Finanzjournalist: Nationaler Alleingang ist sinnvoll und notwendig

Wieslaw Jurczenko im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.04.2010
Eine globale Lösung zur Regulierung des Finanzmarktsektors sei "illusorisch" und "kontraproduktiv", sagt der Finanzjournalist Wieslaw Jurczenko. Die Regulierungssachverhalte seien global nicht identisch.
Joachim Scholl: Seit die Finanzkrise ausbrach im September 2008 wird über Regulierung geredet, über den Versuch, Banken und Finanzmärkte stärker zu kontrollieren. Doch geschehen ist bislang nicht viel. Jetzt hat die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen beschlossen, etwa eine Bankenabgabe, um einen Nothilfefonds für zukünftige Krisenfälle einzurichten. Prompt kam der Protest der Branche, solche nationalen Alleingänge seien schädlich für den Finanzplatz Deutschland, und auch der Koalitionspartner FDP drängt auf eine international einheitliche Lösung. Im Studio begrüße ich nun Wieslaw Jurczenko, Finanzjournalist und Anwalt für Wertpapierrecht, er war früher selbst für eine internationale Großbank tätig und kritisiert genau diesen internationalen Ansatz. Guten Tag, Herr Jurczenko!

Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Immer wenn de Staat, Herr Jurczenko, in den letzten eineinhalb Jahren einen Vorstoß zur Regulierung des Finanzsektors machte, hieß es unisono von den Banken, bloß kein Alleingang, wir brauchen eine globale Lösung, die für alle verbindlich ist. Sie, Herr Jurczenko, sagen, das bringt rein gar nichts. Wieso?

Jurczenko: Also, bei diesen Vorschlägen handelt es sich meines Erachtens um ein Phantom. Das ist etwas, was sich sehr gut anhört, ist absolut illusorisch. ich kenne keine einzige Finanzmarktregulierung, die tatsächlich global einheitlich umgesetzt wäre in irgendeiner Form. Das hat auch an anderen Stellen schon nicht geklappt, man denke da an den Klimaschutz, die Kerosinbesteuerung, aber auch Rechnungslegungsvorschriften sind immer noch nicht einheitlich. Und nicht zuletzt die Transaktionssteuer, die immer wieder diskutiert wird, die es übrigens in Deutschland von 1885 bis 1991 gegeben hat, die hat man damals abgeschafft, weil man die Befürchtung hatte, dass sie dem Finanzmarkt schade. Interessanterweise hat Großbritannien und die Schweiz diese Transaktionssteuer beziehungsweise die Stempelsteuer bei Börsenumsätzen immer noch beibehalten und es hat ihnen in keinster Weise geschadet. Also meines Erachtens bringt es nichts, es ist illusorisch, es hat nirgendwo geklappt und ist meines Erachtens eine absolute Nebelkerze und ich frage mich auch, was da überhaupt reguliert werden soll. Und man muss auch beachten natürlich, die Regulierungssachverhalte sind global nicht identisch.

Scholl: Würden Sie denn so weit gehen zu sagen, eine global einheitliche Regelung wäre selber schädlich?

Jurczenko: Also sie ist zumindest sehr kontraproduktiv, sie hat sich auch als gefährlich erwiesen in der gerade zurückliegenden Finanzkrise. Die Krise hat sich dort am stärksten ausgewirkt, muss man sehen, wo die Märkte am weitesten reguliert waren, das ist ähnlich wie in der Landwirtschaft: Wenn man eine Monokultur schafft und ein Schädling irgendwo eindringt, dann breitet er sich mit besonderer Geschwindigkeit und Durchschlagskraft aus.

Scholl: Nun also mal umgekehrt: Wenn es international nicht geht, wie dann auf nationaler Ebene? Gibt es denn Beispiele solcherart sinnvoller nationaler und erfolgreicher Regulierung?

Jurczenko: Da gibt es durchaus Beispiele. Man kann gerade jetzt in Bezug auf die Krise ein Land nennen, da war Spanien, da hat sich die Aufsicht hingestellt und hat den Banken im Prinzip untersagt, Subprime-Kredite aufzukaufen, was dazu geführt hat übrigens, dass Spanien unmittelbar von der Finanzkrise, spanische Banken nicht betroffen waren, im Gegenteil, die Bank Santander hat Ende 2008, ist auf Einkaufstour gegangen und hat sich eine britische und amerikanische Bank gekauft. Wir haben die Türkei, wo Eigenkapitalanforderungen besonders scharf gesehen sind, die auch keine Banken retten musste. Wir haben China, China hat sehr starke Kapitalverkehrskontrollen, so hat Boston Consulting Group Ende 2009 noch, oder Mitte 2009 bekanntgegeben, mittlerweile die drei weltgrößten Banken, das sind chinesische Banken, die nach Marktkapitalisierung heute ganz vorne in der League Table stehen, dann hat man natürlich gefragt, was haben die eigentlich gemacht, was ist deren Erfolgsfaktor? Dann kam zurück, die chinesischen Banken sind besonders geprägt durch ein starkes Privatkunden- und Firmenkundengeschäft, also nichts mit Kasino. Wir haben Malaysia natürlich nicht zu vergessen, das sich in der Asienkrise sehr gut geschlagen dadurch, dass sie zum einen den IWF nicht reingelassen haben, zum anderen haben sie ihre Währung aus dem internationalen Handel genommen und waren so in der Lage, ein eigenes Krisenmanagement durchzuführen.

Scholl: Der IWF, der Internationale Währungsfonds in Malaysia kam ja nicht zum Zug. Wieso?

Jurczenko: Weil Malaysia keine Hilfe vom IWF wollte, der IWF kann ja nun seine Hilfe nicht irgendwo anbringen, wo sie auch nicht erwünscht ist. Man hat, wie gesagt, ein eigenes Krisenmanagement auf die Beine gestellt, man hat sich nicht den Marktkräften ausgeliefert, sondern hat eben genau durch eigene Regulierung und nicht rein fiskalische Maßnahmen zugesehen, dass man das Ganze in den Griff bekommt. Da hat die Politik Stärke gezeigt und sich nicht den internationalen Marktkräften ausgeliefert. Hier hat man das verstanden: Der Markt vermeidet keine Fehler, er bestraft sie.

Scholl: Über nationale Regulierung des Finanzmarkts sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Finanzjournalisten Wieslaw Jurczenko. Nun heißt es vonseiten der Banken und auch von der Politik stets, nationale Regulierung schadet dem Wettbewerb. Deutschland verliere den internationalen Anschluss, das Geld wandert ab – was ist dran an diesem Argument?

Jurczenko: Ja das, davon ... Das stimmt überhaupt nicht. Nationale Regulierung ist ein Wettbewerbsfaktor. Das haben wir übrigens gerade in Deutschland gesehen: Deutschland galt bis praktisch zu Beginn der 90er-Jahre als ein Finanzplatz, dem man international nicht sehr vertraut hat, weil hier nicht viel Transparenz herrschte, Insider-Handel war nicht strafbar und solche Dinge. Erst als mit den Finanzmarktförderungsgesetzen, es waren vier an der Zahl, insbesondere mit dem zweiten, wo man dann eben zum Beispiel Insider-Handel strafbar gemacht hat, wo man Anlegerschutz gestärkt hat, wo man Transparenzvorschriften erlassen hat, wurde der deutsche Finanzmarkt für die Anleger interessant. Auch die Steueroasen: Die meisten Steueroasen liegen in Europa. Ich könnte hier eine lange Liste aufzählen, ob das Andorra, die Britischen Kanalinseln, Gibraltar, Isle of Man, Liechtenstein, Madeira, Malta, Monaco, Zypern und so weiter, das kann man endlos fortführen, sind –, das sind kleine Lokalitäten, die durch eigene Regulierung oder auch Deregulierung gezielt es geschafft haben, eben Wettbewerbsfaktor zu schaffen. Allerdings, man muss natürlich sehen, grenzüberschreitende Geschäfte, insbesondere wenn es um Kapitalverkehr mit spekulativem Kapital geht, sollten ganz besonders streng angeschaut werden.

Scholl: Was ich aber dann nicht verstehe, es müsste ja auch in den Finanzministerien genügend Fachleute geben dort, die diesen von Ihnen erläuterten Zusammenhang sehen, also dass nationale Regulierung durchaus wirksam sein kann. Warum hört man dann aber keinen Mucks davon?

Jurczenko: Das ist etwas, worüber man nur spekulieren kann, also einmal glaube ich, dass da wenig Fantasie vorherrscht in der Politik, man hat vielleicht keine Vision dafür, was eigentlich ein Finanzsektor für eine lokale Wirtschaft leisten soll, die Chinesen wissen genau, was das Ziel hier ist, anscheinend hier nicht. Man sieht auch schon, wenn man Gesetze von Anwaltskanzleien schreiben lässt, dann hat man anscheinend keine Vision. Erst, wenn man hier eine klare Vorstellung entwickelt und die Verhältnisse gerade rückt, das heißt, den Finanzsektor der Realwirtschaft unterordnen, wird sich wahrscheinlich etwas ändern.

Scholl: Deutschland ist von seinem Finanzsektor nicht so abhängig wie England, die Schweiz oder die Vereinigten Staaten. Wäre es hier also leichter bei uns, nationale Regulierung durchzusetzen, wenn man es denn wollte?

Jurczenko: Ich denke schon. Deutschland verfolgt allerdings schon seit Langem die Strategie, das war schon zu Zeiten der Kohlregierung so, eben die Bedeutung des Finanzplatzes zu steigern, man hat, ich hatte es ja schon erwähnt, vier Finanzmarktförderungsgesetze in Form von Artikelgesetzen erlassen und so Verschiedenes reguliert, aber auch dereguliert, und hier hat man glaube ich auch ein bisschen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Man hat einerseits, wie ich es erwähnte, mit Transparenzvorschriften und auch mit Strafvorschriften dafür gesorgt, dass Vertrauen geschaffen wird, aber auf der anderen Seite auch sehr viel dereguliert in der Hoffnung, möglichst viel Kapital anzuziehen. Was hat man damit geschafft, man hat letzten Endes auch sehr viel Spekulationskapital angezogen. Aber der Finanzplatz, oder die Bedeutung des Finanzplatzes, das darf man nie verwechseln, ist eigentlich immer die Folge einer auch bedeutenden Wirtschaft und nicht die Folge von Spekulationsexzessen. In diesem Punkt sollte man von der Strategie meines Erachtens zumindest abrücken. Ich meine, man bekommt nicht einen bedeutenden Finanzplatz, wenn man das Kasino immer größer baut; man handelt sich damit eigentlich immer gravierendere Krisen ein. Ich sage immer, Limburg wird auch nicht zur Weltstadt, nur weil es einen ICE-Bahnhof hat, da ist es seither nur lauter geworden.

Scholl: Und teurer wahrscheinlich.

Jurczenko: Und auch teurer, ja!

Scholl: Nun hat Wolfgang Schäuble zum Beispiel auf den Protest der Finanzwirtschaft gegen die Bankenabgabe sofort mit der Ankündigung reagiert, eine europäische Lösung zu suchen. Heißt das, dass nun vermutlich wieder gar nichts passiert?

Jurczenko: Ja, möglicherweise jedenfalls nicht genug und wahrscheinlich nicht das richtige. Man hat es jetzt in diesem Gesetzesvorhaben, in dem Eckpunktepapier, was durch das Bundeskabinett gegangen ist, auch wieder gesehen: Es sind alles Maßnahmen, die sich mit nachgelagerten Aktionen befassen, das heißt wenn die Krise mal da ist, was man dann tun kann: Man hat die Organhaftung verschärft oder verlängert, die Verjährung verlängert, man hat diese Bankenabgabe jetzt im Blick, von der ich wirklich sagen muss, bei der zu erwartenden Einnahme von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, dann können wir mit dem Erlös in 100 Jahren eine HRE retten, das ist wirklich kein Ergebnis. Die eine Milliarde, über die man sich da beschwert, das ist ein Bruchteil der jährlichen Bonuszahlungen der deutschen Bank. Also auch dieses Argument, ich habe es von Herrn Solms noch gehört, dass dann möglicherweise, wenn man diese Abgabe erhöhen würde, eine Kreditklemme im Aufschwung käme, das halte ich also für Fantasterei. Es ist wirklich, das belastet überhaupt kein Kapitalsystem, wenn man diese Bankenabgabe höher setzt. Aber das Problem ist einfach, dass man nach vorne gerichtet nicht reguliert. Warum können zum Beispiel unregulierte Marktteilnehmer wie Hedgefonds, über die man sich ja immer wieder beschwert, weiterhin an deutschen Börsen handeln, warum hält man Spekulationskapital nicht raus, warum unterhält man sich nicht über die Transaktionssteuer? Ich habe den Eindruck, der deutsche Finanzplatz ist im Moment wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer und es wird Zeit, dass die Mutter das Aufräumen und die Entsorgung unnötiger Dinge anordnet und überwacht.

Scholl: Besten Dank, Herr Jurczenko. Nationale Regulierung ist sinnvoll und notwendig, sagt Wieslaw Jurczenko, Finanzjournalist und Anwalt für Wertpapierrecht. Ein Essay zu eben unserem Thema erscheint von ihm demnächst im Aprilheft der "Blätter für deutsche und internationale Politik".