Ein schrulliger Mann

23.10.2012
Sie waren gute Freunde: der Gallerist Ambroise Vollard und der Maler Edgar Degas. Die sehr persönlichen, unverblümten und liebevollen Erinnerungen eines Freundes machen auch den Charme dieses Buches aus, das Vollard sieben Jahre nach dem Tod von Degas geschrieben hat.
Ja, er komme gerne zum Abendessen. Doch bitte er zu bedenken, dass "mein Essen ohne Fett zubereitet wird", dass er "keine Blumen auf dem Tisch" wünsche, dass "pünktlich um halb acht" begonnen werden sollte, Haustiere ausgesperrt gehörten und schließlich, dass, " - sollten auch Damen teilnehmen - sie kein Parfum auflegen möchten". Zudem bräuchte es gedämpfte Beleuchtung wegen seiner "armen Augen".

Es gibt unkompliziertere Gäste. Doch Ambroise Vollard nahm Edgar Degas seine stadtbekannten Schrullen und Phobien nicht übel. Im Gegenteil: der berühmte Pariser Galerist schätzte den noch berühmteren Maler und erfüllte dessen Bedingungen zur Annahme der Essenseinladung so amüsiert wie gelassen.

Mit feiner Ironie und keineswegs denunziatorisch zelebriert Vollard dann auch diese Anekdote zu Beginn seiner "Erinnerungen an Edgar Degas". 1924 - sieben Jahre nach dem Tod des Künstlers - in Paris veröffentlicht, erschienen sie bereits 1925 auf Deutsch. Über 80 Jahre später liegt nun zum ersten Mal eine Neuauflage in neuer Übersetzung vor - ergänzt um viele Abbildungen und ein Nachwort des Kunsthistorikers und Degas-Kenners Götz Adriani, der die Bedeutung beider Protagonisten für die Kunstwelt würdigt.

Im Plauderton, von der einen Anekdote zur nächsten eilend, schildert Vollard seinen Malerfreund und Geschäftspartner - seit 1894 handelte der Galerist mit Degas' Werk - als unkonventionellen, kompromisslos der Kunst verschriebenen Charakter und kauzigen Eigenbrötler. Degas' Vorliebe für Kamillentee und Orangenmarmelade sowie sein notorischer Antisemitismus kommen dabei ebenso zur Sprache wie Aspekte seines künstlerischen Arbeitens und Denkens.

So erfährt der Leser von Degas' disziplinierter Arbeitsweise, von seiner Bemühung um die richtige Rahmung (Goldrahmen waren ihm verhasst), seiner sorgsamen Auswahl von Leinwänden, seiner Methode, Pastellkreiden zu bleichen, und seinem schier unglaublichen Perfektionismus. Ein Sammler etwa sah sich genötigt, Degas' Bild an der Wand mit einer Kette zu sichern, damit der Künstler es nicht noch einmal, wie dieser inständig wünschte, im Atelier überarbeiten konnte.

Unzählig sind die Belege für Degas' scharfe Zunge und brüske Art. Er verabscheute die Impressionisten ("mir tun die Augen weh vor lauter Lichtreflexen"), blaffte Besucher im Atelier an und konnte sich etwa über die degenartige Hutnadel seiner Nachbarin in der Tram genauso wortreich ärgern wie über Hunde und Katzen im Hause diverser Gastgeber. Doch schwärmen konnte er auch, etwa für Malerkollegen wie Manet, Delacroix oder Renoir.

Vollards Erinnerungen sind lebendig, direkt und mit viel Humor geschrieben. Allerdings kreisen sie - trotz vieler das Werk Degas' erhellender Details - mehr um den Menschen Degas als um den für die Moderne so wichtigen Künstler. Kunsthistorisch Bedeutsames ist daher rar in diesem Buch. Dennoch ist es gerade diese sehr persönliche, unverblümte und liebevolle Sichtweise des Freundes und Galeristen, die diese Erinnerungen so lesenswert machen.

Besprochen von Eva Hepper

Ambroise Vollard: Erinnerungen an Edgar Degas
Übersetzt von Annette Wunschel
mit einem Nachwort von Götz Adriani
Piet Meyer Verlag, Wien 2012
147 Seiten, 12,80 Euro