Fingierte Selbstschau des Comandante

Rezensiert von Uwe Stolzmann · 12.06.2006
Norberto Fuentes war lange Zeit ein treuer Gefährte von Fidel Castro - bis 1989. Damals ließ der mittlerweile dienstälteste Herrscher Welt einen Freund Fuentes' erschießen. Mittlerweile lebt der Autor in den USA und hat jetzt das Werk seines Lebens geschaffen: "Die Autobiographie des Fidel Castro" - eine fingierte Selbstschau eines Diktators.
"Ich, ich allein, habe mehr und fernere Länder erobert als Alexander der Große. Ich habe zwei Imperien getrotzt, die tausendmal mächtiger sind als das alte Rom und Ägypten und alle antiken Reiche zusammen und die der Neuzeit. Und ein halbes Jahrhundert lang machte ich weltweit häufiger Schlagzeilen als irgendein anderer Staatsmann."

In dieser Form hat er das nie gesagt, aber, ja, die Worte könnten von ihm stammen: von Fidel Castro. Und trotz des Anflugs von Größenwahn – er hätte sogar Recht. Der knapp 80-jährige Caudillo, seit 1959 in Kuba an der Macht, ist der dienstälteste Herrscher der Welt. Und der geheimnisvollste. Mit welchen Mitteln er nach oben gelangte und sich dort halten konnte, wie er privat lebt, wie viele Kinder er hat – niemand weiß es wirklich. Das US-Magazin "Forbes" nannte ihn dieser Tage den siebtreichsten Mann der Welt, und der "Máximo Líder "reagierte wie gewohnt: überschießend, mit einer mehrstündigen Fernsehrede voller Hasstiraden.

Jetzt gibt es die "Die Autobiographie des Fidel Castro", und dieses Werk überrascht gleich mehrfach. Es hat, zugegeben, Fidel-Format: fast 2000 Seiten im (zweibändigen) spanischen Original, 750 in der deutschen "Kurzfassung". Aber - Memoiren aus der Hand des "Comandante en Jefe", Castro, sich selbst beobachtend? Undenkbar. Jeder noch unbekannte Fakt, jede kleine Wahrheit würde den selbst geschaffenen Mythos vom Heros der Revolution beschädigen. Überraschung Nummer zwei: Auf dem Buchcover, gleich über dem Foto des Obersten Führers mit Zigarre, steht ein anderer Name. Norberto Fuentes.

Fuentes, hierzulande wenig bekannt (es sei denn durch seinen einfühlsamen Bericht "Hemingway in Cuba"), ist in Lateinamerika ein Autor von glänzendem, zugleich zweifelhaftem Ruf. Janusköpfig, zynisch, amoralisch. Ein großartiger Stilist, der die Kunst des Understatements, die Prosafeier blanker Männlichkeit fast so gut beherrscht wie sein Idol Hemingway. Das zweite Idol des Kubaners heißt Castro...

Fuentes, Jahrgang 1943, war 16, als die bärtigen Rebellen in Havanna einmarschierten. Er wird leidenschaftlicher "Revolutionär", nicht einer Sache wegen, sondern aus Lust am Kriegspielen, am "Abenteuer", wie er sagt. Anfang der 60er bekämpft er in Kubas Escambray-Gebirge die "Banditen" (so nennt er die Aufständischen gegen Castro noch heute), später schießt er in Angola. Er schreibt Bücher über die "Abenteuer", die Bücher erhalten Preise. Er ist Lobredner, Chronist und Aushängeschild des Regimes. Er wird Botschafter. Und Offizier der Staatssicherheit. Und Vertrauter des Führers, mit Zugang zum inneren Zirkel. Er protzt mit seinen Privilegien, ja, er fühlt sich wohl in diesem System, das er später als dekadent beschreiben wird – bis Fidel Castro 1989 einen Freund erschießen lässt: General Arnaldo Ochoa, in einem verlogenen Schauprozess angeklagt wegen Drogenschmuggels. Fuentes ist entsetzt, er zieht sich zurück; vom System – seinem System – erfährt er die inseltypischen Repressalien: Publikationssperre, Reiseverbot, Isolation.

Seit 1994 lebt der Schriftsteller in Miami. Unter konspirativen Umständen, bei völliger "Funkstille" ("um Sabotageakte zu vermeiden"), hat er jetzt das Werk seines Lebens geschaffen: die fingierte Selbstschau eines Diktators, so offen, kühn und literarisch perfekt, wie sie der "Líder" nie geschrieben hätte. Schon der Titel ist eine Anmaßung, und anmaßend wirkte im Vorfeld das ganze Projekt, doch der Autor hat es gemeistert: Die Kunstfigur verschmilzt mit der realen Person; redet der eine, glaubt man den anderen zu hören... Arrogant spricht dieses Ich-Er, sarkastisch, selbstverliebt. Der Protagonist zeigt Hybris, natürlich, und er hat Humor.

Allen Karrieresprüngen des "Comandante" ist sein Adept getreulich gefolgt, die erwarteten Stichwörter fallen: Spross eines Grundbesitzers, Jesuitenschule, Moncada und Mexiko, die Sierra, Einmarsch in Havanna, die Schweinebucht, Angola... Doch immer weiß der Autor zu überraschen. Kein Wunder – Norberto Fuentes schöpft aus Insiderwissen sowie aus einer (selbstvermuteten) Geistesverwandtschaft zwischen Chronist und Despot.

Gibt es neue Fakten? Eher weniger. Dass Castro in Che Guevara einen Rivalen sah, dass der Führer Kontrahenten beseitigen ließ, dass er auch selbst ohne Reue getötet hat und Gefährten in Verliesen vermodern ließ... – bekannt. Vielleicht aus diesem Grund wirkt dieser schwadronierende Fidel, mal charismatisch und mal beschränkt, fast sympathisch – bis man im Anhang des Buchs zu einer Auflistung von Opfern kommt ("Alle meine Freunde sterben"). 59.997 Menschen, meint Fuentes, seien für, gegen oder wegen Fidel Castro gestorben...

Was ist das Werk nun: Roman, Biographie, Enthüllung? Fiktion oder Studie? Die Ich-Perspektive sei das einzige romaneske Mittel, beteuert Norberto Fuentes; dahinter stünde ein Gerüst an verbürgten Informationen. Als Versuch, die Legende vom sauberen Rebellen Castro zu zerstören, musste das Buch scheitern. Legenden sind zählebig. Letztendlich ist diese "Autobiographie" ein Produkt enttäuschter Liebe, ein Stück ohnmächtiger Rache am Übervater. Fidel, meint der Autor selbstbewusst, dürfte sich über das Buch zumindest geärgert haben. Und auf die freche Herausforderung zu reagieren, bliebe dem "Máximo Líder" nur eine Möglichkeit: indem er die eigenen Memoiren nachreicht – sozusagen aus zweiter Hand.

Norberto Fuentes: Die Autobiographie des Fidel Castro
Aus dem Spanischen von Thomas Schultz
Verlag C.H.Beck
München 2006
757 Seite, 29,90 Euro