Ein Universalist

Von Carsten Probst · 21.09.2012
In Deutschland ist nicht so viel über den chilenischen Künstler Roberto Matta bekannt - und somit auch nicht über die schiere Menge an Werken, die er im Laufe seines Langen Künstlerlebens produziert hat. Das macht es umso schwieriger, seine verschiedenen Schaffensepochen in einer Retrospektive darzustellen.
Wer schnell sein will, der nennt Roberto Matta einen Surrealisten. So tat es auch André Breton, der Chef-Surrealist, 1937 in Paris. Breton und Matta waren zur dieser Zeit Freunde - restlos einverstanden war Roberto Matta mit dieser Vereinnahmung aber nicht. Bis in die 40er-Jahre verführen manche seiner Malereien freilich dazu, sie mit anderen bekannten Surrealisten zu vergleichen. Seine wie lasiert wirkenden Bildhintergründe, die schwimmenden Übergänge von Dunkel zu pastellenem Gelb oder Orange mit davor schwebenden, illusionistischen Formen und Gespinsten aus feinsten Linien lassen da und dort an Salvatore Dalí und Yves Tanguy denken, mitunter auch an den surrealen Picasso. Aber letztlich waren das für den gebürtigen Chilenen immer nur Durchgangsstationen. In seiner Bildproduktion kannte Matta, so scheint es, lebenslang kein Innehalten, nie hielt er sich mit Stilproblemen auf, erklärt die Madrider Kuratorin Marga Paz.

"Er hat bis an Ende seines Lebens gearbeitet, und das bedeutet: Seine Produktionsmenge war gewaltig. Wenn Sie versuchen, eine Ausstellung über sein Werk zu machen, die halbwegs repräsentativ wäre, werden immer wichtige Aspekte fehlen. Das mag auf manch andere Künstler ebenso zutreffen - bei Matta ist es extrem. Es gibt so viele höchst verschiedene Arbeiten, die Sie zeigen müssten - aber das ist unmöglich. Weil nun Roberto Matta in Deutschland noch nicht so oft in einer Retrospektive gezeigt wurde, konzentrieren wir uns hier zunächst einmal darauf, worum es ihm selbst ging mit seiner Kunst - nicht nur eine bestimmte Werkphase oder ein einzelnes seiner Themen, mit denen man ohne Frage ebenso eine ganze Ausstellung machen könnte."

Roberto Matta lässt sich am ehesten als ein Universalist beschreiben. Ein wenig vergleichbar mit der Rolle, die der Argentinier Jorge Luis Borges für die moderne Literatur Südamerikas spielte. Mattas Leitthema war der universelle Geist, der sich in allen Dingen zeigte, den jedoch nur die Kunst erfahrbar machen kann.

"Matta wurde in Chile in eine Familie von Großgrundbesitzern hineingeboren, die eigentlich aus dem Baskenland stammten. Er hatte eigentlich einen langen baskischen Namen. Die Basken bildeten zu der Zeit eine Art eigener Kolonie in Chile, mit eigenen Gesetzen, und waren sehr mächtig. Matta hatte eine eigene Erziehung durch Jesuiten erhalten und war ein hochgebildeter Mann. Und diese umfassende Bildung war auch für sein späteres Leben als Künstler sehr wichtig."

Ein zweiter zentraler Aspekt für sein künstlerisches Leben war seine Ausbildung zum Architekten. Eine Zeit lang arbeitete er in jungen Jahren sogar als Assistent für Le Corbusier, aber ihm wurde schon bald klar, dass ihm dieses Feld allein zu eng wurde. Gleichwohl beschäftigte ihn die Frage der Räumlichkeit der Malerei ein Leben lang. Nicht nur der rein architektonischen, äußeren Räumlichkeit, sondern immer auch des Inneren, des Bewusstseinsraumes mit seinen verschiedenen Zuständen.

Matta wollte den Betrachter zum inneren und äußeren Mitspieler seiner Malerei machen. Die Stunde für die Umsetzung dieser Ideen kam eigentlich erst nach dem Endes des zweiten Weltkriegs. Matta hatte in den USA die neue Bewegung der abstrakten Expressionisten erlebt, vor allem Jackson Pollocks "Drip Paintings", die vieles von dem machten, was er selbst schon Jahre vorher zu praktizieren versucht hatte: die Malerei von der Wand holen, sie in den Raum bringen, das Moment des Zufalls in den Malvorgang hineinbringen, bei der zugleich Schichten über Schichten verschiedener Malgründe übereinandergelegt werden.

Matta radikalisierte das Prinzip sogar noch, indem er aus Malereien Bildräume schuf, einen Kubus, der wie seine Malerei die rechten Winkel und geraden Linien vermied, sondern mit geschwungenen Wänden und großformatigen Leinwänden den Betrachter geradezu wie eine Totale umwölben, in sich hineinziehen sollte. Kulminationspunkt dieser Entwicklung war "L'Espace de L'Espèce", was frei übersetzt "Der Raum der Spezies" und auf die Gesamtheit der Welt, Mikro- und Makrokosmos anspielt, von dessen wissenschaftlicher Durchdringung Matta besessen war. Ein Teil dieser gewaltigen Malerei-Installation, die 1965 erstmals in Luzern vorgestellt wurde, ist nun erstmals auch in Hamburg zu sehen.

"Das ist der offene Kubus, mit dem Matta versuchte, die Totalität des Seins in die Malerei zu übertragen - sowohl des inneren, wie auch des äußeren Seins. Sie Tafeln sind so angeordnet, dass sie den Betrachter umgeben, sie sollen ihn in die Kunst integrieren. Zugleich entstehen durch die architektonische Instabilität der Form neue Räume - und dies ist nur ein kleiner Teil der Installation.

Matta verstand die Malerei in Reaktion auf die kulturelle Verwüstung Europas im zweiten Weltkrieg als ein Instrument, das den Menschen verändern könnte, ihn ganzheitlich denken lassen könnte, wenn Sie so wollen, der sich stets verändert. Es ist ein nomadisches Bild: Eines Künstlers, der nie festgelegt ist auf einen bestimmten Stil, eine Ort, ein Land. Sondern der in der Welt als Ganzer aufgeht."

Freilich bleibt Matta trotz aller revolutionären Kunstbegriffe der Malereitradition spürbar verpflichtet. Seine Bilder, auch seine Großformate, die zu eigenen Bildräumen zusammengefügt sind, bleiben letztlich als Tafelbilder erkennbar, und die Räume, die sie bilden, sind bei aller Offenheit recht intakte, stabile Gebilde - kein Vergleich zu den explodieren Formen, die Matta in seinen Bilder selbst vorführte. Die Räume auch in der Realität zu attackieren und aufzubrechen, das sollte erst den Videos und Aktionen seines Sohnes vorbehalten bleiben: Gordon Matta Clark.