Europäischer Aalbestand ist stark gefährdet

Von Peter Kaiser · 29.07.2012
Aale wandern seit mehr als 50 Millionen Jahren durch die Wasser dieser Welt. Doch ihre Lebensräume haben sich dramatisch verschlechtert. Verbaute Flüsse, Fischfang und der Klimawandel machen den Tieren zu schaffen.
"Also hier ist ein aufgeschnittener Aal. Aus diesem Aal werden die Otholiten herauspräpariert, zur Altersbestimmung. Dazu muss ich den Kopf, oder sagen wir mal den Oberkiefer in der Mitte durchtrennen, damit ich an das Gehirn rankomme."

Vorsichtig nimmt Yannik Simon, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Binnenfischerei in Berlin-Potsdam den etwa 50 Zentimeter langen Aal in die Hände. Mit der Pinzette sucht er im Kopf des Fisches nach den Gehörsteinchen, den Otolithen:

"Beidseits vom Gehirn, wie bei allen Wirbeltieren, sitzen eben die Otolithen. Die hole ich mit einer gekrümmten Pinzette heraus, muss man ein bisschen suchen,"

Diese aus Kalk bestehenden Steine wachsen schichtweise. Je nach Tierart können sie bis zu einige Zentimeter groß werden. Wie bei den Jahresringen von Bäumen können die Forscher an diesen Fisch-Jahresringen dann sehen, wie alt die Tiere wurden:

"So, und an diesem porzellanartigen Geräusch merkt man dann, dass man nicht einen Knochen, sondern die Otolithen hat. Und die kommen dann in ein Proberöhrchen mit Alkohol, da werden sie aufbewahrt bis zur weiteren Untersuchung."

Täglich werden Aale hier im Labor des IFB untersucht. Eine Bestandsaufnahme über Alter, Wanderwege, Größe oder Gewicht ist notwendig, sagt Institutsleiter Uwe Brämick:

"Dem europäischen Aalbestand geht es nicht gut. Die Zahlen, die wir
stellvertretend für die Bestandsgröße annehmen, zeigen seit drei Jahrzehnten einen starken Abwärtstrend."

Doch genaue Daten sind nicht so leicht zu bekommen. Bekannt ist, dass die europäischen Aale sich in der Saragossasee, östlich von Florida, paaren und dann dort sterben. Die jungen Aale gelangen mit dem Golfstrom nach ein bis drei Jahren an die europäischen Küsten. Die Fische sind jetzt circa sieben Zentimeter groß und fast durchsichtig. Angler nennen sie daher auch Glasaale. Für die meisten Fische ist hier ihr Schicksal besiegelt: Sie werden gefangen, in Aquakulturen groß gezüchtet oder als Delikatesse nach Asien exportiert.

Die Glasaale, denen das alles erspart bleibt, wandern unter rätselhaften Gründen in ihre Heimatgewässer, in die Seen und Flüsse Europas. In ungefähr 50 Jahren werden sie groß und fett. Und wird der Aal in dieser Zeit nicht von einem Angler gefangen:

"Dann wandert er zurück zu seinem Laichgebiet. Und bei einem so ausgedehnten Lebenszyklus, wir sprechen von Wanderungen durch das Meer über 6000 Kilometer, einmal hin, einmal zurück, diese Wanderungen werden natürlich beeinflusst von allen möglichen Strömungs-, Ernährungs- und sonstigen Temperaturbedingungen beispielsweise."

Woher aber weiß man nun, wie sich die Aalbestände entwickeln? Das Einzige, was die Aalforscher machen können, ist an etlichen Stationen entlang der westeuropäischen Küste zu messen, wie viele junge Aale dort ankommen.

Anhand Jahrzehnte alter Aufzeichnungen kann man vergleichen, wie viele Aale es vor 30 oder 40 Jahren waren und wie viele es heute sind:

"Und wenn man diese Zahlen miteinander vergleicht, dann stellt man fest, dass es heute noch zwischen ein und vier Prozent der Menge an Aalen ist, die im Schnitt der 1980er-Jahre an die europäische Küste kam. Und das ist unsere Basis, auf der wir sagen, der Aalbestand ist stark rückläufig."

Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlicher Natur sein. Flüsse und Bäche, die den Tieren als Wanderwege dienen, sind weitgehend verbaut. Zusätzlich gefährden Parasiten, aber auch Schwermetalle, Dioxine, oder sonstige Gifte die Tiere. Besorgniserregend sind auch die Klimaprognosen. Ändert sich der warme Golfstrom in Richtung und Intensität, gelangen die Aallarven möglicherweise nicht mehr an die europäische Küste sondern werden Richtung Grönland oder Westafrika gedriftet:

"Das alles sind Faktoren, die auf den Aal einwirken. Welche davon in welchem Maße dafür verantwortlich sind, dass wir einen derart negative Bestandsentwicklung in der letzten Zeit sehen, das versuchen wir herauszubekommen."

Der Weltartenschutzverband IUCN hat den Europäischen Wanderaal inzwischen auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten gesetzt. Ein Wettlauf mit der Zeit, sagt Uwe Brämick:

"Wir versuchen durch Maßnahmen, selbst wenn wir nicht genau wissen, ob die die Lösung bringen werden, versuchen dennoch alles zu tun um der Art zu helfen, um die Art zu stützen."

Dazu werden spezielle Aufstiegsmöglichkeiten für Aale entwickelt, die es den Tieren ermöglicht, Flusshindernisse zu umschwimmen. Nun gilt es, die an den erforderlichen Stellen zu installieren. Auch für die abwandernden Aale Richtung Saragossasee sollen in Zukunft spezielle Anlagen entwickelt werden, die den Fischen den Weg ins Meer erleichtern.
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