Ein Beitrag zur wechselseitigen Toleranz

Moderation: Dieter Kassel |
Der Verfassungsrechtler und Politologe Ulrich Preuß sieht in dem neuen Antidiskriminierungsgesetz einen wichtigen Beitrag zur Integration von Fremden. Das Gesetz sei ein unverzichtbares Mittel, um ein Nachdenken über Diskriminierung in Gang zu setzen und mehr Toleranz im Umgang mit den vielen verschiedenen Lebensstilen und -formen in unserem Land zu erlernen.
Kassel: Die EU schreibt es vor und die Bundesregierung setzt es jetzt auch um. Auch in Deutschland soll es bald ein Antidiskriminierungsgesetz geben. Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts, so schreibt es die EU in einer Richtlinie vor, aber auch aus Gründen der Religion, der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Identität, so will es die Bundesregierung zusätzlich, sollen mit diesem Gesetz unterbunden werden. Im Studio begrüße ich dazu Ulrich K. Preuß, er ist Jurist und Professor für Öffentliches Recht und Politik an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Professor Preuß.

Preuß: Guten Morgen.

Kassel: Ich habe so ganz selbstbewusst vorhin behauptet, Antidiskriminierungsgesetz klänge grundsätzlich positiv. Tut es das in Ihren Ohren auch?

Preuß: Wenn man weiß, was sich dahinter verbirgt, welche Ideen sich dahinter verbergen, dann ist das so. Der Begriff selbst ist natürlich nicht sehr schön. Ein Begriff, der mit Anti beginnt, ist sehr anfällig für eine Verschlagwortung und daher sprachlich sicherlich kein besonderes Schmuckstück. Aber in der Sache, glaube ich, ist Antidiskriminierung schon etwas Positives.

Kassel: Verbirgt sich denn dahinter, Sie haben es ja angedeutet, neben viel Juristischem, es ist ja ein Gesetz, deshalb heißt es so, verbirgt sich dahinter auch ein Versuch, gesellschaftlich und sozial etwas zu bewegen?

Preuß: Ich glaube, das ist das Hauptmotiv für diesen Gesetzentwurf sowohl auf der Ebene der EU, die ja diese Richtlinie erlassen hat, wie aber auch jetzt im Innenpolitischen, weil ich glaube, dass hier ein Beitrag geleistet wird zu einem Stichwort, das hier erstaunlicherweise relativ wenig benutzt worden ist, nämlich zum Stichwort Integration. Wir haben ja, als wir seinerzeit das Zuwanderungsgesetz diskutiert haben und auch anlässlich der Vorfälle, der Verhältnisse in den Großstädten in Deutschland immer wieder beklagt, dass die Deutschen es versäumt haben, Integrationspolitik zu betreiben. Einwanderung ja, erstens haben sie geleugnet, dass es sich überhaupt um ein Einwanderungsland handelt, dann haben sie es hingenommen, dann haben sie aber nicht aktiv Integrationspolitik betrieben. Ich glaube, dass dieses so genannte oder tatsächliche Antidiskriminierungsgesetz ein wichtiger Beitrag für Integration von Fremden ist. Fremde gibt es natürlich nicht nur als Einwanderer, aber auch als Einwanderer. Fremde gibt es natürlich auch unter uns selber. Auch wir untereinander haben verschiedene Lebensstile, Lebensformen, die sich zunehmen aneinander stoßen, die also zunehmend auch wechselseitig Toleranz verlangen. All das, glaube ich, greift dieses Gesetz auf.

Kassel: Glauben Sie denn, dass die Chance besteht, dass so ein Gesetz tatsächlich zum Nachdenken anregen kann, zum Beispiel, - die werden ja betroffen sein bei Arbeitgebern, bei Vermietern, aber auch bei anderen -, darüber nachzudenken, wo überhaupt Diskriminierung stattfindet?

Preuß: Das ist natürlich immer etwas sehr Ambivalentes. Nachdenken sollte an sich ein Vorgang sein, der gleichsam aus dem eigenen Bedürfnis heraus, aus eigener Lebenserfahrung heraus verursacht wird. Dass ein Gesetz zum Nachdenken zwingt, ist in sich selbst etwas Widersprüchliches, man sollte eigentlich, wie ich schon sagte, autonom eigentlich nachdenken, wie verhalte ich mich zu meinem Nächsten, zu denjenigen, der mir fremd ist, der mir etwas unheimlich ist und wie kann ich mich dem gegenüber verhalten? Andererseits glaube ich, dass es naiv und romantisch wäre, anzunehmen, dass Dinge sich in den Köpfen der Menschen verändern, wenn sie nicht in irgendeiner Form auch durch harte Tatsachen dazu gezwungen werden. Wir alle werden ja täglich sozialisiert gewissermaßen durch die harten Fakten des Lebens und ich glaube, einer dieser harten Fakten des Lebens ist eben die Tatsache, die die wenigsten oder viele noch nicht bemerkt haben, dass diese Gesellschaft viel unterschiedlicher in ihrer Zusammensetzung geworden ist und dass das gelernt werden muss. Das kommt nicht spontan, das hat man nicht gleichsam in seinen Genen, das kriegt man nicht mit der Geburt mit sondern das muss erlernt werden. Lernen ist immer ein harter Prozess. Gegenüber Erwachsenen, wir können nicht alle wieder in die Schule gehen, tut das im Wesentlichen die Rechtsordnung, also die Gesetze, die Pflichten formulieren, die auch Rechte geben. Von daher würde ich sagen, ja, es muss ein Lernprozess sein, die Mittel sind sicherlich nicht immer, das Gesetz als Mittel dieses Lernprozesses ist sicherlich nicht das, was optimal ist, aber unter den gegebenen Umständen, glaube ich, unverzichtbar.

Kassel: Nun hat sich ja die Bundesregierung entschlossen, in den Gesetzentwurf Personengruppen reinzunehmen, die nicht mit drin sind in der EU-Richtlinie, die umgesetzt werden muss in Deutschland. Unter anderem soll das Gesetz auch Altersdiskriminierung verhindern. Nun wissen wir alle, dass man ab 45 in der Regel keinen neuen Job mehr kriegt, egal wie man qualifiziert ist. Das geht aber auch so weit, dass große Fernsehsender sagen, Zuschauer ab 50 interessieren uns nicht mehr. Glauben Sie, dass in Bezug auf Altersdiskriminierung, vielleicht bleiben wir im Bereich Arbeit, so ein Gesetz auch was verändern kann?

Preuß: Wir müssen unterscheiden was es im Faktischen verändern und dem, was es im Denken verändert. Im Faktischen wird es wahrscheinlich nicht wirklich eine Massenwirkung haben, weil sich wahrscheinlich nur sehr wenige dann auch wirklich auf die Rechte, die in dem Gesetz dann auch festgeschrieben sind, berufen werden. Es gibt außerdem in diesem Gesetz auch so viele Ausnahmetatbestände, oder sagen wir, so viele Rechtfertigungen, warum ältere Menschen schlechter behandelt werden als jüngere oder schlechter behandelt werden können, dass das also in der Sache sicherlich keinen großen Wandel bringen wird, aber psychologisch glaube ich schon. Ich bin häufig in Amerika und in Amerika ist ja dieses Prinzip, das Verbot der Altersdiskriminierung viel weiter fortgeschritten. Zum Beispiel in den Universitäten, mit denen ich es im Wesentlichen zu tun habe, ist es heute, ganz anders als in Deutschland, selbstverständlich, dass Professoren eben nicht von der Universitätsleitung ab einem bestimmten Alter gewissermaßen auf die Straße gesetzt werden, das heißt also, natürlich nicht finanziell, aber von ihrem Arbeitsplatz gewissermaßen verdrängt werden, sondern dass sie ein Recht haben, weiter zu lehren. Das ist inzwischen etwas ganz Selbstverständliches und ich denke, das wird dann bei uns auch etwas Selbstverständliches werden, obwohl ich persönlich, der ich an sich auch ein Kandidat für diese Begünstigung bin, eher etwas zurückhaltend bin. Ich denke, dass die Alten vielleicht nicht auch noch geschützt werden sollen bei der Besetzung von Arbeitsplätzen, wo Jüngere da sind, Qualifizierte, die da sind, die nachrücken wollen und müssen und sollen.

Kassel: Was ja gerade in Universitäten manchmal ein bisschen heikel sein kann.

Preuß: So ist es.

Kassel: Aber, Herr Professor Preuß, jetzt bringen Sie die USA als Beispiel, die nicht ein Antidiskriminierungsgesetz sondern viele für unterschiedliche Gruppen haben, einige davon seit Jahrzehnten. Gerade das ist ja für viele auch ein abschreckendes Beispiel. Da nun tatsächlich gibt es eine Klagewut, da geht es teilweise um Millionendollarbeträge und es geht um sehr viel Bürokratie. Eine Regelung per Gesetz bedeutet ja auch mehr Papier und mehr Vorschriften?

Preuß: Ja, das ist notwendigerweise so, das bringt ein Gesetz mit sich. Obwohl das mit den mehr Vorschriften sich in Grenzen hält, es ist im Grunde genommen das, was teilweise im Grundgesetz selber schon enthalten ist, also bestimmte Diskriminierungsverbote, die jedenfalls im Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt eh schon existiert haben. Aber es ist natürlich richtig, dass in dem Moment, in dem jetzt private Unternehmen, also Arbeitgeber verpflichtet werden, bestimmte Regeln einzuhalten, heißt das natürlich immer, dass in irgendeiner Form damit auch Papier gewissermaßen produziert wird. Man muss begründen, warum man jemanden eingestellt, beziehungsweise nicht eingestellt hat. Das ist richtig, das sind die Kosten, die im Grunde genommen zu zahlen sind. Aber mit neuer Bürokratie, das sehe ich nicht, es soll eine Art Nicht-Diskriminierungsstelle geben, die das überwacht, also auch Daten sammelt. Überwacht ist hier vielleicht der falsche Ausdruck, sondern die eigentlich im Grunde genommen das beobachtet und Berichte schreibt. Also, es wird sicherlich, - klar, bei jedem Gesetz, das muss durchgesetzt werden und wenn es nicht durchgesetzt würde, würde man sagen, das ist ein so genanntes Implementationsdefizit, das wollen wir auch nicht haben -, also es muss durchgesetzt werden, es soll durchgesetzt werden und das heißt, dass es dafür auch dann irgendwie Personen geben muss. Aber ich denke, wenn man das jetzt abwägt gegenüber den grundlegenden Veränderungen, - es ist ein grundlegender Gesellschaftswandel, den wir hier erleben, der sich irgendwie in diesen Regelungen spiegelt -, dann muss man sagen, dass das der Preis ist, den wir wohl bereit sein müssen hinzunehmen. Amerika ist in diese Fall, glaube ich, doch dann zwar vergleichbar, aber führt zu anderen Ergebnissen, weil in Amerika ist wirklich sozusagen die Lawindustrie etwas ganz anderes als in Deutschland. Dass hier im Grunde genommen die Amerikaner in einer fast aggressiven Weise ihre Rechte auch durch Rechtsanwälte und vor Gerichten durchsetzen, das ist Teil einer erklärbaren kulturellen Prägung in Amerika, die es hier in Europa und auch in Deutschland nicht gibt. Von daher ist also der Vergleich schief.

Kassel: Was macht ein Antidiskriminierungsgesetz in den Köpfen, was macht es in unserer Gesellschaft. Das war im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur Ulrich K. Preuß, er ist Professor für Öffentliches Recht und Politik an der Freien Universität hier in Berlin.