"Extrem dynamisches Ohrenkino"

Von Jochen Meißner · 03.04.2005
Zum Hörspiel des Jahres 2004 wurde von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste die HR-Produktion "Für eine bessere Welt" von Roland Schimmelpfennig gekürt. Es schildert einen auf Dauer gestellten Krieg gegen einen unbestimmten Feind ohne die Möglichkeit eines Friedensschlusses. "Extrem dynamisches Ohrenkino", urteilte die Jury.
Erfolgreichster Sender des Wettbewerbs war der Hessische Rundfunk, gleich fünfmal ging das Hörspiel des Monats in die Frankfurter Bertramstraße. Und auch das Hörspiel des Jahres war eine HR-Produktion: "Für eine bessere Welt" von Roland Schimmelpfennig.

Aus "Für eine bessere Welt": " Das hier ist ein Drei- oder Vierfrontenkrieg, und im Grunde weiß niemand mehr, warum wir noch hier sind, oder ob wir nur noch hier sind, weil wir hier nicht wegkommen. Wir kämpfen hier nur noch, weil wir weg wollen, aber deshalb sind wir nicht hierher gekommen. Nacht für Nacht Feuergefecht bis in die frühen Morgenstunden, im Grunde sinnlos, aber das erhält den Zustand aufrecht, den wir brauchen, um zu existieren. (…) Das, das wird hier keiner überleben. My fellow citizens … "

Für eine bessere Welt, das ist die wohl unpräziseste Legitimation für einen auf Dauer gestellten Krieg, geführt in irgendeinem Dschungel gegen einen unbestimmten Feind ohne die Möglichkeit eines Friedensschlusses. Vier Frauen, vier Männer und ein Junge erzählen von einer Kampfeinheit, die vollständig aufgerieben wurde.

Aus "Für eine bessere Welt": "Verschmorte Waffen, Fahrzeugreste überall auf dem völlig verbrannten Grund, nur Leichen waren nicht zu finden."

Erst Jahre später findet man den Schauplatz des Massakers auf dem sich Nacht für Nacht das Gemetzel wiederholt. "Der Kessel von Stalingrad zitiert Etzels Saal", sagt Heiner Müller in Anspielung auf die Vernichtung der Nibelungen und die Permanenz des Schlachtens.

Es ist nicht die einzige mythische Folie, die Roland Schimmelpfennig benutzt. Der antike Held Ajax, der in seinem Wahn vor Troja eine Schafherde niedermetzelt, taucht als Seargent Helena wieder auf. Amor und Psyche werden im gleichen Atemzug zitiert wie Trivialmythen aus Kino und Werbung. Eine Invasion glasfressender Aliens kommt ebenso vor wie das vor zwei Jahren flächendeckend plakatierte Bild des Ex-Pornostars Michaela Schaffrath, die mittels einer zwischen ihre Brüste gepressten Blechdose Werbung für kalten Kaffee macht – eine zeitgemäße Fassung der Büchse der Pandora.

Aus "Für eine bessere Welt": " Doch kann sie, noch auf dem Weg zur Erdoberfläche nicht der Versuchung widerstehen und öffnet es schließlich. – Sie öffnet die Dose. – Doch kaum öffnet sie das Gefäß überkommt sie ein tödlicher Schlaf. – Denn Persephone hatte das Gefäß mit dem Schlaf des Todes gefüllt."

Das Finale seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg hat Roland Schimmelpfennig, vielleicht über den Umweg Heiner Müller, von T.S. Eliot übernommen. In dessen Großgedicht "The Waste Land" findet sich die Stelle: "That corpse you planted last year in your garden, / Has it begun to sprout? Will it bloom this year?" - "Die Leiche, die du vor'ges Jahr in deinen Garten setztest, / Schlägt sie schon aus? Wird sie dies Jahr erblühn?"

Aus "Für eine bessere Welt": " Wir hatten den Platz in der Mitte des Dorfes gerade erreicht, als ich stolperte. Ich war über etwas Hartes gestolpert, über so etwas wie eine Wurzel, aber da war keine Wurzel, sondern nur ein kleiner, harter staubig gelblicher Rest von irgend etwas. (…) Die aus der Erde ragenden Knochenstücke waren die obersten Teile der menschlichen Wirbelsäule. Hier, auf diesem Platz, waren dicht bei dicht menschliche Köper senkrecht eingegraben worden. Wir standen auf einem Leichenfeld. Überall staken die Reste menschlicher Körper in der Erde, wie Spargel. Ein Körper neben dem andren."

"Für eine bessere Welt" ist bereits das siebte Hörspiel des Theaterautors Roland Schimmelpfennig und es funktioniert, stärker noch als sein Erfolgsstück "Die arabische Nacht" als Verschränkung zeitdiagnostischer und mythischer Muster.

Die Medienkritik, die die Jury, bestehend aus Hans-Jürgen Krug, Rudolf Mittler und Maike Schiller, in ihrer Begründung besonders hervorgehoben hat …

" Für eine bessere Welt spiegelt in Inhalt und Umsetzung die Zapping-Haltung und Oberflächlichkeit der Medienwelt und liefert eine zuweilen erschreckend aktuelle Projektionsfläche für zahlreiche Assoziationen, Interpretationen und Reaktionen."

Diese Medienkritik hatte Schimmelpfennig in seiner Adaption von Orson Welles Hörspielklassiker "Krieg der Welten" weitaus genauer ausgeführt – und damit Radiogeschichte geschrieben. Mit seinem "Krieg der Wellen" nahm Schimmelpfennig das Prinzip "Live" der Vorlage ernst.

Doch statt einer vermeintlichen Invasion der Marsianer, die am 30. Oktober 1938 für eine Panik unter den Radiohörern sorgte, ist es bei Schimmelpfennig eine Panzereinheit der Bundeswehr, die das Frankfurter Funkhaus besetzt. Die Frequenzen des HR werden eine nach der anderen abgeschaltet und langsam kommt die Medienmaschinerie auf Touren – in Echtzeit und ohne jegliche desillusionierende Signale.

Aus "Krieg der Wellen": " Meine Damen und Herren, ich muss die Sendung unterbrechen. Soldaten der deutschen Bundeswehr haben gerade das Studio und auch das gesamte Gelände des Hessischen Rundfunks hier in Frankfurt in ihre Gewalt gebracht und alle anwesenden Mitarbeiter von Radio und Fernsehen als Geiseln genommen. Die Rundfunksendungen und auch das Fernsehprogramm des HR sind bis auf weiteres unterbrochen. In diesem Augenblick haben mehrere Soldaten ihre Waffen auf mich gerichtet. Ist eigentlich ganz realistisch. (Störgeräusch) "

Regisseur Klaus Buhlert: " Ich bin nicht so naiv und sage, man kann ein Remake von Orson Welles machen. Also wenn man der Geschichte nicht glaubt, und das finde ich gut, dass man ihr nicht glaubt, dann muss man zumindest den Schauspielern und den Störgeräuschen glauben."

Während der "Krieg der Wellen" auf Schauspieler weitgehend verzichtet und mit echten Radiojournalisten das Geschehen so konkret wie möglich abbildet, hebt "Für eine bessere Welt" den Krieg ins Mythische und definiert ihn als anthropologische Konstante. In seiner opulenten Inszenierung ist Regisseur Leonhard Koppelmann ein – wie es die Jury sagt: "extrem, dynamisches Ohrenkino in rasanter auf das akustische Medium übertragener Videoclipästhetik" gelungen.

Mit 88 Minuten gehört "Für eine bessere Welt" zu den Stücken, die gerade noch auf einen anderthalbstündigen Hörspielsendeplatz passen. Was leider dazu geführt hat, dass im Manuskript Streichungen vorgenommen wurden, die das Stück bisweilen unnötig verrätseln. Für dieses "Hörspiel des Jahres" wünscht man sich das, was in der Filmwelt mittlerweile zu einer Normalität geworden ist: einen Directors-Cut.

Service:

Seit 1997 hört und beurteilt Monat für Monat eine jährlich neu gebildete Jury der Deutschen Akademie der darstellenden Künste alle Ursendungen von Hörspielen und wählt das interessanteste / bemerkenswerteste Hörspiel des Monats. Aus den zwölf ausgewählten Hörspielen wird seit 1987 das "Hörspiel des Jahres" gewählt und in einer öffentlichen Veranstaltung in Frankfurt am Main und zukünftig auch in Bensheim vorgestellt.

Das Hörspiel des Monats wird am ersten Dienstag oder Samstag des Monats – je nach Länge – im Deutschlandfunk wiederholt. Das nächste Hörspiel des Monats gibt es am 5. April um 20:10 Uhr mit David Zane Mairowitz' Stück "Im Krokodilsumpf" in der Regie des Autors.

Link:

Deutsche Akademie der Künste: Hörspiel des Jahres