Ein bayerischer Kindheitstraum

04.07.2012
"Dass man vergisst, wo man herkommt, das kann ich nicht glauben." So schreibt Bernd Schroeder in seinem stark autobiographischen Roman über eine Nachkriegskindheit in Oberbayern. Auf Amerika zu gehen - ein Traum, den die Kaugummi und Süßigkeiten verteilenden amerikanischen Militärs nährten. Schroeder hat seinen Lesern einen kleinen Kosmos großartig erschlossen.
Fürholzen, der Ort, in dem Schroeder aufwuchs in bäurisch-bairisch geprägter Umgebung, heißt im Buch "Hausen". Schon in seinem literarischen Debüt "Versunkenes Land" 1993 hat er über ein bayerisches Dorf in den 70er Jahren geschrieben - jetzt sind es die unmittelbaren Nachkriegsjahre, die Zeit seiner Kindheit auf dem Land, die ihn beschäftigen.

Als in Aussig geborenes Flüchtlingskind war Schroeder mit seinen aus Berlin stammenden Eltern im tiefkatholischen Oberbayern gelandet. Ein "Heidenkind", weil evangelisch, dessen "Paradies im Unterdorf" lag, " zwischen den Schuhschachtelhäusern der Flüchtlinge, wo Zwiebeln, Paprika und Knoblauch als Zöpfe unter den Dächern der Häuser" hingen und wo es "irgendwie anders" roch als im "Oberdorf".

Jean Paul hat gesagt, dass die Erinnerung das einzige Paradies ist, aus dem wir nicht vertrieben werden können - und so erinnert sich Bernd Schroeder seiner Kindheit in den 50er Jahren. Keineswegs in Form weichzeichnender heimatseliger Sentimentalität: Da ist die Eisenrieder'sche Klara, die sich von einem Besatzungssoldaten "einen Bankert eingefangen" hatte und deshalb als "Amischicks" galt; der Stoff-Franz, Bauer und Hochzeitslader, und da ist der vom Krieg traumatisierte Messmer-Ludwig, der sich an Jungen verging, in die "Irrenanstalt" kam und sich auf einer Toilette erhängte. Und da ist der Pfarrer, der ins KZ dafür kam, dass er von der Kanzel gegen die Nazis gepredigt hatte.

Schroeders Kunst zeigt sich darin, das Disparate nebeneinander bestehen zu lassen: schändlicher Kindesmissbrauch da und Toleranz gegenüber Fremden, Zugewanderten hier. Sein Realismus bewahrt ihn davor, die Dorfbevölkerung zu denunzieren. Selbst der späterhin berühmte Ratequiz-Moderator Robert Lembke, den man, da "Halbjude", vor seinen Häschern auf einem benachbarten Bauernhof versteckte und der diese Tatsache später leugnete, taucht in Bernd Schroeders Buch auf - unter anderem Namen freilich.

Schon der Roman-Titel "Auf Amerika" deutet daraufhin, dass dieses Buch der bairischen Mundart viel verdankt. Oskar Maria Graf, Marieluise Fleißer und zuletzt Josef Bierbichler haben bewiesen, dass der bairische Dialekt mit seiner speziellen Syntax bisweilen einfach kräftiger ist als die hochdeutsche Sprache. Gut also, dass Schroeder sich wohldosiert dieses Dialekts bedient hat: "In der Sprache, die nicht die Sprache meiner Eltern ist, sagt man auf Amerika. Einer geht auf Amerika." Auf Amerika zu gehen - ein Kindheitstraum, den die Kaugummi und Süßigkeiten verteilenden amerikanischen Militärs nährten. "Mir ist mein Hausen über die Jahre verlorengegangen", resümiert der Erzähler. Mit seinem Roman hat Bernd Schroeder es auf wundersame Weise wiedergefunden - und seinen Lesern einen kleinen Kosmos großartig erschlossen.

Besprochen von Knut Cordsen

Bernd Schroeder: Auf Amerika
Roman
Hanser Verlag, München 2012
176 Seiten, 18,40 Euro

Link auf dradio.de:

Dorfroman mit ganz eigenem Sound - Bernd Schroeder: "Auf Amerika". Hanser Verlag
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