Erinnerung an die Teilung

Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962
Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962 © Deutschlandradio
Von Dorothea Jung · 18.04.2005
Die Mauer hat über Jahrzehnte den Ost- und den Westteil Berlins voneinander getrennt, doch die Spuren der gewaltsamen Teilung sind nur noch an wenigen Stellen erkennbar. Die 1.065 Holzkreuze nahe des privaten Mauermuseums sorgten vor kurzem für heftige Diskussionen – führten aber auch dazu, dass die Rufe nach einem offiziellen Mauermahnmal lauter wurden. Nun stellte Berlins Kultursenator Thomas Flierl sein so genanntes Gedenkkonzept Berliner Mauer vor.
Der Berliner Senat will das, was man noch an Spuren der Deutschen Teilung im Berliner Stadtgebiet entdecken kann, erhalten. In dem von Kultursenator Thomas Flierl vorgestellten Konzept heißt es, ein größerer zusammenhängender Abschnitt der ehemaligen Grenzsicherungsanlagen solle für Berliner und Besucher der Stadt "erfahrbar" gemacht werden.

Das heißt: An verschiedenen authentischen Orten in der Deutschen Hauptstadt wird man zukünftig die Möglichkeit haben, nicht nur den Verlauf der Mauer aufzuspüren, sondern auch Informationen erhalten über die Brutalität des Grenzregimes. Zentraler Ort des Gedenkens : Die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, dem Ort, an dem die ersten Maueropfer zu beklagen waren; dem Ort, an dem heute noch die Schneise sichtbar ist, den die Mauer einst in die Stadt geschlagen hat.

Thomas Flierl: "Um der Todesopfer der Mauer würdig gedenken zu können, gilt es, deren Zahl und individuelles Schicksal zu erforschen und aufzuarbeiten. Weder existieren bis heute Angaben über die tatsächliche Zahl der Todesopfer, noch sind die Namen vieler Opfer, ihre Biographien, die Motive, die sie zur Flucht veranlassten, die Umstände, unter denen sie ums Leben kamen, die Art und Weise, wie mit ihnen und ihren Angehörigen nach ihrem Tode umgegangen wurde, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Dazu ist weitere wissenschaftliche Forschung dringend erforderlich."

Hier an der Bernauer Straße steht heute schon ein Denkmal für die Opfer. Hier erinnert die Versöhnungskapelle an die Deutsche Teilung, hier gibt es bereits ein Dokumentationszentrum. Dieses will Thomas Flierl vergrößern und finanziell besser ausstatten.

Überhaupt arbeitet sein Konzept mit dem, was vorhanden ist. Und will es kommunizieren. Also: Informationstafeln aufstellen, wo die Geschichte der Deutschen Teilung aufleuchtet. Und mit Broschüren, Internetauftritten und Audio-Führern das Verschwundene wieder sichtbar machen. Auf eine Teil-Rekonstruktion der Mauer will Thomas Flierl allerdings verzichten. Aber dennoch ist er zum Spiel mit Illusionen bereit. Zum Beispiel am Potsdamer Platz.

Thomas Flierl: "Bildtafeln könnten im Bahnhofsgebäude die Geschichte des Platzes erzählen. Es wäre durchaus reizvoll, das Schaubedürfnis von Einzel- und Gruppenbesuchern durch die erneute Aufstellung eines Aussichtspodestes sowohl zu befriedigen als auch zu ironisieren; weil der gesuchte weite Überblick ja gerade gewollt verbaut ist. Das greift zurück auf die zu Mauerzeiten existierende zentrale Aussichtsplattform für Touristen im Westteil der Stadt, die da über die Mauerbrache sahen und irgendwie wär's interessant auf das Podest zu steigen - man sieht nichts; aber man sieht auf Tafeln, was man früher gesehen hat. "

Die Geschichte der deutschen Teilung und die friedliche Revolution sollen ihren Erinnerungsort am Brandenburger Tor erhalten. Markus Meckel, Bundestagsabgeordneter der SPD und Ratsvorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, wollte noch einen Schritt weiter gehen. Meckel zufolge sollte man bei dem Mauergedenken über den Berliner Tellerrand schauen - das gelte auch für die Finanzierung des Projektes.

Markus Meckel: "Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht zu hoch gegriffen ist, wenn man sagt: Wir brauchen ein Museum des kalten Krieges. Und zwar ein europäisches Museum des kalten Krieges. Und insofern: Lasst uns nicht kleinmütig sein und zuallererst nur unsere eigenen Kassen anschauen, sondern danach fragen: Was ist eine langfristige Perspektive? Wo setzen wir Ziele? Und dann natürlich zu sehen, mit welchen konkreten Schritten, mit welchen Beteiligungen man die Dinge auf den Weg bringen kann."

Die Stiftung zur Aufarbeitung hatte am Abend zur Diskussion über das Konzept des Kultursenators in das Berliner Abgeordnetenhaus geladen. Die Zuhörer lobten einhellig die Entscheidung Flierls, das Areal um die Bernauer Straße zum zentralen Ort des Gedenkens zu machen. Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin formulierte allerdings auch Kritik. Ihm zufolge geht das Konzept mit dem kommunistischen Unrecht nicht schonungslos genug um. Es reiche nicht aus, die Lebensgeschichten von Opfern zu dokumentieren, sagte Wilke.

Manfred Wilke: "Das lebensgeschichtliche Konzept ist hier in der vorliegenden Konzeption ausführlich gewürdigt und ist auch zweifelsfrei unverzichtbar; auch unter Einbeziehung der Grenzsoldaten, die zur Wehrpflicht eingezogen wurden. Aber: Es fehlen die politischen Akteure und es fehlen auch die Täter. "

Wilke lobte indessen, dass Thomas Flierl auch das private Mauermuseum der Arbeitsgemeinschaft 13. August in das Konzept einbeziehen will. Mit der Würdigung dieses Museums erkenne der Senator an, dass an diesem Ort Flucht und Widerstand dokumentiert werden.

Für die Union der Opferverbände stimmte ihr Vorsitzender Harald Strunz dem Konzept im Großen und Ganzen zu und verlangte eine rasche Umsetzung.

Harald Strunz: "Allerdings ist die gesamte politische Öffentlichkeit zur Wachsamkeit aufgerufen, damit nicht auch dieser entscheidende Ansatz in einer fatalen Luftnummer endet. "

Der Berliner Senat will, dass sein Konzept nun breit diskutiert wird. Bis zum Jahr 2011 soll es umgesetzt sein.