Falsche Volksweisheit

Ist jeder seines Glückes Schmied?

Ein vierblättriges Kleeblatt soll Glück bringen
Wenn jeder selbst für sein Glück verantwortlich ist, gilt das dann auch für das Unglück? © dpa / pa / Erwin Elsner
Von Gesine Palmer · 12.02.2015
Es ist im Moment wieder sehr populär und dabei fast schon ein liberales Credo: Du bist selbst verantwortlich, Dein Glück zu gestalten. Doch diese Ansicht findet Gesine Palmer falsch und unsozial. Die Gesellschaft drücke sich um die Verantwortung.
"Jeder ist seines Glückes Schmied." Das hören wir oft und sagen es vielleicht auch selbst oft. Fast könnte man diese Weisheit als ein liberales, gut bürgerliches Credo bezeichnen: Du bist selbst verantwortlich dafür, dein Schicksal in die Hand zu nehmen, dein Glück zu gestalten.
Aber diese Weisheit steht im Verdacht, ideologisch zu sein. Mit Recht. Wie nun? Ist etwa nicht jeder für sich und sein Glück verantwortlich? Das kommt darauf an, was man unter Verantwortung versteht. Rückblickend verwendet, kommt sie schnell als eine falsche Schuldzuschreibung daher.
Der Rollstuhlfahrer beispielsweise, der seit einem Unfall behindert ist, wird doch wohl etwas falsch gemacht, sein Glück eben nicht richtig geschmiedet haben.
Psychologisch nennt man so eine Ansicht Angstabwehr. Wer die Eigenverantwortung in dieser Weise missversteht, will nicht wissen, dass jeder auch ohne eigenes Zutun Pech haben kann. Damit drückt man sich um die Verantwortung, die wir in der Gesellschaft auch für einander haben. Wer selbst schuld ist an seinem Unglück, der soll auch die Folgen selbst in den Griff kriegen, sagt man dann.
Man kann rückwirkend aus Unglück kein Glück machen
Aus einer eigentlich zur Aufmunterung gedachten Weisheit wird so ein "blaming of the victim". Das ist nicht nur unmoralisch, es entspricht oft auch einfach nicht der Tatsachenwahrheit. Durch keine noch so zeitgeistkonforme Gesinnungsübung kann man rückwirkend aus einem Unglück ein Glück machen.
Anders klingt der Satz, wenn er nach vorn gewendet wird. „Jeder sei seines Glückes Schmied“ kann ein Rollstuhlfahrer sagen, der nach einem Unfall mit neuen Herausforderungen konfrontiert ist. In den paralympischen Wettkämpfen bewundern wir Sportler, die zeigen, was sie mit Willen und Disziplin ihrer jeweiligen, meist nicht selbst verschuldeten Beeinträchtigung abringen können. Sie schmieden sich neues Glück – sicher auch im Alltag – und ermuntern damit andere, ein Gleiches zu tun.
Vielleicht passt zu dieser Haltung besser eine andere – weniger missverständliche - Volksweisheit. "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott", ist so ein Spruch aus protestantischem Kontext. Das drückt einfach nur eine Hoffnung aus. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Was ist mit Hans und Sophie Scholl?
In der Fassung von Goethes Beherzigung wird diese Hoffnung in den Kontext einer beliebigen Götterwelt versetzt und zu einem Ansporn, mutig aufzutreten. Der Gedichtauszug war im Elternhaus von Hans und Sophie Scholl an der Wand zu lesen: "Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, rufet die Arme der Götter herbei."
Die beiden jungen Widerständler hatten den Nationalsozialismus in seinen Anfängen begrüßt. Als sie ihn besser durchschauten und sich mutig widersetzten, kamen ihnen keine Götter zur Hilfe. Die Nationalsozialisten waren mächtiger. Es ist denkbar, dass einer von ihnen Sophie Verschonung gegen Denunziation anbot, und, als sie dies ablehnte, sagte: "Jeder ist seines Glückes Schmied".
Waren die Scholls ihres Glückes Schmied? Sie haben sich einer Situation gestellt, die sie nicht herbei gesehnt hatten, die sie aber auch nicht verhindern konnten. Ihr Unglück haben ihnen andere geschmiedet. Verhaftet wurden sie eindeutig Opfer und wussten das.
Zugleich haben sie - vorher wie nachher – bewusst und selbstbewusst verantwortet, was sie taten. Die Kraft dazu gab ihnen ein Glaube, für den es nicht wichtig war, ob wirklich ein Gott oder Götter in der Not zur Rettung eilen würden.
Glück hatten sie nicht und konnten es sich auch nicht schmieden. Aber bewundernswert tapfer haben sie getan, was sie für richtig hielten.
Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das „Büro für besondere Texte“ und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind „Religion, Psychologie und Ethik“ – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
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Die Religionsphilosophin Gesine Palmer© privat
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