Experte: Geldmarkt braucht "Wuchergrenzen"

Udo Reifner im Gespräch mit Ute Welty · 11.11.2010
Der G-20-Gipfel laufe Gefahr, nur allgemeine Vorschläge wie mehr Eigenkapital oder mehr Finanzaufsicht zu beschließen, rügt der Wissenschaftliche Direktor des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen, Udo Reifner.
Ute Welty: Mehr Eigenkapital, mehr Transparenz, mehr Unabhängigkeit, zum Beispiel von den Ratingagenturen – das sind eine ganze Reihe von Maßnahmen, mit denen die Staats- und Regierungschefs die Banken bremsen wollen. Sie beraten heute und morgen in Seoul, was sie aus der Finanzkrise lernen können und müssen. Aus der Finanzkrise lernen, darüber hat Udo Reifner ein ganzes Buch geschrieben. Er ist Professor für Wirtschaftsrecht in Hamburg, Direktor des Institutes für Finanzdienstleistungen und jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Udo Reifner: Guten Morgen!

Welty: Herr Reifner, Ihr Institut will Mittler sein zwischen Kunde und Bank im Sinne der Nachhaltigkeit. Da muss es Ihnen doch ganz recht sein, dass die Staats- und Regierungschefs in Seoul sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Das müsste Ihnen doch in Zukunft die Arbeit erleichtern?

Reifner: Ja, ich habe mir mit sehr viel Ärger dies Kommuniqué der Finanzminister für Seoul und den Fortschrittsbericht durchgelesen, habe festgestellt, dass wir da Steine statt Brot geben, das ist kurz, banal gesagt bla bla. Alles soll besser werden, mehr Aufsicht, bessere Eigenkapital, bessere Staatsfinanzen, aber ganz konkrete Vorschläge, wie denn das im Einzelnen auszusehen hat, die finde ich da nicht.

Welty: Das heißt, Ihre Arbeit wird nicht leichter werden?

Reifner: Ich denke, wir müssen woanders anfangen, und zwar an der Basis, dort in dem Verhältnis, wo die Banken wirklich tätig sind, zum einzelnen Kunden, und die einzelnen Geschäfte, sprich Kredite, Anlagen, Zahlungsverkehr und Versicherungsleistungen, verbessern.

Welty: Was heißt das konkret?

Reifner: Geld entsteht im Kreditwege, und jedes Geld ist nur so viel wert wie die Kredite wert sind, das heißt, wie der Schuldner in der Lage ist, damit produktiv umzugehen. Und das haben wir verlernt, wir vergeben Kredite heute in das Finanzsystem, ohne dass da irgendwo noch produktiv mit umgegangen werden muss. Alle Versuche praktisch, die Spekulation auf Kredit, wo Banken sich da mit fremden Geldern in die Spekulation wagen, das zu zügeln, oder etwa diese Leerverkäufe abzuschaffen, oder die ganzen schlechten Kredite, wo man auf höhere Hauspreise dadurch spekuliert, dass man viel Kredit aufnimmt, dadurch die Hauspreise nach oben bringt, um darauf wieder neue Kredite aufzunehmen – alles das, das hat keine Wirkung bisher, weil wir keine Maßnahmen vorschlagen, die hier wirklich etwas tun.

Also ich kämpfe seit 20 Jahren für etwas, was wir 3000 Jahre gehabt haben, nämlich Wuchergrenzen. Wir brauchen so etwas, wir können nicht den Geldmarkt mit Renditen von 30 bis 300 Prozent so tun lassen, als ob es in der Realität möglich ist, so viel Produktivität zu erwirtschaften.

Welty: Wer verweigert sich denn da aus welchem Grund, und wie groß ist der Einfluss von Lobbygruppen zum Beispiel an der Stelle?

Reifner: Mir ist aufgefallen, dass die meisten im Banksektor, die diese wahnsinnige, ja, Anwachsen des Geldvolumens zu vertreten haben, auch heute noch in ihren Jobs sind oder an maßgeblicher Stelle. Wir haben auch die Wissenschaftler, die das alles so beraten haben, die halten heute die Vorträge, wie man die Krise überwindet – ich denke, hier hat sich zu wenig geändert im Ganzen. Man ist beim Staat und da sogar ganz gefährliche Vorschläge, wenn man sagt, der Staat muss sparen, sparen, sparen.

Ich möchte mal wissen, warum man das nicht vorher gesagt hat bei der Krisenbewältigung, wenn unsere Steuergelder benutzt werden, verdeckt über sogenannte Aktienkäufe oder durch Bürgschaften in die Wirtschaft geleitet, und uns dann letztlich fehlen, und wir das dann der Bevölkerung hier in den ganzen Sparprogrammen geben können. Da stimmt was insgesamt in dieser Politik nicht.

Welty: Apropos Steuern, in Seoul will man ja auch einen Weg finden, um zu verhindern, dass Banken mit Milliarden an Steuern gerettet werden müssen. Man will nach einem Abwicklungsverfahren suchen. Ist das überhaupt machbar, vorstellbar, dass einzelne Banken in diesem hochvernetzten System abgewickelt werden können?

Reifner: Wir brauchen einen Bankenkonkurs, der unterscheidet zwischen dem, was die Bank nach außen macht, also im Verhältnis zu ihren Kunden und Einlegern, ja, da muss sie stabil gehalten werden, aber wir müssen sie nach innen müssen wir sie vollständig abwickeln. Was im Augenblick passiert, ist, dass die Leute, die diese Insolvenz herbeigeführt haben dieser Banken wie bei der HRE oder bei Citibank und so weiter, weiter im Geschäft sind und praktisch weiter daran verdienen, und damit für zukünftige Generationen von Bankmanagern klar ist: Umso unverschämter ich versuche, mich zu bereichern, umso sicherer kann ich sein, dass der Staat mich dann darin auch unterstützt.

Welty: Und glauben Sie daran, dass in Seoul ein entsprechendes Verfahren gefunden wird? Dieser Punkt ist ja noch nicht so besprochen dem Vernehmen nach.

Reifner: Also wir haben ja schon Verfahren, die im Augenblick laufen, das ist diese, in Anführungsstrichen, Verstaatlichung, die ich als Privatisierung des Staates bezeichnen möchte, weil da nur Schulden verstaatlicht werden. Das ist ja ein Verfahren, das kostet den Staat sehr viel Geld. Wir haben natürlich auch praktisch die Stilllegung von Banken, kleinerer Banken, und dann haben wir diese staatlichen Bürgschaften, wo man sie gänzlich weitermachen lässt. Und diese drei Systeme, da muss man sich hinsetzen und ein System machen, das wirklich auch die Interessen der Verbraucher und Arbeitnehmer im Auge hat, weil letztlich müssen die das bezahlen. Nur mit den realen Werten, die geschaffen werden, können diese unendlich abfließenden Gelder, diese Umverteilung gestoppt werden.

Welty: Udo Reifner, Professor für Wirtschaftsrecht und Direktor des Institutes für Finanzdienstleistungen in Deutschlandradio Kultur. Ich danke fürs Gespräch!

Reifner: Ich danke auch. Wiederhören!