Feminismus im Wandel

Operierte Brüste, Kopftuch und Wallewalle-Look

Auch in den USA ist die Möse wieder politisch: Frau im Vagina-Kostüm bei einer Protestaktion gegen US-Präsident Trump
Feministischer Gute-Laune-Protest gegen US-Präsident Trump - In den 60ern hätte feministischer Protest wahrscheinlich anders ausgesehen. © imago / ZUMA Press
Von Simone Schmollack · 31.05.2017
Wer heute etwas auf sich hält, ist Feministin. Und feministisch ist irgendwie alles, wofür Frauen sich aus freien Stücken entscheiden. Aber wofür steht Feminismus dann eigentlich noch?
Ist Angela Merkel Feministin oder nicht? Die Kanzlerin weiß es nicht. Aber sie hatte versprochen darüber nachzudenken, nachdem ihr diese Frage beim Besuch der First Daughter Ivanka Trump kürzlich in Berlin gestellt wurde. Bislang hat die Kanzlerin noch nicht geantwortet. Aber ist das wichtig? Muss sich die Chefin eines Staates, eine Frau, die Weltpolitik gestaltet und damit erheblichen Einfluss auf das Leben der weiblichen Bevölkerung hat, als Feministin bezeichnen?
Ist mittlerweile nicht eher die Frage von Bedeutung, was heute Feminismus überhaupt ist? Wer darf oder wer sollte sich heutzutage Feministin nennen? Das ist mittlerweile gar nicht mehr so klar.
Als Alice Schwarzer vor 30, 40 Jahren den feministischen Ton angab, waren die Fronten eindeutig: Feminismus war Kampf für Frauenrechte und damit ein Ausschlusskriterium für eine breite gesellschaftliche Anschlussfähigkeit. Feministinnen galten als schlecht gelaunte, ungeschminkte Frauen in Wallewalleröcken und mit hennarot gefärbten Haaren, die Männer und selbst Kinder ablehnten, weil diese ja ein Produkt der Vereinigung mit einem Mann waren.

Heute ist jeder Feminist

Aber das Blatt hat sich gewendet. Heute gehört es zum guten Ton, sich Feministin oder Feminist zu nennen. Wer als hip und aufgeklärt rüberkommen will, ist selbstverständlich für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, gegen Sexismus und Schönheitswahn, für die Ehe für alle und gegen das Ehegattensplitting. Während früher selbst feministisch gesinnte Frauen darüber diskutierten, ob Frauenrechtlerinnen kurze Röcke und knallroten Lippenstift tragen dürfen, reden und schreiben junge emanzipierte Frauen heute ganz selbstverständlich über Schamoperationen, Orgasmen und "Muschitattoos".

Eine Frau kann sein, was sie will

Das mag man als zu intim, kulturell überbewertet und überflüssig empfinden. Aber es zeigt, dass heute eine Frau sein kann, wie sie sein will: Sie kann sich im Internet für andere ausziehen oder sich die Brüste operieren lassen. Sie kann Hausfrau sein. Sie kann Kopftuch tragen oder das Gesicht voller Piercings. Sie kann Mutter sein oder Chefin eines Unternehmens. Oder beides gleichzeitig.
Vielleicht lässt sich es so zusammenfassen: Feminismus heute ist, wenn alle alles dürfen. Feminismus ist eine neue Freiheit. Mit den Wahlmöglichkeiten für weibliche Rollenbilder steigt aber auch die Qual der Wahl: Wie will ich leben? Mit Kindern? Ohne Kinder? Kriege ich mein Leben auch als Alleinerziehende auf die Reihe? Strebe ich eine Karriere an? Oder reicht mir mein kleiner privater Vorgarten?

Ein verwaschener Feminismusbegriff?

Das mag nach Beliebigkeit klingen, nach einem verwaschenen Feminismusbegriff. Nach Sinnentleerung und einem Abgesang auf einen früheren Kampfbegriff. Schon möglich. Der Unterschied zu früher jedoch ist, dass Frauen heute in der Regel selbst entscheiden können, was für sie gut und richtig ist, während das früher oft andere für sie entschieden haben. Vergessen werden darf dabei allerdings auch nicht, dass das ein Ergebnis der jahrzehntelangen Kämpfe der sogenannten Altfeministinnen ist, also jener schlechtgelaunten, hennarotgefärbten Frauen in Wallewalleröcken... Sie wissen schon.
Zur Wahlfreiheit gehören allerdings auch Wahrheiten wie diese hier: Wenn eine Frau jahrelang Hausfrau war, könnte sich ihr Wiedereinstieg in den Beruf schwierig gestalten und das mit der Rente sowieso. Eine Topmanagerin verzichtet möglicherweise auf Kinder. Oder nimmt später teure und körperlich anstrengende Reproduktionsmedizin in Anspruch, weil sie aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters auf anderem Wege nicht mehr schwanger wird.

Feminismus ist kein Zustand, sondern eine Bewegung

Hier gerät der Feminismus an seine Grenzen. Noch. Vielleicht wird das in ein paar Jahren anders sein. Vielleicht wird Feminismus in Zukunft solche Fragen lösen können. Vielleicht auch nicht. Ganz sicher aber ist Feminismus kein fester Zustand, sondern eine fortlaufende, sich verändernde Bewegung mit wechselnden Akteurinnen. Und komplett unabhängig davon, ob sich Kanzlerin Merkel als Feministin bezeichnet oder nicht.

Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Redakteurin bei der "Tageszeitung" in Berlin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin und Smolensk.

© Dietl
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