Endzeit in Pop und Medien

Von Eberhard Spreng · 05.05.2012
Ein Genre, das aus der Not geboren ist: In Zeiten der Krise hat die Apokalyptik Konjunktur und macht auch vor der Popkultur nicht Halt. Das Theater Hebbel am Ufer widmet sich dem Thema bei einem Symposium mit Vorträgen, Konzerten, Filmen.
"Der Hintergrund ist, dass man schon beobachten kann, dass in den letzten ein, zwei Jahren durch diese extreme Verdichtung von katastrophisch wahrgenommenen Ereignissen sich so etwas wie ein genuin apokalyptischer Diskurs in alle Ebenen der öffentlichen Diskussion breit gemacht hat."

Der Co-Kurator von "Apocalypse Now and Then", Christoph Gurk, konnte sich 2011, während der Vorbereitung der Pop-Konferenz über einen Mangel an Anlässen nicht beklagen. Von den Umbrüchen in der arabischen Welt bis zur Atomkatastrophe in Japan reicht ein breites Spektrum, das die Anhänger endzeitlicher Szenarien in ihren Vorstellungen bestärken musste. Es geht zu Ende. Die Apokalypse kommt. Auch der Poptheoretiker Simon Reynolds konstatiert für die Pop-Musik eine apokalyptische Hochkonjunktur.

"Die Vorstellung vom letzten Tag hat wie ein Schatten den Mainstream-Pop des vergangenen Jahres durchzogen. Speziell in Amerika. Es gab jede Menge Songs, die explizit das Leben ohne Zukunft thematisierten: Britney Spears ‚Til the World ends’ zum Beispiel."

Apokalypse und Medien, Endzeit und Pop waren schon lange vor "The End" der Doors eine enge Verbindung eingegangen, wie der Religionswissenschaftler Falko McKenna in seinem Vortrag über die gemeinhin Apokalypse genannte Offenbarung des Johannes erklärt.

"Wenn man sie als eskapistische Poesie und exstatische Verheißung und zeitgenössischen Propagandatext begreift, erscheint die Apokalypse des Johannes als "Pop avant la lettre". Sie lädt zu Alltagsflucht ein, sie ist in eine Medien- und Verwertungslogik eingebunden, sie ist Aktualisierung vor dem Hintergrund der Tradition, sie ist Ideologie."

Die Literaturwissenschaftlerin Christina Striewski erkundete die historischen Rahmenbedingungen aller jüdisch-christlichen Endzeit-Versprechen und erklärt sie als geheimnisvolle Erlösungen bedrängter Religionen.

"Die Konjunktur der Apokalypktik zu Zeiten der Krise hat in der Tat Tradition, das Genre ist nämlich aus der Not geboren. Die ältesten Schriften, denen die Forschung den Titel "jüdische Apokalypsen" beigelegt hat, entstanden im 2. Jahrhundert. vor Christus als Antwort auf die Verfolgung des jüdischen Volkes durch den König Antiochos. Auf dieser apokalyptischen Welle segelt dann auch noch Jesus, der vom Äußersten, vom Letzten, vom Eschaton kündet. Die Botschaft lautet, das Reich Gottes sei nahe herbeigekommen und stehe kurz vor seiner Verwirklichung auf Erden."

Mit ihrem religionskritischen Ansatz ging Christina Striewski von der Betrachtung der Entstehungszeit der apokalyptischen Urtexte aus. In ihnen entdeckt sie eine Matrix für ein apokalyptisches Denken, das abendländische Zukunftsvisionen bis heute durchzieht.

"Die Apokalyptik bot also ursprünglich, kann man sagen, Trost und Ermutigung für Unterdrückte und Verzweifelte. Heute könnte man von einer Durchhalteparole für Randgruppen sprechen. Die Aussicht auf das Königtum Gottes, das der verkommenen Gegenwart ein Ende bereitet, ist eine, Zitat von Hartmut Böhme: ‚Gewaltige Investition des Glaubens gegen den Augenschein des Realen’."

Nur einmal war zu ahnen, dass der Apokalyptiker seine Zukunft im Nichts des Untergangs aufgehoben sieht, weil ihm die Mittel für die Fortsetzung in der Gegenwart fehlen. Die Konjunktur der Apokalypse geht unmittelbar mit Geldmangel und dem Ende von Kreditzyklen einher.

"Apokalyptisches Denken will der Zeit entkommen. Das heißt der kreditbehafteten Zeit mit Schulden aus der Vergangenheit und Investitionen in die Zukunft. Ein Grund, keine Drogen zu nehmen oder andere riskante aber aufregende Sachen zu machen, ist die Tatsache, dass wir es unseren Eltern und dem Gottvater schuldig sind, unser Leben nicht zu vergeuden. Andererseits: Ein Leben ohne den Gedanken an ein Morgen zu verbringen, erklärt sich aus der wachsenden Re-Proletarisierung der Mehrheitsgesellschaft. Es gibt eine Theorie, die eine Verbindung zwischen Zeitbewusstsein und Klassenzugehörigkeit herstellt. Je ärmer man ist, umso kurzfristiger ist das Denken."

Weniger inspirierend als die Reflexionen über die unheimliche Macht des apokalyptischen Denkens waren Vorträge mit aufgelisteten Beispielen endzeitlicher Themen in der Geschichte des Pop von Industrial über Apocalyptic Folk zum Ambient. Der Vortrag von Tobias Nagl über die Genese des deutschen Pop führte vom Bierzeltklassiker über Alexandras "Kleiner Zigeuner" bis zu den Einstürzenden Neubauten, von der Verdrängung der deutschen faschistischen Katastrophe in der Nachkriegszeit zur zukunftsskeptischen Performance in der modernen Gesellschaft.

Apokalypse Now (And Then) - das Ende der Welt in der Popkultur.
Festival im Hebbel am Ufer Theater in Berlin, 3.-5. Mai 2012.

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