Filme von Regisseuren, "die auf die Wunde den Finger legen"

Amin Farzanefar im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.03.2013
Auf dem Filmfestival "Well Played" zeigen iranische Regisseure Beiträge, die in ihrer Heimat verboten sind. Mit dem Programm sollen auch Vorurteile über den Iran abgebaut werden: Die hiesige Berichterstattung sei pauschalisierend und gleichmacherisch, sagt der Kurator Amin Farzanefar.
Liane von Billerbeck: Wenn man von iranischen Kino in letzter Zeit gehört hat, dann ging es eher um die Kämpfe der Filmschaffenden gegen Zensur und Berufsverbot als um die Filme selbst. So lief auf der Berlinale ein Film, den es hätte gar nicht geben dürfen. Der zu sechs Jahren Haft und zu 20 Jahren Berufsverbot verurteilte Regisseur Jafar Panahi stellte seinen neuen Film im Wettbewerb vor: "Closed Curtain", den er zusammen mit seinem Coregisseur Kambuzia Partovi in einer Villa am kaspischen Meer drehte.

Dass die iranischen Filmschaffenden allen politischen Widerständen zum Trotz weiterhin Bilder jenseits der Offiziellen in Umlauf bringen, davon zeugt jetzt auch die Reihe "Well Played – iranische Filmtage – gewünscht, toleriert, verboten – Neue Räume für den iranischen Film". Diese Reihe, die in Zusammenarbeit mit der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung entstanden ist, wurde kuratiert von Amin Farzanefar. Ich begrüße Sie!

Amin Farzanefar: Hallo!

von Billerbeck: Lassen Sie uns doch kurz bei Jafar Panahi bleiben. Wie jetzt bekannt wurde, sind ja seine Schauspielerin Maryam Moghadam und sein Co-Regisseur Kambuzia Partovi die Pässe auf unbestimmte Dauer abgenommen worden. Muss man als iranischer Filmschaffender permanent mit solcher Bedrohung leben?

Farzanefar: Man muss es nicht, man kann auch solchen Risiken ausweichen, indem man sich auf, sagen wir mal, weniger kritische Sujets stützt, aber ich sage, wenn man im Iran einen Film macht, dann ist man sich des Risikos bewusst und wählt das auch irgendwie selber und macht es im Zweifelsfall trotzdem.

von Billerbeck: Das heißt, Auseinandersetzung mit den Autoritäten gehört quasi zum Berufsbild des Regisseurs im Iran?

Farzanefar: Ja, und das nicht erst seit der Revolution, sondern eigentlich seit der 100-Jährigen Filmgeschichte des Iran gibt es immer wieder eine Auseinandersetzung mit den Obrigkeiten, und das Gegenwärtige spiegelt das Vergangene.

von Billerbeck: "Gewünscht, toleriert, verboten" heißt Ihre Filmreihe im Untertitel – das hört sich schon irgendwie paradox an. Einerseits schmückt man sich ja im Iran mit den Erfolgen der Regisseure im Ausland – der Goldene Bär von Panahi und die goldene Palme von Abbas Kiarostami, die stehen im Teheraner Filmmuseum, andererseits liefen aber die jeweiligen Preisträgerfilme noch nie in iranischen Kinos. Wie lebt, wie überlebt man denn als Regisseur in dieser Schizophrenie?

Farzanefar: Auch da wieder abhängig von der Wahl des Sujets des Filmes. Es gibt halt eine große und breite Filmindustrie im Iran, wobei auch nicht alles Schrott ist, was da läuft, es sind auch durchaus kritische Untertöne und Ironien und so weiter drin in den Filmen, nur halt der Arthouse-Film, der hier so beliebt ist, und der auch Festivalpreise bekommt, der stammt dann von Leuten, die wirklich ganz bewusst auf die Wunde den Finger legen und dementsprechend auch Risiken eingehen, ja.

Genau, und da gehört es dann immer dazu, dass der Film einerseits dann irgendeine goldene Trophäe erwirbt, die dann auch im iranischen Filmmuseum stolz ausgestellt wird, und andererseits der Film eventuell nur ein-, zwei-, dreimal im Iran zu sehen sein muss. Ist aber nicht zwingend so, zum Beispiel der Oscargewinner "Nader und Simin" lief mit breitem Publikumszuspruch.

von Billerbeck: Der zweite Titel dieser Filmreihe in Berlin, der heißt ja "Neue Räume für den iranischen Film". Welche neuen Räume sucht sich denn das iranische Kino?

Farzanefar: Wir hatten vor zehn Jahren die sogenannte Reformära, die zu einer Blüte von Presse, von Literatur und auch von Filmschaffenden geführt hat. Davon ist wenig geblieben, nicht nur vonseiten des Irans her, wo die Räume immer enger gestellt worden sind, sondern auch vonseiten des Westens, der sich immer mehr quasi auf diese politischen Debatten fokussiert und da überhaupt keinen Platz mehr lässt für andere alternative Bilder, die natürlich von den Filmschaffenden auch produziert werden.

Und wir zeigen zum Beispiel so einen kleinen Film über die Skaterszene in Teheran, und wir zeigen auch eine Entwicklung des Dokumentarfilms, der sich sehr stark an das anlehnt, was wir jetzt so Doku-Soap nennen, also wirklich mehr rein in die Familien, in die sozialen Räume, schnelleres erzählen, weg von dieser Statik, für die das iranische Kino lange bekannt war, und da sind sowohl im Sozialen als auch im Ästhetischen, sind ganz viele Entwicklungen, die stattfinden.

von Billerbeck: Skaterszene, ein Film über die Skaterszene – heißt das, die iranischen Jugendlichen orientieren sich auch ganz stark am Westen in ihrer Jugendkultur?

Farzanefar: Die greifen gewisse Impulse aus dem Westen auf, die mit Freiheit oder Jugendlichkeit oder auch einfach Selbstausdruck assoziiert sind, genau wie wir das ja auch machen, und eignen sich das auf eigene Weise an. Und da gibt es dann halt Paintball-Schießen und Bungee-Jumping und Skifahren und natürlich auch Skater, ja.

von Billerbeck: Und auch Filme darüber?

Farzanefar: Und Filme darüber – ein bisschen mehr unter Druck natürlich als hier, im einen oder anderen Fall nicht gewünscht, aber findet trotzdem statt, wie auch die breite Szene der Underground-Musik im Iran, ja.

von Billerbeck: Kommt die auch vor im Festival?

Farzanefar: Diesmal nicht, es gibt immer so Filme, die dann wieder so Moden generieren, und dann war es in, über die Underground-Rockmusiker, die ganz tolle Sachen machen – kann man auch auf Youtube finden –, zu drehen. Dann haben wir gesagt, okay, jetzt suchen wir was anderes.

von Billerbeck: Man hört ja immer wieder, dass es eine extreme Trennung im Iran gibt zwischen öffentlichem und privatem Leben. Und natürlich kann so eine Kamera uns dann mitnehmen – auch ausländische Besucher – in diese privaten Räume. Welche Einblicke verschaffen Sie uns denn da in das private Leben im Iran?

Farzanefar: Es ist grundsätzlich so, dass halt Vieles, was früher öffentlich thematisiert wurde, nicht irgendwie abgebrochen ist seit 2009, seitdem die Wahlunruhen stattgefunden haben, seitdem man sagt, so ein allgemeiner Backlash stattgefunden hat, sondern diese ganzen Diskussionen, diese Demokratisierungs- und Modernisierungsdiskussionen und Debatten, die Infragestellung von traditionellen Familien- und Rollenbildern, das findet alles noch statt, nur eben halt mehr im Inneren, in den inneren Räumen.

Und man sieht gerade in dem neuesten Film, dass die häufig nur in Innenräumen spielen, genau. Und das ist auch ein Anlass gewesen, halt jetzt noch mal dieses Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit genau zu untersuchen, und es gibt ja auch im öffentlichen Raum wieder private Blasen, beispielsweise gibt es eine Reihe von iranischen Filmen, die im Taxi spielen. Das ist so eine Begegnungsstelle, wo auf einmal ganz schnell man intensiv auch kritisch diskutiert, dann steigt ein neuer Gast ein, und dann wechselt das Thema wieder. Und solche Momente abzufangen, ist immer spannend.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur – "Gewünscht, toleriert, verboten – neue Räume für den iranischen Film" heißt eine Filmreihe in Berlin, die mein Gesprächspartner Amin Farzanefar kuratiert hat. Massoud Bakshis Film ist eine französische Koproduktion, "Respectable Family", wie setzt sich da ein jüngerer Regisseur mit dem Thema Krieg – was ja im offiziellen iranischen Kino auch vorkommt – auseinander?

Farzanefar: Also der Krieg ist einer der vielen roten Fäden in diesem Film. Es geht vor allen Dingen um die Rückkehr eines Exil-Iraners nach einigen Jahrzehnten, und der auf einmal in einem Netz von Intrigen, von Korruption, von Gier und also wirklich moralisch sehr zweifelhaften Personen und Themen landet und sich immer mehr darin verheddert. Das Tolle an Massoud Bakshis Film ist neben diesem Rückblick auf den immer glorifizierten und als heilig erklärten Iran-Irak-Krieg ist vor allen Dingen, dass er wirklich mal das als Genre-Film erzählt, da wirklich eine ganz klare Story-Linie verfolgt und auch das spannend erzählt, und nicht so wie viele sozialrealistische Filme so ein bisschen dann schwammig auf Kosten der Erzählung da vorgeht.

von Billerbeck: Dieser Film von Massoud Bakshi, der ist eine französische Koproduktion, und der ist auch in Frankreich geschnitten worden. Und auch Rafi Pitts hat stets mit ausländischen Koproduktionen gearbeitet. Wie wichtig ist diese Hilfe, diese Rückendeckung aus dem Ausland für das unabhängige iranische Kino?

Farzanefar: Ja, es ist sicher wichtig, über Festivals, über Koproduktionen und leider oft als letzte Stelle dann auch als Anlaufort für die Exilanten. Es gibt ja eine ganze Flut von Künstlern, von Filmemachern, die den Iran früher oder später oft gegen ihre ursprünglichen Erklärungen dann doch verlassen haben. Panahi ist jemand, der gesagt hat: Nein, ich bleibe einfach, jetzt guckt mal, was ihr macht, irgendwie, ich gehe nicht, auch wenn mir das nahegelegt wird.

Andere waren klüger oder kompromissbereiter oder was auch immer, haben das Land verlassen oder ihre Filme entsprechend angepasst – auf jeden Fall, das Ausland ist immer ein wichtiger Horizont auch. In Vielen Filmen gibt es immer die Figuren, die gerade in Deutschland sind, und da ist immer dieses Moment des Zweifelns, sollen wir gehen, sollen wir bleiben, kommen wir dann doch wieder zurück, desillusioniert, das ist immer so im Hintergrund.

von Billerbeck: Im Programm bei Ihnen in dieser Filmreihe ist auch ein Film des iranischen Altmeisters Dariush Mehrjui zu sehen. Der hat ja schon vor der iranischen Revolution, also vor 1979, mit seinen sozialrealistischen Filmen wie etwa "Die Kuh" international für Furore gesorgt. Wie sieht der denn jetzt die aktuelle Situation in seinem Land?

Farzanefar: Also was ich überhaupt wichtig finde, sind solche Leute, die ganz entscheidend das Kino geprägt haben, ohne die das iranische Kino in der jetzigen Form gar nicht existieren würde, auch mal überhaupt zu zeigen, die haben die ganze Generation der erfolgreichen Filmemacher irgendwie geprägt. Seit den späten 60ern gab es diese iranische Nouvelle Vague, nur Mehrjui ist jemand, der gesagt hat: Na ja, gut, ich hätte vielleicht auch gerne Erfolg im Westen, aber wichtig ist mir mein iranisches Publikum, wichtig ist, dass ich hier in meinem Mutterboden meine Themen finde.

Vielleicht ist nicht jeder Film das Meisterwerk, aber über die Länge der Jahrzehnte hinweg ist es wirklich ein authentischer iranischer Filmemacher, den man auf jeden Fall auch von seinen alten Werken her entdecken sollte, und der ganz viel zu erzählen hat. Er ist gerne im Ausland, aber lebt und bleibt im Iran erst mal.

von Billerbeck: Wir haben jetzt über die Filme und auch über die Bilder gesprochen, die unabhängige Filmemacher von ihrem Land haben und von ihrem Land haben, es gibt ja aber auch Bilder, die sich das Ausland vom Iran macht. Gerade vorige Woche hat der Film "Argo" den Oscar gewonnen, und die Iraner werden da auf ein fanatisches Häuflein Gläubiger reduziert. Wie geht man denn im Iran mit diesen Bildern aus dem Ausland um?

Farzanefar: Na ja, man beklagt sehr zu Recht, dass sämtliche Bilder, die Hollywood seit 100 Jahren vom Orient und anderen fernen Kulturen produziert, dass die natürlich herzlich wenig mit der Realität zu tun haben, dass die oft natürlich irgendwie eine Verlängerung der Außenpolitik oder des Kolonialismus sind. Man verkennt dabei, dass darin auch eine ganze Menge Spaß liegen kann. Also es ist immer so eine sehr moralische Diskussion, jetzt den einen oder anderen Film abzulehnen, weil er die Iraner in schlechtem Licht darstellt.

Es gibt alle fünf, sechs Jahre so eine Protestnote, das letzte war gegen den Historienfilm "300", gegen Mickey Rourkes "The Wrestler" hat man protestiert, weil da dann ein Ayatollah-Wrestler drin vorkam – da lachen wir hier drüber und nehmen das nicht ernst, nicht so mit einem totalitären System. "Argo" zeichnet in der Tat die Geiselnahme von 1979 aus einem sehr speziellen und dramaturgisch zugespitzten Blickwinkel, und da sind auch einige Geschichtsklitterung drin, gegen die man durchaus zu Recht protestieren kann. Der Iran hat gesagt, wir machen jetzt unsere eigene Version der Geschehnisse, und als Filmkritiker sage ich dann, her damit, ich bin neugierig.

von Billerbeck: Das heißt, es könnte auch sein, dass das offizielle iranische Kino diesen Hollywood-Bildern andere in Anführungsstrichen "Propagandabilder" entgegensetzt?

Farzanefar: Ja, das tut sich nichts, also genau so verzerrt, wie der Westen den Orient darstellt, neigt der Orient auch dazu, im Westen immer nur die Gefühlskälte, die Vereinzelung der Subjekte, ja, den wahren Charakter der zwischengeschlechtlichen Beziehungen, solche Sachen also extrem zu überspitzen. Da mag eine Wahrheit drin liegen, aber wenn ich mir so angucke, wie Deutschland gezeigt wird in dem iranischen Film, jetzt auch aktuell auf dem letzten Festival, dann denke ich: Hm, kenne ich so nicht.

von Billerbeck: Wie ließe sich denn mit der von Ihnen kuratierten Filmreihe dieser Bilderkrieg befrieden?

Farzanefar: Unser Ansatz war, einfach mehr ins Detail zu gehen, mehr auf das Einzelne zu gucken, und ich sehe halt sowohl vonseiten des Irans natürlich als auch, wie ich sagte, in der hiesigen Berichterstattung immer den unglaublichen Trend, alles so zu pauschalisieren und gleichzumachen. Und damit wird man Kulturen nie gerecht, das wissen wir auch aus der Migrationsdebatte und anderswo her.

von Billerbeck: Das sagt Amin Farzanefar, der Kurator der iranischen Filmreihe in Berlin "Gewünscht, toleriert, verboten – neue Räume für den iranischen Film", die gemeinsam mit der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung entstanden ist. Danke Ihnen für das Gespräch!

Farzanefar: Danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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