Einmalig tragisches Schicksal

24.06.2011
Irene Coffee wurde im Dezember 1941 nach britischem Recht wegen versuchten Selbstmordes und Mordes für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. Heidrun Hannusch hat die Geschichte der aus Deutschland emigrierten Jüdin als fesselnden Kriminalfall rekonstruiert.
Das Urteil war grotesk, und Richter wie Geschworene wussten es. Doch die Gesetzeslage ließ ihnen keine andere Wahl: Sie mussten Irene Coffee im Dezember 1941 nach gültigem britischem Recht wegen versuchten Selbstmordes und Mordes für schuldig erklären und zum Tode verurteilen. Es blieb ihnen neben dem eigenen massiven Unbehagen nur eine hilflose Urteilsergänzung: Mit der "höchstmöglichen Empfehlung, Gnade zu üben", versuchten sie abzuwenden, was sie gerade entschieden hatten und legten das Schicksal der 30-jährigen Frau in die Hände König Georges VI.

Seit dem 17. Jahrhundert stand auf versuchten Selbstmord in England die Todesstrafe. Wer bei einem Doppelselbstmord alleine überlebte, wurde zusätzlich noch des Mordes angeklagt. Dieses Gesetz galt bis Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Im Fall der Irene Coffee, die sich gemeinsam mit ihrer Mutter Margarete Brann umzubringen versuchte und alleine überlebte, offenbarte sich schon den Zeitgenossen die Absurdität dieser Rechtsprechung, wie das Gnadengesuch belegt. Siebzig Jahre später legt nun Heidrun Hannusch die minutiös recherchierte und grandios erzählte Lebensgeschichte der Irene Coffee vor.

1937 war die Jüdin und gebürtige Dresdnerin vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach England geflohen. Eine Scheinehe machte sie zur britischen Staatsbürgerin und erlaubte ihr, die Mutter nachzuholen. England versprach den beiden eine Zukunft und Sicherheit. Bis die Deutschen 1940 zum ersten Mal London bombardierten. "The Blitz" versetzte die englische Hauptstadt in Angst und Schrecken und die jüdischen Flüchtlinge in Panik.

Heidrun Hannusch schildert die Lebensumstände von Mutter und Tochter im Londoner Exil spannend wie einen Krimi. Sie bleibt nah an den Frauen dran und verliert gleichzeitig nicht den Blick für das große Ganze. Detailliert und einfühlsam beschreibt sie die mit jedem militärischen Erfolg der Nationalsozialisten größer werdende Verzweiflung der beiden, die schließlich im Selbstmordpakt mündete. Darin kunstvoll eingewebt: die Situation der über 50.000 jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich in London und die Ängste der Einheimischen und deren unterschiedliche Lebenswege. Ein ungewöhnliches, großes Stück Zeitgeschichte wird so erzählt, ohne dabei dem Schicksal von Margarete Brann und Irene Coffee seine Einmaligkeit zu nehmen.

Darüber hinaus gelingt der Autorin unter Zuhilfenahme bisher unveröffentlichter Polizei- und Gerichtsakten ein packendes Stück Justizgeschichte. Sie spannt den Bogen vom Ende des 16. Jahrhunderts, der Zeit Elizabeth I, als Selbstmörder noch mit einem Pflock ins Herz verscharrt wurden, bis zum Jahr 1961 als mit dem "Suicide Act" die Selbsttötung in England entkriminalisiert wurde. Irene Coffee hingegen musste noch auf die Gnade des Königs hoffen. Diese wurde ihr tatsächlich gewährt, ihre Lebenslast aber war dennoch zu schwer. 1968 nahm sie ein zweites Mal Schlaftabletten. Diesmal wusste sie, welche Dosis sie brauchte.
Besprochen von Eva Hepper

Heidrun Hannusch: Todesstrafe für die Selbstmörderin
Christoph Links Verlag, Berlin 2011
184 Seiten, 19,90 Euro