder in der Festschreibung eines Datums, hat sie ihre Zeitlichkeit bereits eingebüßt.
Zuletzt nun wurde unter Politikern heftig um sogenannte "Transitzonen" gestritten. Die einen wollten die Landesgrenzen mit "Transitzonen" umgeben, um Flüchtlinge abzufangen und gegebenenfalls gleich in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Die anderen möchten den Transit sozusagen im Innern der Landesgrenzen einfrieden, ihn in "Aufnahmezentren" einmünden lassen und in die geordneten Bahnen einer Feststellung, Verteilung und Verwaltung einhegen.
Der Begriff "Transitzone" verstellt den Blick auf das Wesentliche
Das Vorübergehen des Transits soll in einer Ökonomie stillgestellt werden, die ja wörtlich so etwas wie eine "Hausordnung" bezeichnet. Niemandem fällt dabei auf, dass die sogenannte "Transitzone" ein Wortungetüm ist, das sich an einer Unmöglichkeit versucht. Es unterstellt, das "Vorübergehen" des Transits in bestimmte "Zonen" verlegen und hier arretieren zu können. Der Transit soll sich in Bahnen einer Kontrolle vollziehen, die letztlich dem Gesetz des Hauses, dem oiko-nomos, einer bestimmten Sesshaftigkeit und Statik gehorchen. Nicht dem Durchgang eines "Vorübergehens" widmen sich solche "Transitzonen", sondern der Abwehr und Zurückweisung im Zeichen des eigenen Hauses.
Möglicherweise verstellen sprachliche Monstren wie die "Transitzone" deshalb das Wesentliche. Die Weltordnung ist gleichsam ins Rutschen geraten, nicht zuletzt durch westliche Globalstrategien und Kriege, und auch die entwickelten Gesellschaften dieses Westens werden nun daran erinnert, selbst nur transitorischen Charakter zu haben. Was ist, bleibt nicht, sondern geht vorüber. Der "Transit" erfasst unsere Ordnungen, erschüttert ihre Zonen und Zentren, die auch von Zäunen und Mauern nicht gesichert werden können. Selbst haltlos und vorübergehend zu sein, erweist sich als Wesenszug auch unserer Verfasstheit. Von daher die Fassungslosigkeit, die um sich greift. Wir selbst sind im Transit. Darin, dies zu denken, anstatt es zu verwerfen, bestünde dann das eigentliche Problem.
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