Energiewende von unten

Von Jan Uwe Stahr · 18.11.2009
Weil die auf 20 Jahre festgelegten Verträge mit den Stromkonzernen auslaufen, können rund 2000 Kommunen nun das örtliche Stromnetz zurückkaufen. Mit der Hoheit über das Netz lässt sich nicht nur Geld verdienen, sondern auch kommunale Energiepolitik in die Praxis umsetzen.
"... die Burg ist, Vorsicht, Sie müssen sich jetzt bücken sonst kommen Sie hier nicht durch!"

Bürgermeister Bernhard Klug muss den Kopf einziehen, wenn er die kleine Festung von Trendelburg betritt. Einst war sie Sitz von sagenumwobenen Persönlichkeiten: Rapunzel zum Beispiel.

"Hier hat Rapunzel ihr Haar herabgelassen vom Hochzeitsturm. Wir liegen an der deutschen Märchenstraße und das ist letztendlich ein Aushängeschild."

Aber nicht nur alte Märchen sind heute wichtig für das 5000-Seelen-Städtchen im nordhessischen Hügelland. Stolz ist man hier auch auf neue Energien - auf den selbstgemachten elektrischen Strom:

"Wir können sehen am Horizont die Windparks, können auf der anderen Seite auch sehen eine Fotovoltaikanlage in der Nachbarschaft. Und des Weiteren sehen wir auch unten die Diemel, die mit Wasserkraft uns ja auch regenerative Energien bringt."

Auf der anderen Seite der Burg: Fachwerkhäuser und Gewerbegebäude, auf deren Dächern Solarstromanlagen in der Sonne schimmern. "30 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr produzieren die privaten Kraftwerke", sagt Bürgermeister Klug. Das sind zehn Millionen mehr, als alle Haushalte und Gewerbebetriebe von Trendelburg zusammen verbrauchen. Der grüne Strom wird in das Stromnetz eingespeist, das dem Düsseldorfer Energieriesen Eon gehört. Dessen Netzreich erstreckt sich über weite Teile von Nordhessen, Südniedersachsen und Thüringen. Doch das könnte sich bald ändern.

Das Rathaus der kleinen Märchenstadt: Ein über 400 Jahre alter Fachwerkbau. In Trendelburg weiß man die Tradition hoch zu schätzen. Das heißt aber nicht heißt, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Oben, in seinem Amtstübchen, zieht Bürgermeister Klug einen dicken Aktenordner aus dem Regal: "Konzessionsvertrag" steht auf dem Deckel.

Dieser Vertrag erlaubt dem Energiekonzern Eon, das Stromnetz auf dem Gebiet der Gemeinde zu betreiben. Dafür bezahlt er ihr eine jährliche Gebühr von bis zu 200.000 Euro. Eon wiederum kassiert für die Durchleitung des Stromes durch sein Netz bis zu zwei Millionen Euro im Jahr. Bislang: Am 31. Dezember 2011 läuft der Konzessionsvertrag nämlich nach 20 Jahren Laufzeit aus. Das weckt kommunale Begehrlichkeiten. Denn nach dem Auslaufen einer Konzession können Kommunen sich einen neuen Vertragspartner suchen oder das Stromnetz selbst übernehmen. Das hat der Gesetzgeber ausdrücklich gestattet, sagt Bürgermeister Klug:

"Die Überlegung ist ganz einfach, mit dem Erwerb des Netzes auch die Wertschöpfung die hier in dieser Region entsteht auch in dieser Region zu belassen, damit es also nicht abfließt in die Zentralen der Energieversorger nach München oder nach Düsseldorf."

Es geht der kleinen Märchenstadt aber nicht nur darum, die Durchleitungsgebühren aus dem Stromnetz in die Stadtkasse umzuleiten. Es geht auch darum, den in der Kommune erzeugten grünen Strom zukünftig weitgehend im regionalen Niederspannungsnetz zu belassen und möglichst selbst zu verbrauchen. Ihn also nicht über Hochspannungsnetze erst in einen überregionalen großen Stromsee zu leiten und von dort aus wieder zurück.

"Das ist vielleicht ein Kardinalsatz: Dass Entscheidungen über künftige Stromversorgung im Kreis, in unserem Umfeld, sollen nicht anonymen Konzernzentralen getroffen werden, sondern vor Ort mit beeinflusst werden können."

Dieses Motto findet sich als Überschrift in der "Power-Point" -Präsentation, die der Bürgermeister zusammen mit einem Beratungsbüro erstellt und in den letzten Monaten schon vielen Amtskollegen in den Nachbargemeinden gezeigt hat. Bernhard Klug zeigt auf den Bildschirm seines Notebooks: Dort leuchtet noch so ein Merksatz seiner Präsentation.

"Wir sind weder zu dumm, noch sind wir zu arm, die kommunalen Niederspannungsnetze zu rekommunalisieren."

Rund 20 Nachbargemeinden von Trendelburg wollen schon mitmachen. Gemeinsam das Stromnetz zurückkaufen, dass sie vor vielen Jahren an große Versorgungsunternehmen abgaben. Nicht nur in Hessen sondern deutschlandweit breitet sich dieser Trend aus, sagt Peter Moser vom "Kompetenznetzwerk Dezentrale Energietechnologien", kurz DeEnet, im nahen Kassel. Der Verein, zu dem sich 100 Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben, berät Kommunen bei ihrer Energiewende. "Unabhängigkeit von großen Atom- und Kohlekraftwerken, das ist das zentrale Motiv der Kommunen", sagt Strategieberater Moser:

"…und das ist vielleicht gar nicht im Interesse der bisherigen Stromkonzerne, die ja ihre großen Kraftwerke weiter betreiben wollen, solange es geht. Und 'ne Kommune hat dann eigentlich nur die Möglichkeit, schon Einfluss auf den Netzumbau in dem Bereich zu nehmen, indem sie einfach hier teilweise das Netz zurückkauft, beziehungsweise mit anderen Kommunen Regionalwerke gründet, um dieses Netz besser zu managen."

Wie überall in Deutschland haben auch in Hessen viele Kommunen in den 60er- und 70er-Jahren ihre Stadtwerke und Stromnetze an größere regionale Versorgungsunternehmen abgegeben. Diese wurden dann später von den noch größeren Stromkonzernen geschluckt. Doch es gibt auch Ausnahmen.

Das nordhessische Wolfhagen. Einst soll hier, laut der Gebrüder Grimm, ein böser Wolf sechs von sieben jungen Geißlein verschlungen haben. Heute hat Wolfhagen 15.000 Einwohner und seit gut einem Jahr auch ein neues Stadtlogo: Neben den Gebrüdern Grimm und der mittelalterlichen St. Anna Kirche ist dort auch ein sonnenbestrahltes Solardach symbolisiert. Wir setzen auf "Tradition und Fortschritt", sagt Bürgermeister Reinhard Schaake:

"Acht Prozent des Stroms, den die Wolfhagener Haushalte verbrauchen, wird heute schon über Fotovoltaik produziert, also 'ne ganze Menge, das achtfache gegenüber dem Bundesdurchschnitt."

Der Anteil des regenerativ erzeugten Stroms soll aber noch erheblich gesteigert werden: Auf hundert Prozent bis zum Jahr 2015, so hat es sich das Wolfhagener Stadtparlament zum Ziel gesetzt. Da trifft es sich gut, dass die Stadt ihre Stadtwerke und ihr Stromnetz nicht an einen großen Konzern verkauft haben, wie es so viele andere Gemeinden getan haben. Denn die Stadtwerke sollen nun die Wolfhagener Energiewende organisieren und vorantreiben.

Um sie dafür wirtschaftlich zu stärken, setzt die Kommune auf die Vergrößerung des Versorgungsunternehmens: Neben dem eigenen Stromnetz im Stadtgebiet - so die Idee - sollen die Stadtwerke auch das Stromnetz im Umland betreiben. Bislang gehörte dieses Netz Eon. Weil aber der Konzessionsvertrag gerade auslief, forderte Wolfhagen den mächtigen Energiekonzern vor einigen Jahren auf, sein Netz für einen Zukauf herauszurücken. So wie es der Gesetzgeber den Kommunen zugestanden hat. Doch das Vorhaben wurde zu einem unerwarteten Kraftakt, erinnert sich der Bürgmeister:

"Die Kaufvertragsunterzeichnung war dann eine sehr, sehr schwierige Geschichte, weil die spannende Frage die war, der Konflikt darin lag, was kostet das Netz denn eigentlich. Und da gab es eben sehr, sehr große unterschiedliche Auffassungen."

Fast dreimal soviel wie von der Stadt kalkuliert forderte Eon für sein Stromnetz. Ein Wucherpreis - zumindest nach Einschätzung der Wolfhagener Experten. Es schien, als wollte der Konzern die Kommune ganz schnell von ihrem Vorhaben abbringen.

"Wir haben gesagt, das kann nicht sein, wir können die Netze nicht betreiben zu diesem Preis nicht wirtschaftlich betreiben, also wir brauchen einen günstigeren Preis und das war genau der Streitpunkt, um den es dann ging."

Als die Stadt drohte, den wahren Wert des Stromnetzes vor Gericht klären zu lassen, lenkte Eon ein. Man einigte sich schließlich auf einen für beide Seiten akzeptablen Preis. Aber die Stadt musste sich verpflichten, über die bezahlte Summe strenges Stillschweigen zu bewahren. Das Beispiel Wolfhagen sollte keinesfalls Schule machen, so erhoffte man sich wohl im 30 Kilometer entfernten Kassel. Dort hat Eon-Mitte, die für die Stromnetze zuständige Tochter des Düsseldorfer Energiekonzerns, ihren Firmensitz. In einem repräsentativen, aus mächtigen Naturstein-Blöcken errichteten Gebäude. Henrich Wilkens, der Vorstand von Eon-Mitte in Kassel, schätzt es nicht, wenn seine Verwaltungszentrale mit einer "Festung" verglichen wird:

"Richtig ist, dass unser Gebäude sehr schön ist. Ich sage gerne immer wieder, dass das Gebäude mit kommunaler Mehrheit geschaffen worden ist."

Errichtet wurde das prachtvolle Gebäude bereits von dem Regionalversorger EAM, kurz nach der deutschen Wiedervereinigung. In einer Zeit, als ein Wettbewerb auf dem Strommarkt noch kein Thema war. Vor einigen Jahren kaufte sich Eon dann EAM und übernahm so die Kontrolle über örtliche Stromnetze in Nordhessen, Südniedersachsen und Thüringen. Doch nun laufen mit über 200 Kommunen die 20-jährigen Konzessionsverträge aus. Und immer mehr Städte und Gemeinden wollen aussteigen aus der vertraglichen Verbindung mit dem Energiekonzern. Stromnetz-Manager Wilkens ist alarmiert:

"Das macht uns Kopfschmerzen und zwar stellt es auch ein wenig die Gründungsgeschichte dieses 80 Jahre alten Unternehmens auf den Kopf, einfach deswegen: Damals im Jahre 1929 hat es die Überlegung gegeben, dass eine einzelne Kommune mit ihrem Stromnetz nicht optimal aufgestellt ist. Insoweit haben sich dann die Kommunen zusammengeschlossen und dann - wie wir selbst auch sagen - statt eines Stadtwerkes ein Landwerk gegründet."

Bis heute sind die Landkreise als Aktionäre an der Eon-Mitte beteiligt. Dieses große Netzunternehmen nun wieder aufzudröseln, könne doch nicht im Interesse der Kommunen sein, argumentiert man in Kassel. Auch dann nicht, wenn sie auf erneuerbare Energien setzen. Mit dieser Botschaft schickt der Eon-Mitte Chef derzeit seine Berater in die Rathäuser der Region.

"Wenn man sich solche Netze zurückkauft, hat man damit nicht eine Einrittskarte in die dezentrale Energie. Es gibt genauso die Möglichkeit, dass man die Konzessionsverträge abschließt und trotzdem dezentrale Energieerzeugung macht."

Eon-Mitte werde die Energiewende in den nordhessischen Kommunen nicht bremsen, beteuert Wilkens. Und tatsächlich ist jeder Netzbetreiber, ob Stadtwerk oder Energiekonzern, gesetzlich dazu verpflichtet, Strom von jedem Produzenten aufzunehmen und durchzuleiten. Egal ob er nun aus einem Atomkraftwerk der Eon kommt oder aus einem kommunalen Bürger-Windpark. Allerdings genießt der Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Wasser und Sonne im Stromnetz gesetzlich garantierte Vorfahrt. Und das bedeutet: Je mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen eingespeist wird, desto geringer wird der Bedarf an Atom- und Kohlestrom. Obwohl den Eigentümern der Großkraftwerke die Entwicklung eigentlich gegen den Strich geht, präsentiert man sich jetzt - auch bei Eon-Mitte - als Anwalt der Energiewende. Um den Anschluss an die Zukunft nicht zu verpassen:

"Die frühere Politik, die vielleicht der eine oder andere Große verfolgt hat, sich nur als Interessenswahrnehmer von Großkraftwerken hier zu definieren ist längst überholt."

Es klingt wie im Märchen. Oder hat der Wolf nur Kreide gefressen? Klar ist soviel: Die Zukunft der Kohle- und Atomkraftwerke wird immer unsicherer. Die Bedeutung der regionalen Stromnetze dagegen immer wichtiger. So hat Eon jetzt sein überregionales Hochspannungsnetz verkauft, möchte aber seine regionalen Niederspannungsnetze gern behalten. Um diese für die Zukunft fit zu machen und die dezentral schwankenden Stromangebote und Stromnachfragen intelligent zu regulieren, wird viel Know-How benötigt und auch viel Geld. Hier kann ein großer Netzbetreiber punkten. Einer wie Eon-Mitte. Der Konzern will nun vormachen, wie die dezentrale Energie-Zukunft aussehen könnte. Und sucht in Nordhessen nach einer "Musterkommune" für ein "Modellprojekt". Henrich Wilkens:

"Ein Modell entwickeln, wie wir diese Herausforderung, die technisch die dezentrale Energieerzeugung für das Netz bedeutet, durchexerzieren, erproben. Bis hin zu dem Verbraucher, der in seinem Verbrauchsverhalten so angereizt werden kann, in dem Moment, wo dezentrale Energieerzeugung in Form von Fotovoltaik oder Windenergie angeht, also der Strom erzeugt wird, dann in dem Moment auch verbraucht wird. Also klassisch, die Waschmaschine oder die Geschirrspülmaschine, dass die im richtigern Moment läuft, wenn dezentral auch gerade Energie erzeugt, Strom erzeugt wird."

In Wolfhagen, wo die Stadt die Energiezukunft zusammen mit dem Stromnetz in die eigenen Hände genommen hat, kümmert man sich bereits jetzt intensiv um die Stromverbraucher. Um ihre Energiesparpotentiale und ihr Verbrauchsverhalten. Und die Stadtwerke sind bereits dabei, die Bürger auf eine Zukunft vorzubereiten, in der auch die Autos mit heimischen Strom fahren könnten. Schon im nächsten Jahr wollen die Stadtwerke Wolfhagen eine erste öffentliche Stromtankstelle eröffnen. In naher Zukunft könnte dann eine Versorgungs-Infrastruktur für Elektroautos entstehen. Sofern es dann solche Autos zu kaufen gibt.

Immerhin ein Elektroauto gibt es schon: den Dienstwagen von Martin Rühl, dem Leiter der Stadtwerke. Ein alter, umgebauter Renault. Auf der Heckklappe kleben energisch voranschreitende Männchen.

"Ja, die lustigen Männchen sind unsere Energiefiguren, die ja noch mit einem Namen versehen werden sollen und eigentlich Aufbruch ein bisschen erzeugen sollen. Symbolisieren sollen sozusagen: In Wolfhagen geht’s voran."

Bis alle Wolfhagener mit Elektroautos fahren und heimischen grünen Strom aus dem Netz der Stadtwerke tanken können, müssen allerdings noch einige Hürden genommen werden. Nicht nur bei der Automobilindustrie, auch in Wolfhagen selber: Zurzeit droht eine Bürgerinitiave das wichtigste Projekt zu blockieren: Einen Windpark, den die Stadt auf einem bewaldeten Höhenzug errichten möchte. Ohne Windstrom bleibt Wolfhagens grüne Energiezukunft allerdings nur ein Märchen.