"Es wäre billiger, würde man rechtzeitig handeln"

Hannes Swoboda im Gespräch mit André Hatting |
Der Vorsitzende der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda, hat "klare Signale in Richtung Wachstum" gefordert. Bundeskanzlerin Merkel bewege sich in diesem Punkt zu wenig, lautet der Vorwurf des österreichischen Sozialdemokraten.
André Hattig: Und sie bewegt sich doch - gemeint ist die Bundeskanzlerin. Die Richtung: gemeinsames Europa. Je schlimmer die Wirtschaftskrise, desto mehr Zugeständnisse macht Angela Merkel, wenn es um das Allerheiligste geht, nämlich die nationalen Kompetenzen. "Wir brauchen eine gemeinsame Haushaltspolitik", hat sie jetzt gesagt. Aber auch die Opposition hierzulande bewegt sich: Grüne und SPD wollen dem Fiskalpakt - also der strengeren Kontrolle, der nationalen Budgets - jetzt im Bundestag doch zustimmen. Im Gegenzug bekommen sie die Börsensteuer. Am Telefon ist jetzt Hannes Swoboda, er ist Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten. Guten Morgen, Herr Swoboda!

Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen!

Hattig: Wie wichtig ist dieser Deal mit den deutschen Sozialdemokraten für Europa?

Swoboda: Ja, wichtig ist, dass sozialdemokratische Forderungen und Ideen durchgesetzt und umgesetzt werden, auf der nationalen Ebene, natürlich auch vor allem auch auf der europäischen Ebene. Wenn Sie davon sprechen, dass Frau Merkel sich bewegt - ich meine, zu wenig, viel zu wenig. Ich bin da noch nicht zufrieden, und wir auf der europäischen Ebene sehen mehr Worte als Handlungen. Und wenn Frau Merkel meint, ja, beim kommenden Gipfel wird es nicht große Entscheidungen geben - was brauchen wir? Wir brauchen jetzt Entscheidungen und nicht nur ein Philosophieren über die Zukunft Europas, das ist auch wichtig, aber wir brauchen auch Entscheidungen jetzt. Da muss sich Frau Merkel bewegen.

Hattig: Welche konkreten Entscheidungen haben Sie da im Auge, wenn Sie jetzt an den Gipfel Ende Juni denken?

Swoboda: Ja, das geht einmal um klare Signale Richtung Wachstum, das betrifft sowohl die europäische Investitionsbank, die Strukturfonds, sogenannte Project Bonds, also Anleihen, um gewisse Projekte zu finanzieren, und betrifft auch aus unserer Sicht die goldene Regel, die Mario Monti vorschlägt, dass nämlich bestimmte Wachstumsinvestitionen aus der Berechnung des Defizits herausgenommen werden, um auch wirkliche Investitionen anzuregen. Da braucht man ein Paket, da braucht man Maßnahmen, die wirklich etwas bewirken, vor allem die horrende Jugendarbeitslosigkeit reduzieren, und da habe ich noch nicht den Eindruck, dass Frau Merkel sich genug bewegt hat.

Hattig: Aber Wachstum - das ist ja nun etwas, was die Bundesregierung und damit auch die Bundeskanzlerin seit Wochen auch ganz gern in den Mund nimmt.

Swoboda: Ja, in den Mund nehmen ist das eine, handeln ist das andere. Wir brauchen nicht Worte, sondern wir brauchen Taten. Trotzdem muss ich sagen, dass man zwei Jahre Bedenkzeit in der deutschen Bundesregierung aber auch im Rat insgesamt hatte. Dasselbe mit der Bankenunion: Das ist vom Europäischen Parlament vor zwei Jahren vorgeschlagen worden, abgelehnt worden, und jetzt kommt man damit. Dasselbe mit der Haushaltsdisziplin, nämlich mit einer europäischen Haushaltsdisziplin und -beeinflussung: Ist voriges Jahr vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, von Deutschland und Frankreich, also von Merkel und Sarkozy, abgelehnt worden. Ich frage mich, warum Frau Merkel und andere Regierungschefs immer erst Monate und sogar Jahre nachher darauf kommen, was geschehen muss, nachdem zum Beispiel das Europäische Parlament, wo ja nicht nur Sozialdemokraten sitzen, das bereits vorher festgestellt hat. Das ist das, was in der europäischen Politik falsch läuft. Viele kommen zu spät, und dann sind die Handlungen oft zu schwach. Wir sehen das ja in Spanien derzeit besonders krass.

Hattig: Diese Scheibchen-Taktik, die Sie jetzt angesprochen haben, die begründet die Bundeskanzlerin damit, dass sie eben auch, sagt sie, deutsche Interessen wahren müsse. Das tut sie auch, wenn sie sich zum Beispiel gegen die Eurobonds wehrt, die die Schulden anderer Staaten ja umverteilen würden. Kann man ihr daraus einen Vorwurf machen?

Swoboda: Ich glaube, das ist mehr das Interesse der Koalition, der deutschen Koalition als das Interesse der Deutschen.

Hattig: Na ja, aber die Steuerzahler müssten ja auch dafür bezahlen.

Swoboda: Es kann nicht das Interesse der Deutschen sein, dass Griechenland aus der Eurozone ausgeschlossen wird de facto. Es kann nicht das Interesse Deutschlands sein, dass wir Riesenprobleme in Spanien haben, dass wir in ein Riesenproblem in Italien kommen. All das muss ja auch irgendwie gezahlt werden. Ich glaube, es wäre billiger, würde man rechtzeitig handeln. Und was die Eurobonds betrifft, ist das auch so ein Schlagwort, mit dem man Sachen ablehnt, die ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können, denn der Deutsche Sachverständigenrat, der auch deutsche Interessen im Auge hat, hat ja einen Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen, das sind zwar keine Eurobonds direkt, aber es würde auch den Ländern helfen, wegzukommen von ihrer Schuldenlast. Denn mit den Schulden, die derzeit auf den verschiedenen Staaten lasten - und vor allem mit den Zinsen - kommt man nicht weg. Schauen Sie, Frau Merkel hat eines richtig gemacht: Sie hat darauf gedrängt, dass es Budgetdisziplin gibt. Das will ich völlig unterstreichen. Das haben wir inzwischen, trotz des Widerstands von Merkel und Sarkozy hat das Parlament ein Sixpack beschlossen, wie das heißt, also sechs Gesetze, die Budgetdisziplin bewirken und die Eingriffsmöglichkeiten der Europäischen Kommission bewirken. Der sogenannte Fiskalpakt hat ja nicht wirklich was Neues gebracht. Wir sind jetzt davor, in den nächsten Tagen, nächste Woche im Europäischen Parlament ein neues "Two Pack" zu beschließen - Entschuldigung für diese Ausdrücke - aber zwei Gesetze, die ebenfalls vor allem Budgetdisziplin und wirtschaftliches Gleichgewicht in Europa herstellen sollen, als ob es das nicht gäbe. Es gibt ja verbindliche Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Nur beim Wachstum gibt es nichts Verbindliches außer Deklarationen, und das ist uns zu wenig.

Hattig: Herr Swoboda, fast zeitgleich hat Merkel wieder eine Formulierung jetzt benutzt, also fast zeitgleich zu diesem "Mehr Europa", zu der gemeinsamen Wirtschaftsregierung, eine Formulierung, die hatte sie schon einmal angewendet und die hat damals für großen Unmut gesorgt, und zwar die Formulierung vom Europa der zwei Geschwindigkeiten. Ist das für Sie ein Widerspruch zu dem "Mehr gemeinsames Europa"?

Swoboda: In gewissem Sinn: Ja, wenn man ... außer es ist klar, dass es immer ein Schritt nach vorne ist, dem die anderen folgen können. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend. Schauen Sie: Denn wenn Griechenland wirklich in große Probleme kommt und dort die Banken krachen, dann ist ein Land, das unmittelbar davon betroffen ist, gar nicht in der Eurozone: Das ist Rumänien, und Polen würde ebenfalls leiden, wenn es andere Schwierigkeiten gäbe. Daher darf man das nicht so sehen, dass nur die Eurozone gut ist, sondern wir müssen auch schauen, dass alle anderen Länder mitgezogen werden. Ich warne vor einer Trennung: Die gute Eurozone und die schlechten anderen, oder: die guten Nordländer, wie ein anderer Deutscher gesagt hat: Dort, wo der Nebel ist, dort ist man gut und fleißig, und im Süden ist man faul. Und diese Art von Trennungen müssen wir vermeiden, genauso wie auch die deutsche Bundesregierung leider massiv das europäische Budget, das ohnehin sehr klein ist, kürzen möchte und damit auch wieder gegen Wachstumsmaßnahmen eintritt. Sehen Sie, das, was wir in Europa derzeit sehen - und da ist Frau Merkel leider nicht unschuldig - ist, dass die Guten gegen die Bösen getrennt werden und dass man neue Trennlinien in Europa zieht. Das sind alles Schritte, das wird von vielen Ländern, nicht nur von Deutschland, leider vollzogen. Die Regierungen sind dabei, Europa abzubauen, auch wenn sie schöne Worte im Mund führen. Tatsächlich wird Europa abgebaut.

Hattig: Und das passt auch eigentlich nicht zu der Formulierung, dass man mehr Europa wagen sollte. Hannes Swoboda war das, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten im Europaparlament. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Swoboda!

Swoboda: Bitte, gern!

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