Erneuerbares Methan

Von Lutz Reidt · 30.12.2012
Der Bundesverband Windenergie beklagt, dass wegen mangelnder Übertragungskapazitäten manche Windanlagen bis zu 40 Prozent der Zeit stillstehen. Stuttgarter Tüftler nutzen diese Energie, um künstliches Methan zu erzeugen. Zum Beispiel für erdgasbetriebene Autos.
Die Tankstelle wirkt schmucklos und ist in einem grau lackierten Container eingezwängt. Das Geflecht aus Rohrleitungen und Gasflaschen mutet provisorisch an, doch das Ganze funktioniert bestens. Der Chemiker Michael Specht greift sich den Schlauch mit der Tankvorrichtung und montiert sie auf den Einfüllstutzen seines Dienstfahrzeuges:

"Das ist eine Tankstelle für unser Erdgas-Substitut. Das heißt: Was wir hier erzeugen aus CO2 und Wasserstoff das Methan, das wird hier komprimiert auf einen Druck von etwas über 200 bar, so dass wir hiermit ein konventionelles Erdgas-Fahrzeug betanken können."

Das Methan, das jetzt im Tank des Autos verschwindet, ist etwas Besonderes. Denn es wird am ZSW, dem Zentrum für Solare Wasserstoffforschung in Stuttgart künstlich hergestellt.

Die Zutaten dafür bestehen aus dem Treibhausgas Kohlendioxid und aus Wasserstoff, das aus aufbereitetem Leitungswasser gewonnen wird. Der Strom, der für die Gasproduktion nötig ist, stammt aus erneuerbaren Energiequellen. Das Verfahren wird auch "Power-to-Gas" genannt - aus Strom wird Gas.

Die Chemiker am ZSW wollen Ökostrom, der gerade nicht gebraucht wird, sinnvoll nutzen. Für Marc-Simon Löffler könnte dies ein Weg in die mobile Zukunft sein:

"Die Firma Audi plant die erste vorkommerzielle Anlage im Megawattbereich in Norddeutschland. Und da wird als CO2-Quelle Biogas verwendet. Biogas besteht ja ungefähr hälftig aus CO2; und mit dem CO2 aus der Biogas-Anlage und Wasserstoff, der mittels Windstrom erzeugt wird, soll Methan hergestellt werden, eingespeist werden und das soll dann dazu genutzt werden, um Erdgasfahrzeuge der Firma Audi zu betanken."

Nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie wurden allein im Jahr 2011 mehr als 400 Gigawattstunden regenerativ erzeugter Strom wegen Überlastung der Netze nicht genutzt - das entspricht dem jährlichen Strombedarf von über 100.000 Haushalten.

Stünde diese Strommenge den Tüftlern in Stuttgart zur Verfügung, könnten sie rein rechnerisch ihr Dienstauto 800.000 Mal im Jahr volltanken. Theoretisch könnte dieses Auto sogar CO2-neutral durch die Gegend fahren, wenn eine Zutat des künstlichen Methans - nämlich das Treibhausgas Kohlendioxid - kurzerhand aus der Umgebungsluft gewonnen wird:

"Wir haben solche Prozesse bei uns abgebildet, in Pilotanlagen wirklich auch aufgebaut; und wir haben gezeigt, dass das im Prinzip möglich ist. Das geht! Wir können CO2 aus der Luft abtrennen, das macht in der Photosynthese letztendlich jede Pflanze auch. Es ist allerdings ein Prozess, der zusätzlich Energie braucht und damit die Energiebilanz gegenüber einer konzentrierten CO2-Quelle etwas verschlechtert."

Eine konzentrierte CO2-Quelle wären zum Beispiel gereinigte Abgase aus Industrieschloten, Kraftwerken oder Biogasanlagen. Probleme, an genügend CO2 zu kommen, gäbe es keinesfalls.

Dennoch hat das Power-to-Gas-Verfahren - zumindest vordergründig - einen Haken. Und das ist die energieaufwändige Elektrolyse. Dieser Prozess liefert die zweite wichtige Zutat für das künstliche Methan, nämlich den Wasserstoff. Um den zu produzieren, ist derart viel Energie nötig, dass von anfangs 100 Prozent Wind- und Sonnenenergie am Ende nur noch 38 Prozent übrig bleiben im künstlichen Methan - der Rest ist Abwärme, die bei den jeweiligen Prozessschritten entsteht.

Diese Wärme muss aber nicht ungenutzt verpuffen, sie ließe sich ebenfalls verwenden - etwa zum Heizen oder Trocknen. So könnten im günstigsten Fall 80 Prozent der ursprünglich erzeugten Wind- und Sonnenenergie genutzt werden.

Und dann sieht die Bilanz schon deutlich besser aus. Damit wäre das künstliche Methan eine Alternative, um ungenutzte Wind- und Sonnenenergie sinnvoll zu verwerten, sagt Marc-Simon Löffler:

"Zunächst mal wird das Methan ins Gasnetz eingespeist; das Gasnetz dient als Speichermöglichkeit für das erzeugte Methan. Das Methan kann man dann entweder zum Heizen nutzen - im Brennwertkessel beispielsweise in Haushalten; man kann es auch nutzen, um Erdgasfahrzeuge zu betanken; man kann es aber auch nutzen zur Stromerzeugung - das heißt, in Gas- oder Blockheizkraftwerken."

Das Erdgasnetz als Zwischenspeicher für die Energie, die bei der Produktion von Ökostrom anfällt. Als Speicher kommen auch unterirdische Kavernen in Frage, ebenso ausgebeutete Erdgasfelder.

Bislang fehlen Lösungen, den Überschuss an Wind- und Sonnenstrom langfristig zu speichern. Batterien und Pumpspeicherkraftwerke taugen da allenfalls als Kurzzeitlösung, meint Michael Specht:

"Die Pumpspeicherkraftwerke sind Speicherkraftwerke, die typischerweise im Stunden- und Tagesrhythmus genutzt werden. Das, was wir machen, diese längerfristige Speicherung von großen Energiemengen zielt im Wesentlichen darauf ab, dass wir im Bereich von Wochen und Monaten, also saisonal speichern. Und um saisonal Energie im großen Stil zu speichern, kommen meines Erachtens ausschließlich chemische Energieträger in Frage; und das ist nun mal der Wasserstoff; eine weitere Möglichkeit ist das Erdgas-Substitut oder aber flüssige Kohlenwasserstoffe."

Künstlich erzeugtes Erdgas als Langzeitspeicher, immer abrufbar, wenn Energie benötigt wird. Und das Speichervolumen des Erdgasnetzes ist in Deutschland immens, weil es mehr als 5.000 Mal so viel Energie fassen kann wie die häufig überforderten Stromtrassen.

Auch beim Energietransport über viele hundert oder gar tausend Kilometer sind Erdgas-Pipelines deutlich überlegen, denn sie können heute bereits 20 bis 30 Mal mehr Energie transportieren als die Stromtrassen. Und solange der Netzausbau stagniert, werden die Engpässe im Stromnetz bestehen bleiben.