Ein wilder Finne

Von Alexander Budde |
In Finnland genießen die Krimis von Matti Rönkä Kultstatus. Der Schriftsteller, der hauptberuflich in einer TV-Nachrichtenredaktion arbeitet, griff in einer Lebenskrise zur Feder. Wie der Held seines neuen Romans "Russische Freunde" stammt er aus Karelien.
Matti Rönkä in Nadelstreifen, die widerspenstige Haartolle – blond ergraut – mühsam über das kantige Gesicht geföhnt. Der Finne, Jahrgang 1959, kommt gern ins Café Kämp, einem Künstlertreff im Herzen von Helsinki. Rönkä lässt sich tief ins Ledersofa sinken, nippt am Wein. Dann erzählt er:

"Ich bin in Karelien aufgewachsen, auf der finnischen Seite. Russland war nicht weit. Eine Grenzregion in vieler Hinsicht: Die lutherisch-protestantische Welt endet hier, die griechisch-orthodoxe beginnt. Es gab aber zu allen Zeiten Menschen, die sich auf beiden Seiten bewegt haben."

Wie Rönkä selbst ist auch sein literarischer Held Viktor Kärppä so ein Grenzgänger zwischen den Welten.

"Er versucht zu überleben, und ist auf den Profit bedacht. Aber er ist auch ein Macher mit ziemlich klaren moralischen Vorstellungen."

Kärppä ist ein Mann um die 40, Sohn einer Finnin und eines Russen. Sein Diplom hat dieses hünenhafte Ski-Ass an der Sportakademie in Leningrad erworben, beim KGB noch zu Sowjetzeiten das Töten gelernt. Weil seine Dienste nach der Wende kaum gefragt sind, siedelt der Russe nach Finnland über, wo er fortan Holz und Wodka verschiebt, sich als Privatdetektiv, Polizeispitzel und Bauunternehmer über Wasser hält. Kärppä mag ein Raubein und Ganove sein, schmunzelt sein Schöpfer Matti Rönkä, doch seine Seele ist rein:

"Wenn ihn ein Kumpel um Hilfe bittet, dann gibt es keine Ausflüchte. Was durchaus zu Spannungen führt, weil er immer wieder in krumme Geschäfte gerät, um Freunden oder Verwandten beizustehen. Er weiß, du kannst alles kaufen oder verhandeln, aber deine Vergangenheit, die lässt dich nicht los."

Fünf Bücher sind bereits erschienen: Im jüngsten Band "Russische Freunde" wird Kärppä selbst zum Opfer: sein Haus geht in Flammen auf, russische Unterweltler bedrohen seine Freundin, wollen die Geschäfte übernehmen. In Finnland genießen die Krimis bereits Kultstatus. So wie Matti Rönkä selbst auch.

Beim finnischen Fernsehsender Yle ist er Leiter und Moderator der Nachrichtenredaktion "Uutiset". Als Reporter reiste der studierte Politologe in früheren Jahren durch die zerfallende Sowjetunion. Stippvisiten führten ihn in die vergessene Heimat seiner weitverzweigten Familie, ins karelische Niemandsland mit seinen vielen sowjetischen Altlasten, den wenigen Perspektiven. Seine Gefühle zu Russland reichen von zärtlicher Zuneigung bis zum abgrundtiefen Entsetzen:

"Wir Finnen kennen die Russen - und wir mögen sie. Die kleinen Leute in ihrer Not, die Traurigkeit, die Melancholie, den Drang zum Alkohol. Zugleich gibt es Dinge, die wir einfach nicht verstehen: die Grausamkeit der Machthaber zum Beispiel. Und das Chaos: Die Russen können zum Mond fliegen, aber ihre Toiletten nicht in Ordnung halten."

Eine schwere Midlife-Krise ließ den populären Moderator der Abendnachrichten zur Feder greifen. Matti Rönkä, der auf dem Bildschirm allabendlich mit besorgter Miene die Nachrichten verkündet, darf sie in der Figur des Außenseiters, des Halbrussen, endlich frei kommentieren.

"In den Abendnachrichten hast du 25 Sekunden für eine Meldung, du musst schnell und schlau sein. Und ich versuche, das ordentlich zu machen. Aber ich sehe den Journalismus nicht als Religion. Er hat viele Begrenzungen.
Ich glaube nicht, dass er ein exaktes Abbild der Gesellschaft ist."

Rönkä schreibt flott und unverschnörkelt und bisweilen deftig komisch. Meisterhaft erzeugt er ein Gefühl der Bedrohung durch gnadenlose Gewalt. Doch anders als die meisten seiner skandinavischen Krimikollegen erhebt der Finne keine pädagogischen Ansprüche.

"Ich mache mir nichts draus, dass man meine Bücher Krimis nennt. Bei mir gibt´s keine Morde. Das Verbrechen, das Böse, interessiert mich nicht. Ich denke, ich schreibe über das Gute (lacht). Viele Kollegen sagen, dies und das läuft falsch, muss korrigiert werden. Da ist kein bisschen Humor dabei."

Im privaten Leben ist er – offiziell zumindest – mit der Literaturkritikerin Suvi Ahola liiert. Die beiden leben getrennt, verstehen sich aber gut. Zwei leibliche Kinder haben sie und einen Adoptivsohn aus Sankt Petersburg. Russland lässt Rönkä schon von daher nicht los. Und so schreibt er über das soziale Elend im Nachbarland, über illegale Einwanderung, Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch. Seine Figuren sind krumm und bodenständig. Dass ihm einmal der Stoff ausgehen könnte, fürchtet er nicht.

"Wir Finnen sind nicht so zivilisiert, wir sind eine junge Nation. Und wild zu sein, heißt auch, frei zu sein. Das macht für mich den Finnen aus. Du gehst deinen Weg - und du gehst ihn allein. Du brauchst keine Bosse über dir."

Service:
Mit "Russische Freunde" ist Matti Rönkä zurzeit auf Lesetour am 21. April im Literaturhaus Frankfurt/M., am 22. April im Literaturhaus Hamburg und am 23. April im Literaturhaus Köln. Mit dabei sind finnische Krimikollegen wie Monika Fagerholm, Petri Tamminen, Ilpo Tiihonen und Olli Jalonen.