Ein fragiles Konstrukt

Von Christian Berndt · 14.02.2011
Der klassische Familienverband - Vater, Mutter, Kind - ist in der Realität längst ein Auslaufmodell und auch auf der Leinwand dominieren bei der Berlinale eher Patchwork- oder Rumpffamilien. Dennoch übt der Problemfall Familie auf junge Regisseure eine gewisse Anziehungskraft aus.
(Lachen, heitere Gesellschaft)
"Sei doch nicht immer so unhöflich zu unseren Gästen. Na, Pius? Pius wird ein kleines Blockflötenkonzert geben für uns alle, nicht Pius?"
"Ich will aber nicht spielen."
"Das wäre wirklich schön."
"Nicht wahr, Mutter?"

Jetzt soll der kleine Pius auf der Familienfeier auch noch Blockflöte vorspielen - er hat es wirklich nicht leicht in dieser Familie, in der man miteinander, aber dennoch aneinander vorbeilebt. So trist wie skurril zeichnet der in Wien lebende Schweizer Johannes Hammel in seinem Langfilmdebüt "Folge mir" das Bild einer Kindheit in den spießigen Siebzigerjahren.

Ist es hier eine desolate, aber noch traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familie, so ist in Marie Kreutzers Film "Die Vaterlosen" dieses Modell passé. Zum Tode des Vaters kommen die Geschwister ins Elternhaus zurück - in den Achtzigerjahren war das Landgut eine alternative Kommune. Über ihre Kindheit denken sie alle ziemlich verschieden:

Filmausschnitt "Die Vaterlosen"
"Der Plan, der war gut. Das ist halt an dem und dem gescheitert, so sind die Menschen."
"Du musst unsere Eltern nicht verteidigen."
"Doch. Sie wollten das Richtige."
"Wenn es so eine Art Führerschein für Eltern gäbe, dann hätte der Hans niemals Kinder haben dürfen. Wir waren doch immer nur die bunte Tapete für seine Selbstverwirklichung."
"Das stimmt nicht. Wir haben machen können, was wir wollten."
"Solange es antikapitalistisch umweltfreundlich und mindestens zehn Meter von ihm entfernt war."

Die Rückkehr wird zum schmerzlichen Prozess, denn die Freizügigkeit der Kommune hatte Folgen: Eine jahrzehntelang verleugnete Schwester taucht auf, es ist gar nicht mehr klar, welches Kind von wem stammt. In ihrem Ensemblefilm "Die Vaterlosen" erzählt Marie Kreutzer von den traumatischen Folgen eines alternativen Lebensmodells. Aber die österreichische Regisseurin sieht den Film nicht als Abrechnung:

""Was mich daran auch interessiert hat, ist diese Verpflichtung, die Familie oft bedeutet. Also dieses, weil man blutsverwandt ist, gehört man dahin und hat eine Verantwortung. Dem stehe ich schon kritisch gegenüber. Wir alle, glaube ich, haben auch Beziehungen zu anderen Menschen, mit denen wir nicht verwandt sind, die auch so intensiv oder intensiver sind."

Ist es in "Die Vaterlosen" der Tod des Vaters, der die Geschwister wieder neu zusammenführt, ist es in "Swans" ebenfalls ein Verlust, der eine Familie zur Auseinandersetzung zwingt. Der in Portugal geborene und in Berlin und Wien lebende Regisseur Hugo Vieira da Silva erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte. Die beiden leben in Portugal, als aber die Exfreundin des Mannes und Mutter des 18-jährigen Manuels nach einer Operation ins Koma gefallen ist, reisen sie in die alte Heimat, nach Berlin.

Zwischen ihnen herrscht beklemmende Sprachlosigkeit - und Manuel hat kein Interesse an der ihm unbekannten Mutter. Doch dann fesselt ihn der im Koma liegende Körper. Manuel erkundet ihn von Kopf bis Fuß, kommuniziert körperlich mit der Mutter, wie da Silva erzählt:

"Die Rolle der Mutter ist einerseits diejenige eines Mediums. Sie verbindet Vater und Sohn, und die Situation bringt beide dazu, etwas zu unternehmen, sich näher zu kommen. Aber die Mutter ist nicht nur Medium, sondern auch ein Charakter. Die Idee ist, dass auch, wenn jemand im Koma liegt, es eine Möglichkeit der Kommunikation gibt."

Und über die Kommunikation mit dem Körper findet Manuel langsam Zugang zu seinem Vater. In Jan Krügers Film "Auf der Suche" ist es ebenfalls ein Familienmitglied, das eine Leerstelle hinterlässt: Valeries in Marseille lebender Sohn ist verschwunden. Zusammen mit dessen Exfreund Jens macht sie sich auf die Reise nach Frankreich, aber die Suche nach Simon führt zu einer bitteren Erkenntnis:

Filmausschnitt "Auf der Suche":
"Als die Polizei endlich weg war und ich alleine in der leeren Wohnung stand, hatte ich das Gefühl, in der Wohnung eines Fremden zu stehen. Das war eigentlich das Schlimmste. Ich habe all die Jahre regelmäßig mit Simon telefoniert, aber in diesem Moment dachte ich, ich weiß gar nichts mehr von meinem Sohn."

Doch aus der Enttäuschung entwickelt sich eine vorsichtige Annäherung zwischen beiden. Regisseur Jan Krüger:

"Also, ein Teil der Geschichte, ein Teil dessen, was passiert ist, lässt sich nicht wiedergutmachen oder lässt sich auch zeitlich nicht zurückdrehen. Aber es gibt eine Begegnung, es gibt zwei Menschen, die einander kennenlernen und einen bestimmten Stolz überwinden, um sich gegenseitig beizustehen, sich gegenseitig zu helfen oder auch Spaß zu haben, und das ist eine schöne Richtung."

In den Filmen der jungen Regisseure ist die Familie ein fragiles Konstrukt. Aber gerade das bietet die Chance zum Neuanfang - die Sehnsucht nach einer vertrauten Ersatzgemeinschaft bleibt. In "Die Vaterlosen" wissen die Geschwister am Schluss nicht mehr, mit wem sie wirklich verwandt sind – aber es ihnen schließlich auch egal.

Filmausschnitt "Die Vaterlosen"
"Familie ist überbewertet."
"Familien sind die Wurzeln."
"Wurzeln sind auch überbewertet. Oder möchtest du ein Baum sein?"
"Ne."

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