Filmwissen

Die ganze Welt der US-Serien

Von Claudia Lenssen |
Wer heute mitreden will, muss sich nicht mehr nur mit Büchern auskennen, sondern auch mit Fernsehserien. Die haben mitunter längst Kultstatus erreicht. Die Reihe "Booklets" liefert viele Informationen zu Plots und Entstehungsgeschichte der beliebtesten Serien.
Möchte man dieser Tage bei Partygesprächen nicht unangenehm auffallen, sollte man sich in den großen Epen amerikanischer Fernsehserien auskennen. Spätestens seit die Serie "Six Feet under" die Alltagsnöte einer Bestatterfamilie auseinander tüftelte, die "Sopranos" das Psychogramm einer Familie knallharter Mafiosi feinzeichnete oder "The Wire" die Stadt Baltimore als ein tragisches Beziehungsnetz krimineller Verstrickungen zeigte, gewinnt diese neue Form des Fortsetzungsromans, zumal als DVD-Editionen mit Suchtfaktor zu genießen, immer mehr Fans.
Hintergrundwissen zu den Serien
Der Filmkritiker Simon Rothöhler hat eine Taschenbuchreihe initiiert, die anregende Zusatzlektüren zu den Glanzstücken amerikanischer Qualitätsserien der letzten 15 Jahre verspricht. Booklet, so der Reihentitel, "liefert nach, was in den DVD-Boxen fehlt". Autoren, Kritiker und Künstler aus dem Umkreis der Berliner Filmzeitschrift Cargo schreiben hier als bekennende Afficionados, ohne mit allzu viel Insiderwissen zu verprellen.
Serienliebhaber finden kenntnisreich sortiertes Hintergrundwissen zu Entstehungsgeschichten, Produktionsbedingungen und Werkstattberichten, Neueinsteiger erfahren durch die knappen, ironisch souveränen Portraits des Serienpersonals, wohin die Reise geht, wenn man sich auf lange Abende und Dutzende Folgen von "Seinfeld", "The West Wing" oder "Sex and the City" einlässt.
Wiederbelebung der philosophischen Maximen
Die Booklets verstehen sich indes ambitionierter als bloße Materialsammlungen, sie entdecken Zeitbezüge und kritische Kommentare auf die Wirklichkeit in den Serien der letzten fünfzehn Jahre. So sieht zum Beispiel die Schriftstellerin Sarah Khan in ihrem Essay zu "Dr. House", einer Serie über ein Lehrkrankenhaus und dessen querköpfigen Chef, nichts weniger als eine Wiederbelebung der philosophischen Maximen des amerikanischen Pragmatismus.
Nach dem 9. September 2001 wirkte "Dr. House" wie ein Gegengift zur paranoiden gesellschaftlichen Grundstimmung, indem die Serie in über 80 Folgen Menschen unter Handlungsdruck in den Mittelpunkt stellte, ihre diagnostischen Fehler offenbarte, aber auch den nicht nachlassenden Ehrgeiz feierte, am Ende heilende Lösungen zu finden.
Weltraumoper ohne Oper
Auch Ekkehard Knörer vermutet in der "Re-Imagination" der Science-Fiction-Serie "Battlestar Galactica" aus den 70er-Jahren eine Allegorie auf die Post-9/11-Mentalität. Anschaulich führt er vor, wie der Schöpfer des Remakes, Ronald D. Moore, eine "Weltraumoper ohne Oper" entwarf und sich für dokumentarische Stilmittel entschied, um das Weltraumabenteuer der letzten Überlebenden der Erde, die eine neue Heimat suchen, als realistische Politparabel zu erzählen.
Tom Holert schließlich beschreibt die Neo-Western-Serie "Deadwood" als Epos über die anarchische Urgesellschaft eines Goldgräberlagers und facettenreiche Spiegelung der Grundfragen menschlichen Miteinanders. Folgt man seiner Spurensuche, ist die zur Zeit des Irak-Kriegs entstandene Serie nicht zuletzt ein Plädoyer für eine Ethik zivilen Zusammenlebens.
Wie Lotsen durch das "Worldbuilding" der Serien machen die Booklets der Reihe mit den verblüffenden Dimensionen dieser epischen großen Erzählungen vertraut und erweitern den Blick.

Sarah Khan: "Dr. House", 104 Seiten
Ekkehard Knörer: "Battlestar Galactica", 96 Seiten
Tom Holert: "Deadwood", 128 Seiten
Hg. Simon Rothöhler, Reihe Booklet
diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2013, 10,00 Euro