Fiktive Wahlkampfreden von Literaten

Wenn Karen Duve Kanzlerin wäre

Angela Merkel auf dem Bauerntag 2013 am Rednerpult. Hinter ihr das Logo des Verbandes.
Merkel liest den Bauern die Leviten - in der Fiktion von Karen Duve. © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Karen Duve · 15.09.2017
Kurz vor dem großen Stichtag beginnt heute unsere Wahlkampf-Reihe im Politischen Feuilleton: Wir haben Literaten gebeten, fiktive Wahlkampfreden zu halten. Zum Auftakt hat die Schriftstellerin Karen Duve Angela Merkel zum Bauernverband sprechen lassen – und zwar Klartext…
Sehr geehrter Herr Präsident Rukwied,
sehr geehrte liebe Ehrenpräsidenten,
Ich weiß, dies ist ein hartes Jahr für alle Landwirte gewesen. Dauerregen, Dürre und Ernteausfälle, beim Obst teilweise bis zu 70 Prozent. Und natürlich ist auch diesmal das Sterben bäuerlicher Kleinbetriebe zu beklagen.
Doch möglicherweise hat das auch eine positive Seite.
Nein, meine Herren da hinten, Sie brauchen jetzt gar nicht zu schmunzeln – ich spreche hier nicht von der Beseitigung lästiger Konkurrenz. Nicht von ihrem Vorteil spreche ich, sondern von dem meiner Partei, der CDU.
Das seit Jahrzehnten stattfindende Bauernsterben hat nämlich auch die Wählerstimmen aus der Landwirtschaft dezimiert. Und da der Wahlsieg der CDU diesmal so sicher wie noch nie ist, kommt es auf Ihre paar Stimmen überhaupt nicht mehr an. Folglich werden wir Sie also auch nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen: Die verkeimten Geflügel- und Schweineställe werden geschlossen und Landwirte dürfen sich fortan an bestehende Gesetze halten.

"Ja brüllen Sie nur tüchtig, meine Herren"

Da brauchen sie jetzt gar nicht so aufzubrausen, meine Herren! Solange Sie ihre Füße unter den Tisch des deutschen Staates stellen und uns nicht nur die von ihnen verantworteten Schäden, wie Klimaerwärmung, Artensterben und Antibiotikaresistenzen der Allgemeinheit aufbürden, sondern auch noch höchstpersönlich um Rettung aus der Not bitten, solange müssen sie sich von diesem Staat auch dreinreden lassen. Darf ich mal erinnern? Die finanzielle Unterstützung in den Jahren 2016 und 2017 belief sich auf fast 600 Millionen Euro. Das hört übrigens auf. Schluss mit Subventionen.
Ja brüllen sie nur tüchtig, das macht die Atemwege frei. Und schließlich leben wir in einer Demokratie, in der Leute auch ihren Unmut zeigen dürfen – ein bisschen zuhören ist manchmal allerdings auch nicht schlecht.
Allein was Sie sich mit der Nitratverseuchung des Grundwassers herausgenommen haben. Nach dem Verursacherprinzip hätten sie dafür eigentlich richtig tief in die Tasche greifen müssen. Statt dessen zahlen Ihnen einige verzweifelte Trinkwasserbetriebe sogar noch Geld, damit sie die Gülle nicht bei ihnen, sondern woanders abladen. Das sind Zustände von denen die Mafia und die Schutzgelderpresser der Hells Angels nur träumen können.

"Hilfsgelder? Seit wann kriegt man etwas ersetzt, das man selber kaputt gemacht hat?"

Auch jetzt stehen Sie wieder mit aufgehaltenen Händen vor den Ämtern. Mein Getreidefeld ist abgesoffen, meine Monokultur ist vertrocknet. Hilfsgelder? Seit wann kriegt man etwas ersetzt, das man selber kaputt gemacht hat? Was haben Sie denn gedacht, als sie sich mit Händen und Füßen gegen Umwelt- und Klimaschutzauflagen gewehrt haben? Dass die Landwirtschaft vom Wetter unabhängig ist?
Und übrigens, meine Herren: Der Ruf ihrer Branche ist ruiniert. Tierquäler, Glyphosat-Spritzer, die Zerstörer des Planeten. Mit Ihrer Moral stehen Sie außerhalb dieser Gesellschaft. In einer Reihe mit Voldemort, Satan und Darth Vader. Würden Sie das, was Sie hinter fensterlosen Mauern täglich tausenden Tieren antun, mit nur einem einzigen Tier, einem Hund oder auch einem kleinen Schwein, auf einem öffentlichen Platz machen, Sie würden gelyncht werden. Betäubungslose Kastrationen, Kükenschreddern, Verbrühen bei lebendigem Leib – wo sind wir denn? Im Neandertal?

"Wir brauchen keine Augenwischerei"

Bauer, Landwirt - das war einmal ein Beruf, auf den man stolz sein konnte. Das waren Menschen, die für die Ernährung aller gesorgt haben und nicht dafür, dass in Südamerika Kleinbauern von ihren Feldern vertrieben werden, damit man dort Futter für deutsche Massentiere anbauen kann. Wir brauchen keine Augenwischereien wie Tierwohllabels, sondern Formen der Tierhaltung, die dem Moralempfinden der Bevölkerung entsprechen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorgen tragen, dass Sie wieder stolz auf ihren Beruf sein können. In diesem Sinne auf weitere gute Zusammenarbeit.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, brach eine Ausbildung zur Steuerinspektorin ab und fuhr anschließend 13 Jahre lang Taxi in Hamburg. 1995 erschien ihre erste Erzählung, "Im tiefen Schnee ein stilles Heim", 1999 ihre erster Roman "Regenroman". Zu ihren bekanntesten Büchern gehören "Dies ist kein Liebeslied" (2002) und "Taxi" (2008). Karen Duve lebt heute in einem kleinen Dorf in der Nähe von Dannenberg.

Die Autorin Karen Duve im Jahr 2011.
© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
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