EU-Politiker: Ratingagenturen in Haftung nehmen

Wolf Klinz im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.06.2011
Weil Ratingagenturen wie im Falle von Griechenland enorm einflussreich seien, müssten sie für ihre Bewertungen auch geradestehen, fordert der Europa-Politiker Wolf Klinz (FDP). Er möchte eine europäische Ratingagentur in Form einer Stiftung auf den Weg bringen.
Gabi Wuttke: C und D, eigentlich nichts weiter als zwei unschuldige Buchstaben. Kriegt ein Unternehmen oder gar ein Land aber von einer der drei großen amerikanischen Ratingagenturen diese Buchstaben verpasst, dann ist Land unter. Griechenland ist das aktuelle Beispiel dafür. Bei der EU steht auf dem Plan, Konkurrenz zu schaffen mit einer europäischen Ratingagentur. Der liberale Europapolitiker Wolf Klinz hält als Vorsitzender des EP-Sonderausschusses für die Finanzwirtschafts- und Sozialkrise für die Kommissionen einen entsprechenden Plan vor, der im Herbst in einen Gesetzesvorschlag gegossen werden soll. Um 7:50 Uhr ist Wolf Klinz am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen!

Wolf Klinz: Guten Morgen!

Wuttke: Der Clou des Plans ist ja eine Stiftung. Was soll der Vorteil gegenüber einer Finanzierung durch die Unternehmen und Banken sein?

Klinz: Ja, der Vorteil einer Stiftung ist, dass sie kein ökonomisches Interesse an erster Stelle vertritt, sondern dass sie sich voll und ganz der Aufgabe widmen kann, nach bestem Wissen und Gewissen objektiv die Qualität von Produkten, von Unternehmen oder auch von Ländern zu beurteilen. Und insofern glauben wir, dass wir nicht damit rechnen müssen, dass es hier zu Interessenkollisionen oder -konflikten kommt und dass wir qualitativ einen Sprung nach vorne machen können und zusätzlich natürlich auch mehr Wettbewerb schaffen und durch diesen größeren Wettbewerb auch Einfluss nehmen auf die politische Ausrichtung, also in dem Sinne nicht politisch im parteipolitischen Sinne, sondern im unternehmenspolitischen Sinne, auf die bestehenden drei großen Ratingagenturen.

Wuttke: Aber wenn die Stiftung von Investoren finanziert wird, bleibt doch das Problem erhalten. Auch Anleger wollen, dass die Firma, an der sie beteiligt sind, möglichst gut dasteht, um viel Rendite abzuwerfen?

Klinz: Ja, da sprechen Sie in der Tat ein Problem an, nämlich das Problem der Interessenkonflikte. Im heutigen System zahlt ja der Emittent, also ein Unternehmen, was ein Produkt auf den Markt bringt, sucht sich eine Ratingagentur aus. Und da gibt es natürlich die Interessenkollision dergestalt, dass die Ratingagentur versucht, sozusagen dem Emittenten – ich formuliere es mal vorsichtig – entgegenzukommen und ihm ein möglichst gutes Rating zu besorgen, ihn auch mit Rat und Tat bei der Produktgestaltung unterstützt, damit dieses Ziel erreicht werden kann. Sie haben recht, wenn jetzt der Investor zahlt, also der, der sein Geld anlegt – sei es eine Bank, eine Versicherung, eine Pensionskasse et cetera –, dann hat dieser Investor natürlich auch gewisse Interessen. Diese Interessen können zweierlei Form annehmen: Einmal, wenn er weiß, das Produkt ist eigentlich gut, in das ich investiere, hat er ein Interesse daran, dass das Rating gar nicht optimal ausfällt, denn dann kriegt er das Produkt billiger und hat eine höhere Rendite. Wenn er aber das Produkt, in das er investiert, mit eigenem Kapital – Versicherung oder Bank – unterlegen muss, mit Eigenkapital, dann hat er Interesse, dass das Produkt möglichst gut geratet wird, damit er möglichst wenig Eigenkapital hinterlegen muss. Sie sehen also, es ist relativ kompliziert. Wir wollen, dass die Ratingagentur eine Stiftung ist, das heißt, die wird nicht von dem einen oder von dem anderen finanziert, sie ist völlig unabhängig. Sie darf auch keinerlei politischen Einfluss unterstehen, da darf kein Politiker im Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat sitzen, da dürfen nicht die Managementpositionen von der Politik ausgesucht und besetzt werden, sondern das muss rundherum unabhängig sein. Und was die Zahlmethode betrifft, da wollen wir ja gerade für eine Öffnung sorgen. Wir wollen, dass das jetzige Der-Emittent-zahlt-System nicht abgeschafft wird, aber ergänzt wird durch andere Systeme. Eins davon könnte sein, der Investor zahlt, ein weiteres Drittes könnte sein, die Bezahlung erfolgt auf der Basis der Leistung, das heißt der Qualität des Ratings, die man erst nach einem, sagen wir mal nach einer Periode von 12 oder 18 Monaten feststellen kann.

Wuttke: Aber kann etwas so Kompliziertes funktionieren?

Klinz: Ach, ich glaube, das hört sich komplizierter an, als es in Wirklichkeit ist. Ob es funktionieren kann, wird die Zukunft zeigen. Es ist sicherlich kein Selbstläufer, da haben Sie völlig recht mit Ihrer Frage. Wir dürfen nicht vergessen, dass die drei großen Ratingagenturen heute eine Monopol- oder Oligopolstellung haben, sie dominieren 95 Prozent des Weltmarktes. Insofern wird es gar nicht einfach sein, hier eine Bresche hineinzuschlagen und einen Vierten oder Fünften oder Sechsten zu etablieren. Wir meinen aber, dass es im Interesse aller ist, dieses Ziel zu erreichen, und deswegen verfolgen wir diesen Plan.

Wuttke: Aber eins müssen wir festhalten: Auch eine Stiftungsinitiative würde zementieren, dass Ratingagenturen über das Wohl und Wehe des globalen Finanzmarktes entscheiden.

Klinz: Ein guter Punkt, den Sie da ansprechen.

Wuttke: Danke schön!

Klinz: Ich habe in meinem Initiativbericht auch dieses Problem der übermäßigen Abhängigkeit von Ratingagenturen angesprochen, und das als Schwäche charakterisiert. Bis vor sagen wir rund 30 Jahren hat es für Staatsanleihen gar kein Rating gegeben, zumindest war es nicht vorgeschrieben. Heute haben wir die Situation, dass auch durch diverse Regularien und Vorschriften, zum Teil in gesetzlicher Art, das Rating, bevor jemand investieren kann, bindend vorgeschrieben ist. Also eine Bank, eine Versicherung, eine Pensionskasse kann nicht in ein Produkt investieren, wenn es nicht geratet ist und eine Mindestnote von sagen wir mal – das Beste wäre natürlich ein dreifaches A, ein sogenanntes Triple-A, aber zumindest eine Mindestnote von Double-A oder so hat.

Wuttke: Wobei ja diese Noten nichts anderes sind als Meinungen. Und es ist ja inzwischen eingeräumt worden, dass mit dieser Meinung sehr, sehr viel teures Porzellan zerschlagen worden ist. Deshalb noch mal meine oder vielmehr meine Schlussfrage an dieser Stelle: Warum wurde nach der Lehman-Pleite die historische Chance verpasst, in der EU zu versuchen, die Macht dieser Firmen ein für allemal zu brechen und das Ganze in die Welt zu tragen.

Klinz: Na ja, das können Sie auch nicht über Nacht machen, also Sie brauchen schon einen gewissen Ordnungsrahmen, aber dass das nur eine Meinung ist, ist natürlich ein Märchen, das erzählen diese drei Ratingagenturen und verweisen auf einen gewissen Artikel der amerikanischen Verfassung. Ich bin der Meinung, wie Sie auch, dass diese Ratings eine enorme Auswirkung haben, und deswegen bin ich auch dafür, dass die Ratingagenturen in Haftung genommen werden müssen. Sie müssen für das, was sie abgeben, gerade weil es solchen Einfluss hat, geradestehen. Und ich plädiere dafür, dass wir eine Haftungsregelung einführen, so wie in allen geschäftlichen Dingen. Jeder, der Entscheidungen trifft von einer gewissen Tragweite, muss ja für diese Entscheidung geradestehen, wenn sich die als verheerend im Nachhinein herausstellt – natürlich nicht dergestalt, dass wenn ein Triple-A-Rating sich nach einem Jahr nur als Double-A-Rating in der Praxis herausstellt. Die Ratings sind abhängig von gewissen Annahmen, die nur zum Teil im Vorhinein bekannt sind oder zu 100 Prozent eingeschätzt werden können, aber wenn sie unprofessionell arbeiten, wenn sie viel zu schnell arbeiten, wenn sie – wie es geschehen ist bei den Subprime-Produkten, bei diesen strukturierten Finanzprodukten – Dutzende am Tag durchschleusen und immer wieder mit Triple-A versehen, und wenn sie dazu noch den Emittenten beraten, bei der Produktgestaltung, dann ist das wirklich grenzgängig, und dafür müssen sie in Haftung genommen werden.

Wuttke: Die Macht der Ratingagenturen und was eine Konkurrenz, nämlich ein europäisches Stiftungsmodell ausrichten könnte, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der liberale Europapolitiker Wolf Klinz über das Modell, das der EU-Kommission im Herbst nicht nur vorgelegt wird, sondern dann zum Gesetzesvorschlag gemacht werden soll. Herr Klinz, ich danke Ihnen an dieser Stelle, wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Klinz: Danke Ihnen, Frau Wuttke, schönen guten Tag!

Wuttke: Danke!

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