"Es gibt immer mehr Menschen, denen es im Alter dreckig geht"

Moderation: Katrin Heise · 18.04.2008
Der Redakteur der "Süddeutschen Zeitung", Heribert Prantl, hofft, dass das Sterben stärker in das Leben einbezogen wird. "So, wie es lange Jahre gelaufen ist, war das Sterben abgeschoben. Dass es jetzt allmählich anders läuft, ist ein hoffnungsvolles Zeichen", sagte Prantl, der auch Mitherausgeber des Buches "Schwarz, Rot, Grau – Altern in Deutschland" ist.
Katrin Heise: Wellness, Fitness, Gesundsein und Jungsein – das sind die Werte, nach denen wir, folgen wir der Werbung, am meisten streben sollten. In so einer Umgebung ist das Altwerden schon ein bisschen schwerer, vor allem, wenn es ständig von dem Button begleitet wird, in dem quasi ein Kampf alt gegen jung ausgemacht wird. Die "Süddeutsche Zeitung" hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel "Schwarz, Rot, Grau – Altern in Deutschland". Es geht um die Regeln für ein Altern in Würde, die unserer Gesellschaft offenbar abhanden gekommen sind. Ich begrüße nun den Mitherausgeber des Buches, den Redakteur Heribert Prantl. Schönen guten Tag!

Heribert Prantl: Guten Tag!

Heise: Herr Prantl, in jedem Kapitel beantworten Menschen unterschiedlicher Prominenz – von Rita Süßmuth über Max Schauzer geht das bis hin zur Fußballerin Ariane Hingst – einen Fragebogen. Lassen Sie uns auch mal damit beginnen, mit der Einstiegsfrage nämlich: Glauben Sie, Ihren 95. Geburtstag zu erleben?

Prantl: Als ich Journalist geworden bin, habe ich gesagt, ich brauche mich um Altersversorgung nicht kümmern, weil ich keine 60 Jahre alt werde. Mittlerweile bin ich 55, jetzt gehe ich doch davon aus, dass ich die 100 erreiche.

Heise: Haben Sie Angst vorm Älterwerden oder wie stellen Sie es sich vor?

Prantl: Nein. Wenn ich viele Politiker sehe, die ich gern mag, viele alte Politiker, dann stelle ich eine unglaubliche geistige Regheit fest. Schauen Sie sich Heiner Geißler an, schauen Sie sich Richard von Weizsäcker an, Leute, wo man den Eindruck hat, im Alter beginnt sozusagen das unabhängige und das freie Denken erst richtig – was nicht heißen soll, dass ich mich jetzt nicht frei fühle als Journalist, aber diese Beweglichkeit und diese Kraft, sich ins hohe Alter zu erhalten, das ist ein Ziel und eine Hoffnung, die ich haben möchte.

Heise: Also positive Gedanken dem Alter gegenüber. Sie sind ja bekannt geworden durch Bearbeitung innenpolitischer Themen, harter Themen. Wie sind Sie jetzt zu diesem Thema "Altern in Deutschland" gekommen?

Prantl: Nun ja, es ist eigentlich ein Fehler, zu sagen, die Beschreibung des Mechanismus der Politik, die mechanistischen Leitartikel darüber, ob jetzt Angela Merkel oder Kurt Beck wann welche Chancen hat, das sei harte Politik. Die eigentlich harte Politik sind diese Themen, sind die Probleme der Demographie, ist diese alternde Gesellschaft, ist die Frage, wie gehe ich mit den Jungen um? Wie gehe ich mit den Beziehungen zwischen Alt und Jung um? Wie gehe ich mit der Integration der dritten und vierten Ausländergeneration um? Das ist eigentlich harte Politik, weil es die Politik ist, die in die Zukunft weist. Wir haben uns dieses Thema "alterndes Deutschland" vorgenommen, weil die Antwort darauf eine Fundamentalfrage für die Politik ist.

Heise: Im Vordergrund des Buches steht ja die Forderung, ein reiches Land wie unseres muss in der Lage sein, mit den Alten respektvoll und fürsorglich umzugehen. Wie kann denn das Alter als Wert, wie Sie es in Ihrem Vorwort auch nennen, wieder auferstehen?

Prantl: Wir reden in der Werbung, wenn wir ins Fernsehen schauen, unheimlich viel von den agilen Alten, körperlich fit, geistig rege, gerne unterwegs, Hochbetagte genießen ihr Leben bei guter Gesundheit, Kreuzfahrten und so weiter, alles ganz wunderbar, prächtige Bilder. Dagegen ist nichts zu sagen, aber es gibt immer mehr Menschen, denen es im Alter dreckig geht. Man kann die aus dieser Welt nicht einfach ausgrenzen, man muss damit umgehen und man muss damit gut umgehen. Ich habe versucht, im Vorwort zehn Gebote für eine alte Gesellschaft zu entwickeln, und es rührt einen schon ans Herz, wenn man in die Altersheime schaut, von denen es exzellente gibt, aber auch viele schlechte und viele, die zu den skandalträchtigsten Orten des Landes gehören. Wenn man ein erstes Gebot aufstellen muss, das lautet: Jeder pflegebedürftige Mensch muss täglich seine Mahlzeiten und ausreichend Flüssigkeit in dem Tempo erhalten, in dem er kauen und schlucken kann, dann klingt das eigentlich so simpel, und das ist nicht so simpel. Mich selber berührt es, dass man, wenn man an die grundlegendsten Dinge geht, so etwas formulieren muss, dass man formulieren muss ein zweites Gebot, das dann besagen würde, jeder pflegebedürftige Mensch muss täglich so oft zur Toilette gebracht werden, wie er es wünscht, und er muss täglich gewaschen und gekämmt werden, und er muss auf Wunsch täglich die Möglichkeit haben, sein Bett zu verlassen und an die frische Luft zu kommen. Das zu formulieren, das stellt einem ein bisschen die Haare auf und man kriegt Gänsehaut, aber es ist wichtig und es ist leider vielfach nicht so. Und ich denke, dafür muss eine immer noch ziemlich reiche Gesellschaft sorgen, und das gehört zur Würde dieser Gesellschaft.

Heise: Also den Respekt, den Sie auch einklagen. Gehen wir mal einige Punkte des Buches durch. "Im Heim oder zu Hause alt werden" ist so ein Kapitel, die Reform der Pflegeversicherung stellt ambulant ganz klar vorstationär, also, eher zu Hause als im Heim. Finden Sie das richtig?

Prantl: Ich finde das richtig, aber man muss gleichzeitig sehen, dass es eine bezahlbare Hausbetreuung durch Fachkräfte eigentlich nicht gibt. Sie würde nach Berechnungen bei wirklich Menschen, die rund um die Uhr pflegebedürftig sind, 10.000 Euro im Monat kosten. Für eine 24-Stunden-Rundumbetreuung bräuchte man offiziell drei examinierte Pflegerinnen, und die kosten 45 Euro die Stunde. Das kann sich kein Mensch leisten. Also: Wenn Kinder sagen, wir wollen den Vater, wir wollen die Mutter zu Hause pflegen, muss man ohnehin das gesamte Familienleben umstellen, aber damit allein ist nicht getan. Ich muss irgendeine Fachkraft einstellen, und deswegen kommt es zum grauen Markt, zur Anwerbung von Fachkräften aus Bulgarien, Rumänien, Polen, und viele können sich wirklich nicht anders helfen. Und der Gesetzgeber und die Politik akzeptiert dieses auch, weil man weiß, wenn man es nicht akzeptieren würde, würde die Gesamtsituation überhaupt außer Rand und Band geraten.

Heise: Alt werden in unserem Land, Thema jetzt im Radiofeuilleton mit Heribert Prantl, Leiter Innenressort der "Süddeutschen Zeitung" und Mitherausgeber des Buches "Schwarz, Rot, Grau – Altern in Deutschland". Ein Kapitel, Herr Prantl, widmet sich der Demenz, die Krankheit des hohen Alters. Bisher gibt es große Defizite bei der Pflege dementer Menschen, unter anderem, weil die Pflegekasse bisher nur unterstützt, wer körperlich eingeschränkt ist. Am Pflegebedürftigkeitsbegriff – also an der Definition, wer ist nun eigentlich pflegebedürftig und wie stellen wir uns Pflege vor – wird ja in einer Kommission gearbeitet. Erwarten Sie eigentlich Besserung?

Prantl: Ich erhoffe sie mir sehr, weil es die Probleme sind, die immer mehr Menschen mittleren Alters, deren Eltern in die Situation kommen, auf den Nägel brennen. Man sagt ja nicht leichthin "Würde des Alters", man möchte ja auch etwas dafür tun, aber wenn die Voraussetzungen von der gesetzgeberischen Seite hier für eine vernünftige Pflege nicht geschaffen werden, ist es hochproblematisch. Die Fälle sind für die Familien, für die Angehörigen, die Fälle von Demenz noch weit schwerer im Alltag zu handeln und zu bewältigen als die körperlichen Behinderungen.

Heise: Sie haben sich ganz persönlich dem Thema "Lebensende" gewidmet. Ein Wort ist mir dabei aufgefallen in dem Kapitel, nämlich "Lebenserhaltungsmentalität". Sich damit auseinanderzusetzen, das ist ja besonders schwer, vor allem auch für medizinischen Betrieb.

Prantl: Ja, ich denke, es ist ja einiges passiert in den letzten Jahren, die Palliativabteilungen in Krankenhäusern, die immer noch im Aufbau begriffen sind, haben sich auf das Sterben eingestellt. Jeder, der eine solche Situation erlebt hat – ich habe sie erlebt mit meinem Vater, der in einer solchen Abteilung war –, ist unglaublich dankbar, dass er diese Art von Sterbebegleitung machen darf, dass der Sterbende nicht irgendwo abgeschoben wird, sondern dass sich das Krankenhaus, die Pflegekräfte und die Angehörigen gemeinsam kümmern können und man miteinander gut Abschied nehmen kann. Es ist etwas, das einem bleibt und das die Erinnerung an den nahen Angehörigen nicht trübt. Ich denke, diese Möglichkeiten und diese Voraussetzungen müssen weiter ausgebaut werden.

Heise: Dazu muss aber in der Gesellschaft das Sterben erst mal mit wieder ins Leben einbezogen werden, oder?

Prantl: So, wie es lange Jahre gelaufen ist, war das Sterben abgeschoben. Man hat nicht davon geredet, man hat in den Krankenhäusern irgendwann die Leute irgendwo hingeschoben. Dass es jetzt allmählich anders läuft, ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Das Sterben, die Alten haben es besser gewusst, so sagt das Sprichwort, das Sterben gehört zum Leben, und früher hat man den Leuten irgendwelche Sterbepillchen in die Hand gedrückt. Das Sterben erleichtern, das ist eine Aufgabe für den, der den Tod erleidet, und das ist eine Aufgabe für den, die den Sterbenden dabei begleiten.

Heise: Sie haben jedem Kapitel ein Kurzporträt vorangestellt, diejenigen, die da porträtiert sind, die beklagen sich nicht, die beeindrucken eigentlich eher durch Klarheit ihrer Situation gegenüber, durch Kraft und Mut. Das ist Ihnen auch wichtig gewesen bei dem Buch, positive Aspekte setzen?

Prantl: Ja, es ist ja etwas schwierig, nur zu jammern. Natürlich sind viele Zustände zu jammern, aber das Beeindruckende ist ja, dass man viele alte Menschen, viele kranke Menschen in Situationen wiederfindet, wo derjenige, der von außen draufschaut, eigentlich Kraft mitkriegt, weil die in problematischen Situationen Kraft entwickelt haben. Und diese Beispiele anderen beispielhaft vor Augen zu halten war mit eine Aufgabe dieses Buches.

Heise: Eine andere Zeitung hat es auch gerade ganz groß aufgemacht in der letzten Woche mit dem Thema Altwerden, die "Bild"-Zeitung. Große Zeile: "Die Alten übernehmen die Macht". Finden Sie so etwas hilfreich in der Diskussion ums Altwerden?

Prantl: Ach, hier werden Konflikte, es besteht die Gefahr, dass Konflikte geschürt werden zwischen Alt und Jung und hier Generationenkämpfe an die Wand gemalt werden. Ich glaube, man kommt nur dann weiter, sowohl für die Jungen als auch für die Alten, wenn man ein gutes Miteinander findet, und dafür gibt es ordentliche Beispiele, die man propagieren könnte. Das beginnt mit ganz simplen Geschichten, in den Bebauungsplänen, in der Art und Weise, wie in unseren Städten und auf dem Land gebaut wird, die Bedürfnisse von Jung und Alt besser anerkannt werden. Man kann wieder mehr – wie es in Skandinavien geschieht – Generationenhäuser bauen, dass man nicht bloß ein Hochhaus hinstellt und einen Komplex, in dem lauter Zwei-Zimmer-Wohnungen sind, sondern dass schon bei der Planung von Wohnungen dafür gesorgt wird, dass sich hier Jung und Alt miteinander begegnen können. Viele alte Menschen würden sich gern um Kinder in der Nachbarschaft kümmern. Aber die Wohnanlagen sind nicht darauf eingerichtet. Ich glaube, hier kann man mit solchen Dingen viel machen, und hier kann eine ordentliche Bebauungspolitik in den Kommunen bestimmte Dinge fördern und bestimmte Dinge einleiten.