Ergebnisse der Sondierungsgespräche

"Nicht so richtig viele mutige Ziele"

Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz (v.l) nach dem Abschluss der Sondierung.
Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) nach dem Abschluss der Sondierung © AFP / Tobias Schwarz
Yannick Haan im Gespräch mit Katrin Heise · 13.01.2018
Zu unkonkret, zu wenig zukunftsorientiert: Die Sondierungsergebnisse von Union und SPD machten nicht deutlich, wie die kommende Regierung die Anliegen der jüngeren Generation angehen wolle, sagt Yannick Haan. Haan ist aktives SPD-Mitglied und setzt sich für die Rechte zukünftiger Generationen ein.
Katrin Heise: Ganz so donnerhallig war es gestern nicht, als die Sondierungspapiere auf den Tisch gelegt oder vorgestellt wurden. Darüber wollen wir jetzt sprechen. Um die nächsten Generationen ging es in diesem Song und dass man an die Nachkommenden denken soll, sich ihrer immer bewusst sein soll. Das ist eigentlich auch eine ganz wunderbare Überleitung zu unserem Thema, denn genau darum soll es ja jetzt gehen. Haben die Parteien, die da anstreben, Deutschland für weitere vier Jahre zu regieren, haben die darüber hinaus, also über diese vier Jahre hinaus, an künftige Generationen gedacht. Ich möchte in diesem Sinne über die Sondierungsergebnisse sprechen, und zwar mit Yannick Haan, er selber ist Jahrgang 1986 und im Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, und außerdem ist er aktives SPD-Mitglied. Schönen guten Morgen, Herr Haan, schön, dass Sie ins Studio gekommen sind!
Yannick Haan: Guten Morgen!
Heise: In der Präambel der Sondierungsergebnisse steht: "Wir wollen die Probleme, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen, angehen, und uns mutige Ziele für die nächsten vier Jahre setzen." Welche mutigen Ziele haben Sie auf den folgenden 28 Seiten gefunden?
Haan: Ich habe nicht so richtig viele mutige Ziele insgesamt gefunden. Also klar kann man sagen, dass sich viele gute kleinste Punkte dort befinden, das ist oft sehr detailliert, das ganze Papier, aber so insgesamt, auch aus Generationensicht, fehlt mir auch der Blick in die Zukunft, es fehlt eine Klammer, was man überhaupt mit dieser neuen Koalition oder der alten Koalition machen will. Es sind viele einzelne Punkte, aber es fehlt eine Überschrift, die auch die Koalition zusammenhalten könnte, und es fehlt vor allem auch der Blick auf die Zukunft, was will man denn überhaupt mit diesem Land machen, und da sehe ich aktuell in diesem Sondierungspapier noch sehr wenig.
Heise: Also ich habe auch gedacht, dass wenn man diese vielen einzelnen … Also es geht so in die Einzelheiten, dass man fast das Gefühl hat, dieses Weiter-so, was ja so abgelehnt wurde, genau das wird eigentlich damit bemäntelt.
Haan: Genau, das sehe ich auch so, und ich finde, auch wenn man das Wahlergebnis ernstnehmen will, dann kann man eigentlich nicht so weitermachen, weil beide Parteien ja verloren haben, und da müsste man eigentlich auch um-…, also was anders machen, und beide sagen auch am Anfang, sie haben gelernt aus dem Wahlergebnis und wollen was anderes machen und machen dann aber eigentlich genau das gleiche weiter und sagen auch nicht, wie sie anders regieren wollen, sagen auch nicht, wie die Generationen besser zusammenbringen wollen und so weiter, und da sehe ich jetzt keinen wirklich Fortschritt zu der letzten Koalition.
Heise: Die Generationen zusammenbringen, da ist ja zum Beispiel Rente ein Thema. Jetzt hat man rausgehandelt, dass das Rentenniveau länger auf bisherigem Niveau gehalten werden soll. Haben Sie da das Gefühl, dass vielleicht sogar an eher ältere Wähler gedacht wird?

"Wir haben mittlerweile bei CDU und SPD ein Durchschnittsalter von 60 Jahren"

Haan: Ja, das kann man ganz klar sagen. Das ist auch eigentlich verständlich, weil beide großen Parteien vor allem von älteren gewählt werden. Die Wählerschaft wird immer älter, die Parteimitglieder werden immer älter. Wir haben mittlerweile bei CDU und SPD ein Durchschnittsalter von 60 Jahren. Wir haben im Parlament noch 2,3 Prozent der Abgeordneten unter 30. Wenn die Legislaturperiode zu Ende ist, ist das noch weniger. Das heißt, eine ganze Generation wird eigentlich im politischen Prozess kaum einbezogen. Natürlich schauen die Parteien auf die Wähler, und es ist auch klar, dass die Wähler auch auf sich in gewisser Weise schauen – das mache ich auch, das ist ganz natürlich –, und so kommt auch so einen Rentenpapier oder so ein Rentenvorschlag am Ende auf den Tisch, und ich glaube, wenn man aber ein bisschen im Hinblick auf Generationengerechtigkeit schaut, sollte man anders an die Rente herangehen.
Heise: Was hätten Sie sich denn gewünscht?
Haan: Wir sagen zum Beispiel, dass man die Rente an die Lebenserwartung koppeln muss, weil immer weniger Leute in die Rente einzahlen und immer mehr bekommen, und einfach aus logischen Gründen wird das irgendwann nicht mehr funktionieren, und wir haben bald das Problem, dass sehr viele Baby-Boomer in die Rente gehen und immer weniger junge Leute einzahlen, und das kann einfach auf Dauer nicht funktionieren. Was die Koalition macht, ist eigentlich so die Aufrechterhaltung dessen, was wir jetzt haben, aber nicht in die Zukunft denken und die Rente fit machen, dass auch die Jungen noch was rausbekommen.
Die Finale Fassung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD
Die Finale Fassung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD© dpa-Bildfunk / Maurizio Gambarini
Heise: Gehen wir mal auf ein Zukunftsfeld, eins, von dem man eigentlich meinte, es sei eins, das Spezialfeld auch von Ihnen: Digitalisierung. Da habe ich flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen gefunden bis 25 und die Digitalisierung der Verwaltung. Da habe ich gedacht, das sind ja eigentlich Notwendigkeiten, aber keine Ziele.
Haan: Ja, absolut, und das sind auch Sachen, die schon seit mindestens zwei Koalitionsverträgen immer drin stehen und eigentlich …
Heise: Aber jetzt wird viel Geld reingesteckt.
Haan: Ja, mal sehen, wie es dann umgesetzt wird, aber das ist auch nichts Neues, sondern wirklich einfach nur die Basis dessen, wenn man weiter irgendwie wirtschaften will und nichts irgendwie, was jetzt visionär oder progressiv nach vorne geht. Da bin ich auch echt enttäuscht, weil immer auch so beide Parteien eigentlich die Digitalisierung in den letzten Monaten sehr nach vorne getrieben haben und in allen Reden gesagt haben, dass es wichtig ist, und jetzt in dem Sondierungspapier kommt es eigentlich, bis auf ein paar Punkte kaum vor. Man will die Wirtschaft ein bisschen digitalisieren, man will die Verwaltung ein, bisschen digitalisieren, aber wirklich eine Idee davon, wie man diesen digitalen Wandel gestalten will, haben beide Parteien aktuell nicht.
Heise: Also Ihnen fehlt die Idee, oder haben Sie ein ganz konkretes Anliegen?
Haan: Also beides, zum Beispiel die Bürgerrechte kommen überhaupt nicht vor, obwohl ich finde, das ist ein sehr, sehr wichtiges Thema ist und auch die Idee, wie man diese digitale Revolution, die ja alle betrifft, in der Arbeitswelt, in dem, wie man überwacht wird, in allem, wie wir zusammenleben, wie wir kommunizieren, wie man das irgendwie politisch gestalten kann. Da fehlt jegliche Idee im Sondierungspapier.
Heise: Was drinsteht ist Wagniskapital verbessern. Also das klingt nach Verbesserung für junge Gründer, ist ja auch was, was nach vorne weist, in die Zukunft weist. Sind Sie damit zufrieden?
Haan: Ja, da kann man sagen, dass das eigentlich positiv ist, dass man also Startups und junge Gründer weiter fördern will, wobei man da auch immer sagen muss, das steht auch schon seit Längerem drin, und am Ende ist auch immer eine Frage, was da umgesetzt wird, aber insgesamt kann man sagen, dass zumindest im Wirtschaftsbereich, im Bereich Startups vieles Gutes im Papier drinsteht.

"Man will Ziele erreichen, ohne aber zu sagen, wie man die erreichen kann"

Heise: Also da gibt es jetzt mal einen Pluspunkt, einen kleinen. Kommen wir zu einem großen, wirklich großen Komplex, der natürlich uns alle jetzt schon betrifft, aber in späteren Generationen so richtig durchschlägt: Klima. Das Minderungsziel 2030 soll erreicht werden, und da steht dann drin, dies soll unter Beachtung des Zieldreiecks Versorgungssicherheit, Sauberkeit und Wirtschaftlichkeit sowie ohne Strukturbrüche realisiert werden. Da steckt, glaube ich, genau der Punkt, oder?
Haan: Ja, ich glaube, also beim Klima ist … Also man will eigentlich alles und will aber nirgends Abstriche machen.
Heise: Und vor allem, wenn man eine Kommission einrichten.
Haan: Genau, das ist das ei… Das finde ich auch sehr nett, dass man in 2018 eine Kommission einrichten will, wie man die Klimaziele 2020 einhalten kann, was, glaube ich, zeitlich etwas schwierig werden könnte.
Heise: Ich glaube, da geht es um 2030 dann. Man streckt das dann nach hinten!
Haan: Ja, das ist immer so ein bisschen das Problem, aber man will an den Zielen festhalten, aber sagt dann eigentlich im Papier nicht, wie man die irgendwie erreichen will. Man will so halb an der Kohle weiter festhalten, obwohl klar ist, dass man die Ziele nicht mit Kohle erreichen kann. Man sagt auch nicht, wie man die Mobilität umstrukturieren kann, und so geht es eigentlich weiter. Man sagt, man will Ziele erreichen, ohne aber zu sagen, wie man die erreichen kann, und das kann eigentlich am Ende nicht funktionieren. Da hätte man auch aus der letzten Legislaturperiode lernen können, dass man ja jetzt schon den eigenen Zielen hinterherhinkt, weil man die einfach nicht irgendwie mit Maßnahmen unterfüttert. Da hätte ich mir zumindest gewünscht, dass man daraus gelernt hätte und auch wirklich konkret sagt, was will man denn ändern, damit der CO2-Ausstoß reduziert wird, weil wenn wir so weitermachen, dann wird der nicht reduziert, sondern erhöht sich immer weiter.
Heise: Jetzt wissen wir nicht so genau, was die Jamaika-Koalition sich da gewünscht hätte oder da vielleicht verwirklicht hätte. Wir haben jetzt mal so festgestellt für die junge Generation – höre ich jedenfalls bei Ihnen keine große Begeisterung in diesen Sondierungspapieren –, die FDP ist ja – deswegen habe ich eben Jamaika angesprochen –, die FDP ist ja eine Partei, die jetzt sehr für sich wirbt als junge Partei oder als Partei für die Jungen. Hätten Sie da mehr Hoffnung gehabt?
Haan: Das ist unterschiedlich. Also ich hätte Jamaika an sich mal interessant gefunden, auch aus sozusagen politischer Sicht, dass es mal ein neues Bündnis gibt und dass mal so diese alten Strukturen, die wir haben, auch aufgebrochen werden, und auf der anderen Seite habe ich auch gerade bei der FDP nicht so unbedingt die Hoffnung, dass man, sage ich mal, nur mit einer jungen Imagekampagne allein Politik für die jungen Menschen macht. Gerade wenn ich mir das Thema Rente anschaue, habe ich da nicht gerade die Riesenhoffnung. Wenn ich mir das Thema Klima anschaue, ist es jetzt nicht, dass die FDP da der Vorreiter war. Ich hätte das Bündnis aber an sich befürwortet, weil ich es auch gut finde, an sich, für die politische Debatte für den Bundestag. Ich hätte es gut gefunden, wenn wir eine große Oppositionspartei hätten, und deswegen hätte ich das eigentlich befürwortet lieber.
Heise: Das war jetzt der Sprecher für die jungen Generationen sozusagen, SPD-Mitglied, schaut jetzt wahrscheinlich auf den 21., oder, Herr Hahn?
Haan: Ja, genau, ich bin gespannt, was der Bundesparteitag macht und mal schauen, also das ist, glaube ich, sehr offen, wie die Mitglieder da abstimmen, und am Ende gibt es ja dann noch mal eine Abstimmung aller SPD-Mitglieder, und da ist es auch, also bin ich total ratlos am Ende, was rauskommt oder wirklich gespannt, wie die Mitglieder abstimmen.
Heise: Also Ratlosigkeit an diesem Samstag, den 13. Januar. Danke schön, Yannick Haan, mit einem Blick als Mitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, auf das Sondierungsergebnis. Danke für Ihren Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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