Fernsehkrimis und der Glaube an den Rechtsstaat

Kurzer Prozess am Sonntagabend

Szene aus dem Dortmund-Tatort "Zorn", der am 20. Januar 2019 in der ARD ausgestrahlt wurde.
Szene aus dem Tatort "Zorn", der am 20. Januar 2019 in der ARD ausgestrahlt wurde. Auch hier wurde am Ende des Krimis "kurzer Prozess" mit dem Täter gemacht. © imago/Klaus W. Schmidt
Ein Standpunkt von Uwe Bork · 25.01.2019
Sonntagabend – die Gerechtigkeit hat gesiegt, der Täter ist tot. Im Tatort und anderen Krimis würden Verdächtige oft nicht mehr vor Gericht landen, sondern sie sterben vorher. Auch im TV vertraut kaum noch einer auf die Institutionen, meint Uwe Bork.
Unsere Freunde wissen es längst: Außer in ganz dringenden Fällen sind Telefonanrufe am Sonntagabend bei uns unerwünscht! Auch auf Textbotschaften und vorgeblich witzige Videoclips verzichten wir gerne. Dasselbe gilt für spontane Besuche. Der Grund für diese soziale Abstinenz ist einfach: Der sonntägliche Tatort ist in unserer Familie einfach ein Muss! Uns geht es wie der Mehrheit des deutschen Fernsehpublikums. Wenn wir uns um das mediale Lagerfeuer versammeln, wollen wir am liebsten Geschichten von Mord und Totschlag hören. Ein Wunsch, den alle Sender uns gern erfüllen: In rund jeder vierten Sendeminute sorgt inzwischen ein Krimi für hohe Einschaltquoten.

Berserker-Bulle statt Beamter

Taten dabei anfangs eher Ermittlungsbeamte wie der cholerische Paul Trimmel ihren Schreibtischdienst, so sorgen inzwischen auch fanatische Fahnder wie der Berserker-Bulle Nick Tschiller für Action-reiche Aufklärung. Leider geht mit dieser Vergrößerung der Vielfalt im televisionären Ermittlerkorps eine Auflösung gesellschaftlicher Standards einher, die Gute wie Böse gleichermaßen betrifft.
Auf Verbrechensseite zeigt sich das vor allem in einer Verrohung, die einen sauberen Pistolenschuss inzwischen eher zur Ausnahme werden lässt. Stattdessen wird mit der Heckenschere zugestochen, Opfer werden zu Tode geprügelt, mit dem Auto gleich mehrfach überrollt oder mit Plastiktüten beängstigend langsam erstickt. Auch Folterungen sind – und das leider auf beiden Seiten – kein Tabu mehr, ein gegenüber dem schlotternden Publikum gnädiges Abblenden der Kamera dagegen schon.
Angesichts dieser moralischen Verwüstungen ist es kaum noch ein Wunder, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren immer weniger das normale Ende der Ermittlungen zu bilden scheint. Fast ist es schon zur Routine geworden, dass Täter am Filmende durch eine Polizeikugel vom Leben zum Tode befördert werden, was in der wirklichen Wirklichkeit übrigens eher selten geschieht.

Vertrauen in die Institutionen geht verloren

Aber selbst, wenn Verbrecher in Handschellen gelegt werden, ist das neuerdings nicht immer ein Schlusspunkt, der sozialen Frieden wiederherstellt. Wenn man Fernsehkrimis glauben will, entgehen Missetäter nämlich nur zu oft der irdischen Gerechtigkeit, weil unsere Gerichte offenbar nur noch die Kleinen hängen, die Großen jedoch laufen lassen. Sie werden auf dem Bildschirm von der Justiz verschont, weil die zwar blind sein mag, sie Einflüsterungen und Einschüchterungen dafür aber umso deutlicher versteht.
Sowohl das eine wie das andere, sowohl den kurzen wie den gar nicht mehr stattfindenden Prozess, finde ich beklemmend. Ich fürchte, dass die Drehbuchautoren die Ängste einer Gesellschaft widerspiegeln, der das Vertrauen in die beschützende und ausgleichende Kraft ihrer Institutionen verloren geht. Ihre Bürgerinnen und Bürger sehen vielmehr einen Staat, in dem Recht hat, wer die Macht hat, wer das Geld hat, oder – am verstörendsten – wer gleich beides hat. Eine als ungerecht empfundene Realität hat ihren Weg in die Fiktion gefunden und dem Krimi ist eines seiner Hauptelemente abhandengekommen: das fast religiöse Versprechen, am Ende werde doch das Gute und die Gerechtigkeit siegen.

Darstellungen könnten fatale Folgen haben

Ich bin weit davon entfernt, vom Fernsehen zu fordern, es müsse im schillerschen Sinne eine "moralische Anstalt" sein, ich meine jedoch, dass es sich fatal auswirken könnte, wenn staatliches Versagen permanent in die Nähe des Normalfalls gerückt wird. Auch eine solche Akzentverschiebung trägt nämlich dazu bei, unseren Rechtsstaat langfristig zu unterhöhlen.
Eine öffentlich kontrollierte Polizeigewalt und eine unabhängige Justiz sind nun einmal kein Luxus und keine soziale Girlande, sie sind und bleiben vielmehr unabdingbar für jedes Gemeinwesen. Wir sollten sie daher erhalten, verteidigen und ausbauen. Aber muss das denn wirklich auch im Krimi sein, mögen Sie mich jetzt fragen. Ich meine: ja. Es würde mir den Sonntagabend retten.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zwei Mal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Der Journalist Uwe Bork
© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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