Flickenteppich der Fantasie

Von Stefan Keim · 20.12.2009
Im goldverschnörkelten Bikini, umgeben von zwei Plastikelefanten rollt Cleopatra herein, ein Fleisch gewordener Männertraum wie aus dem Monumentalkino der vierziger bis sechziger Jahre. Aber es ist nicht Liz Taylor, die im Wiener Burgtheater die leidenschaftliche Königin Ägyptens gibt.
Sondern die ebenso reizvolle Catrin Striebeck, der allerdings der zu dieser Szene eingespielte Hollywood-Soundtrack schnell auf die Nerven geht. "Mach mal ne andere Musik", bellt sie ins Off, und ein unsichtbarer Sklave gehorcht sofort.

Stefan Pucher setzt in seiner Inszenierung von Shakespeares selten gespielter Tragödie "Antonius und Cleopatra" zunächst hemmungslos auf Schauwerte. Das Liebespaar zeigt er beim Knuddeln im Schaumbad, Octavius Cäsar, der Gegenspieler des Antonius, sitzt in einer großen King Kong-Statue. Auf Rollen werden die Bühnenelemente hinein auf die kulissenlose Spielfläche gefahren. Pucher öffnet Assoziationsräume, zeigt keine stringente Interpretation des Stückes, sondern einen Flickenteppich der Fantasie.

Shakespeares Text birgt manche Herausforderung. Dem historischen Hintergrund zu folgen, ist nicht leicht. Da einigt und zerstreitet sich das Zweite römische Triumvirat von Antonius, Octavius Cäsar (dem späteren Augustus) und Lepidus, ständig gibt es Bürgerkriege und Intrigen, Gefolgsleute wechseln die Seiten. Antonius´ römische Gattin mischt auch kräftig mit, stirbt aber schon am Beginn des Stückes, worauf er aus politischen Gründen die Schwester seines Gegenspielers heiratet. Klar, dass die Beziehung mit Cleopatra unter all diesen Ränkespielen leidet.

Wenn man den optischen Bombast mal außer Acht lässt, buchstabiert Pucher die komplexe Geschichten in allen Einzelheiten nach. Er wertet sogar die Figur des Wahrsagers auf und lässt ihn in Gestalt des knubbelig-wienerischen Hermann Scheidleder ein paar erklärende Überleitungen sprechen, die es im Original nicht gibt. Shakespeare ging nämlich davon aus, dass seine Zeitgenossen die Geschichte kannten, sie zählte zu den populärsten Stoffen britischer Dramatiker des 16. Jahrhunderts. Durch diese Detailfreude kommt - im Gegensatz zu Puchers wunderbarer Münchner Inszenierung von Shakespeares "Sturm" – kein rauschartiger Bilderfluss auf. Zwischen effektvollen Szenen wirkt die Aufführung oft bemüht, zumal die Schauspieler lange nicht über comichafte Grobzeichnungen hinaus kommen.

Das ändert sich, wenn es ans Sterben geht. Im Angesicht seines Untergangs entwickelt Wolfram Koch als Antonius plötzlich eine verzweifelte Energie. Wild kämpft er gegen die Konsequenzen seiner Ignoranz gegenüber den politischen Entwicklungen an, will den grauen Haaren trotzen und so lange vor die Wand rennen, bis die umfällt. Doch im tiefsten Inneren weiß er, dass er sich einen blutigen Kopf holen wird. Auch Catrin Striebeck ist nun nicht mehr die hübsche Zicke, die sich mit Gespielinnen im Barbarella-Outfit eine leicht sadistisch angehauchte Fantasiewelt aufgebaut hat. Sie erkennt, dass es auch für sie ums Überleben geht. Beide, Antonius und Cleopatra, werden im Laufe des Stückes im fortgeschrittenen Alter erwachsen. Das wäre ein spannender Blick auf das Stück und die Charaktere, doch Pucher deutet ihn nur an. Wie so vieles.

Alexander Scheer, der schon Puchers grandioser Hamburger Othello war, spielt sich als Octavius Cäsar ins Zentrum der Aufführung. Im eleganten weißen Anzug ist er der Herrscher der Theaterelemente, die Diktatorenvariante eines Prospero. Er sagt "Multimedia", und die Leinwand fährt herunter. Er fragt, ob der Ton auf seinem Platz sei, und sofort bestätigt ein Techniker seine Anwesenheit. Manchmal musiziert Octavius mit seiner Rockband und gibt sich überhaupt nölig-outriert als großer Star. Gefühle sind für ihn nur Show, ob irgendetwas an ihm echt ist, bleibt hinter der Fassade verborgen. Aber am Ende erreicht er nicht sein Ziel, der Tod von Antonius und Cleopatra nimmt ihm den Triumph, die unterworfenen Feinde öffentlich auszustellen. Da bekommt Puchers Inszenierung wieder so einen angedeuteten Moment von Tiefe. Aber zu oft gibt er sich mit der bunten, opulenten Oberfläche seine ausladenden Bühnenfantasie zufrieden.

Service:
22., 27. Dezember, 5., 10., 16., 26., 29. Januar am Burgtheater Wien