Colin Gonsalves

Der Anwalt der Ärmsten

Colin Gonsalves, einer der Träger des Right Livelihood Award 2017
Colin Gonsalves, einer der Träger des Right Livelihood Award 2017 © dpa/The Right Livelihood Award/Aayush Goel
Von Eberhard Schade |
Der indische Anwalt Colin Gonsalves ist einer der vier Preisträger des diesjährigen Alternativen Nobelpreises. Seit Jahrzehnten kämpft er für die Schwächsten innerhalb der indischen Gesellschaft - derzeit auch für 7000 Rohingyas, die die indische Regierung abschieben will.
Als Colin Gonsalves das er auf dem Podium "Star" genannt wird, versucht er ein Lächeln. Es passt so gar nicht zu dem schmalen Mann im dunkelblauen Anzug. Auch wenn er den Anstecker des Alternativen Nobelpreises – zwei weiße Lotusblüten auf blauem Grund – sichtlich stolz am Revers trägt.
"In einer Zeit, in der Indien autoritärer wird, spielen Colin und sein Anwaltsnetzwerk eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Demokratie", lobte ihn die Jury in Stockholm. Gonsalves helfe ohne große Lobby.

Am Baum aufgeknüpft wegen Fleischverzehr

Seine Mandanten in Indien haben gar keine. Es sind Flüchtlinge, Slumbewohner, Frauen, Arme. Und seit die hindu-nationalistische Partei von Premierminister Narendra Modi im Amt ist, oft Muslime.
"Im vergangenen Jahr wurden 40 Personen in Indien gelyncht, einige von ihnen an Bäumen aufgeknüpft, nur weil sie angeblich Fleisch gegessen hatten. Kühe sind den Hindus heilig und ich respektiere religiöse Sitten aber niemand darf an einem Baum aufgehängt werden nur weil er ein Stück Fleisch gegessen hat."
Mit einem Team von mehr als 200 Juristen in ganz Indien geht der Menschenrechtsanwalt dann zu den Plätzen, wo Lynchmorde, Übergriffe von Polizisten oder Soldaten stattgefunden haben, sucht Zeugen und nimmt deren Aussagen auf Video auf und zieht damit vor Gericht.
"Wir können ja nicht von ihnen erwarten, dass die Angehörigen der Opfer zu uns kommen und sich beschweren oder Anzeige erstatten. Deshalb besuchen wir sie, gehen zu den Familien, unterstützen sie wo wir können und dokumentieren ihre Geschichten."

Wut als Antriebsfeder

Angetrieben wird der 65jährige dabei von einer gewaltigen "inneren Wut" wie er sagt. Die wurde geweckt als Indien unter Premierministerin Indira Ghandi politisch nach rechts rückte, Verhaftungen von Fabrikarbeitern und Drangsalierungen ihrer Familien an der Tagesordnung waren.
In dieser Zeit schloss Gonsalves, der selbst aus ganz einfachen Verhältnissen stammt, sein Ingenieurs-Studium ab und "driftete", wie er sagt, mehr und mehr in soziales Engagement ab. Tauchte ein in juristische Fragen - und fand seine Bestimmung als Anwalt der Schwächsten.
"Später ging ich dann in die Gewerkschaft. Dort traf ich meinen Guru, einen Gewerkschaftsführer, der mir beibrachte die Welt durch die Augen der kleinen Leute zu sehen. Ein Geschenk, das mich seither begleitet und mir bei meiner Arbeit hilft."

Recht auf Nahrung

Sein größter Coup: die gewonnene Sammelklage, die das Recht auf Nahrung in der indischen Verfassung verankert hat. 400 Millionen Inder haben seitdem Zugang zu subventioniertem Getreide. Und jedes indische Schulkind bekommt täglich ein kostenfreies Mittagessen.
"Das war und ist noch immer nicht selbstverständlich in der größten Demokratie der Welt", schimpft Gonsalves. "Die indische Regierung ist so grausam, dass sie ihr Volk eher verhungern lässt als dass sie ihnen Getreide gibt."

Kein aktenkundlicher Fall terroristischer Handlungen

Derzeit vertritt er 7000 Rohingyas. Die indische Regierung will sie abschieben, wegen "Terrorgefahr". Als er das hörte, ist Colin Gonsalves sofort in deren Siedlungen am Rande des Kashmir-Tals gefahren.
"Und überall wo ich hinkam fragte ich, ob es einen aktenkundlichen Fall einer terroristischen Handlung gibt. Und bekam in jeder Siedlung immer die gleiche Antwort: Nein. Als die Fälle dann schließlich vor dem Obersten Gerichtshof landeten, realisierte die Regierung, dass sie mit ihrem antimuslimischen Täuschungsmanöver nicht durchkommt."
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